Prozess-Manager im Business statt Berater und Six Sigma

Wie Henkel Prozesse wäscht und schleudert

19.03.2009 von Lars Reppesgaard
Chief Process Officer Tom Linckens hat bei Henkel im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel ein Netzwerk aus Prozess-Managern aufgebaut. Damit soll der Prozesswandel in die DNA das Unternehmens übergehen.
Foto: Henkel AG & Co. KGaA

Für eine Partie Tennis ist Tom Linckens immer zu haben. "Ich muss mich jetzt ranhalten mit dem Training. Sonst überholen mich meine Töchter", sagt der IT-Manager. Leider bleibt nicht viel Zeit dafür. Linckens ist seit 14 Jahre in verschiedenen Positionen im IT-Management bei Henkel tätig, unter anderem global zuständig für die Bereiche Waschmittel und Kosmetik oder als CIO in der Region Mittlerer Osten und Afrika. In diesen Jahren hat Linckens eines gelernt: Wenn Unternehmens-IT und Fachbereiche zusammenwirken, ist es ähnlich wie beim Tennis: Der eine bringt einen Ball ins Spiel, der andere schlägt ihn zurück.

Wenn auf der anderen Seite des Netzes keiner steht, funktioniert das natürlich nicht. Und genau das ist mitunter das Problem, wenn die IT-Abteilungen Innovationen ausgetüftelt haben, die einem Unternehmen wie Henkel helfen könnten, ein Produkt besser, einen Prozess schlanker, einen Liefervorgang zuverlässiger oder eine Bestellung einfacher zu machen. Dass gute Ideen aus der IT deshalb nicht umgesetzt werden, kommt auch bei Henkel vor, sagt Linckens. "Wir haben anhaltend Probleme gehabt, auf Unternehmensbereichsseite Ansprechpartner zu identifizieren." Dass sich das ändern muss, ist für ihn selbstverständlich. "Wir geben jedes Jahr für die IT in unserem Unternehmensbereich 50 bis 60 Millionen Euro aus", sagt er. Damit das Geld effektiv investiert wird, braucht die IT Partner, die auf der anderen Seite die Bälle zurückspielen.

Fakten zu Henkel.

Deshalb hat Linckens temporär einen ganz besonderen Job eingerichtet. Seit Ende 2007 ist er Chief Process Officer bei Henkels Firmenbereich "Home & Laundry Care". Seine Mission ist es, als oberster Prozessarchitekt ein Netzwerk von Ansprechpartnern für die IT-Mannschaften aufzubauen. Doch dieses Netzwerk soll noch mehr können: Es soll Henkel helfen, zu einem Unternehmen zu werden, bei dem sich alle Teile fortlaufend mit dem Blick auf das Ganze verbessern. Als 130 Jahre altes Familienunternehmen hat Henkel unbestreitbare Stärken, sagt Linckens - aber eben auch einige Schwächen. "Wir haben gute Prozesse und hervorragende operative Manager, die Organisation optimiert von sich aus, was mit den eigenen Funktionen zu tun hat", sagt er. "Aber wir haben keine strukturierten Verfahren, um interdisziplinär einen Prozess weiterzuentwickeln. Das ist nicht Teil unserer DNA."

Für den Blick über die Bereiche hinweg holen andere Firmen Berater ins Haus oder starten teure Six-Sigma-Programme. Linckens ist der Ansicht, dass man auch mit weniger Ressourcen-Aaufwand zum Ziel kommt. "Unser Ansatz ist es, gute Leute zu identifizieren, die permanent ein Auge darauf haben, dass wir uns im Sinne der Prozessoptimierung weiterentwickeln." Das Problem: Prozess-Manager in dieser Form gab es bisher in der Matrixorganisation Henkel nicht. Mit der Rückendeckung von Friedrich Stara, der im Henkel-Vorstand für den Bereich Wasch- und Reinigungsmittel zuständig ist, und mit der von Konzern-CIO Peter Wroblowski sollte Linckens das ändern.

Prozess-Gurus in der Logistik

Einen ersten Hinweis darauf, wer ein solcher Prozessmanager werden könnte, sammelten Linckens und seine Mannschaft in den Restrukturierungs- und IT-Implementierungsprojekten in den vergangenen fünf Jahren. Vor allem beim zentralen Zusammenführen der SAP-Systeme wurde deutlich, wer in den Fachbereichen mitdiskutierte, wenn es darum ging, welche Abläufe die neuen Software-Lösungen unterstützen sollten. "Diese Leute haben wir aber natürlich nur in Kernbereichen wie etwa Logistik, wo SAP ein Thema ist, identifizieren können", sagt Linckens.

Tom Linckens, Chief Process Officer bei Henkel: "Wir haben keine strukturierten Verfahren, um interdisziplinär einen Prozess weiterzuentwickeln. Das ist nicht Teil unserer DNA."

In anderen Bereichen, etwa dem Marketing oder der Entwicklungsabteilung, mussten die Konstrukteure des Prozess-Manager-Netzwerks in intensiven Dialogen mit Regional- und Linienmanagern Leute finden. Doch auch das funktionierte. "Die allermeisten, die vorgeschlagen wurden, hatten Lust, die neue Aufgabe anzunehmen", sagt Linckens. "Sie haben erkannt, dass das eine Chance für sie ist, Aktivitäten, die sie bisher unter der Grasnarbe verfolgt haben, offiziell voranzutreiben."

Dazu kommt: Sich erfolgreich als Prozess-Manager in diesem Netzwerk zu etablieren kann laut Linckens ein wichtiger Karrierebaustein sein. "Wenn jemand so etwas zwei, drei Jahre macht, kommt das in den Lebenslauf, und die Personalabteilung weiß es. Man kommt aus der Spezialistenecke raus."

Rund 80 angehende Prozess-Manager haben die Netzwerkknüpfer inzwischen identifiziert. Nach und nach werden sie in drei je anderthalb Tage langen Trainings zertifiziert. Die ersten 13 haben dies bereits hinter sich. Sie agieren im Bereich Westeuropa als Veränderungsmotoren. Im ersten Quartal 2009 soll auch die Zertifizierung der übrigen Prozess-Manager beginnen und das Netzwerk weltweit ausgerollt werden.

Drei Dinge müssen diese Prozess-Manager können: Sie müssen gute Projekt-Manager sein, müssen führen können, und sie müssen in der Lage sein, hervorragend zu kommunizieren - sowohl gegenüber den Kollegen, wenn sie bei Projekten in die Rolle des obersten Change-Managers schlüpfen, als auch gegenüber den Vorgesetzen, denen sie ihre Ideen schmackhaft machen müssen.

Henkel hat viel davon, dass im ganzen Unternehmen Mitarbeiter mit einem einheitlichen Rollenverständnis Prozesse weiterentwickeln. Sie sind nicht nur die idealen Sparringspartner für IT-Consultants, die Ideen haben, wie man mit Technologien den Prozess beschleunigen kann. Es entsteht eine Organisation derjenigen, die in der Verantwortung sind, wenn zentral Ziele für Henkel definiert werden, zum Beispiel das Working Capital, also das zur Verfügung stehende Kapital, in einem Unternehmensbereich zu erhöhen. Dann sind Beteiligte aus allen Abteilungen gefragt: Einkaufsspezialisten, die beim Bestellen das Eigenkapital schonen, Produktionsplaner, die den Bedarf genau definieren, Lagerspezialisten, die Bestände optimal verwalten, eine schnelle Versandabteilung oder ein Rechnungswesen, das Außenstände rasch eintreibt.

Die Prozess-Manager sind ansprechbar, wenn es darum geht, abstrakte Ziele wie die Optimierung des Working Capital in der Praxis in kleinen Projekten umzusetzen. Bei den Berechnungen gehen sie nicht nur von zentral definierten Finanz-KPIs wie etwa dem eingesetzten Kapital aus. Auch wie gut etwa ein Prozess funktioniert, soll in Zahlen gefasst werden. "Gemessen an den derzeit relevanten Kenngrößen des Prozesses werden individuell Zielwerte für den Unternehmensbereich definiert", sagt Linckens.

Auch wenn diese Kennzahlen - etwa die Durchlaufzeit einer Order bis zu ihrer endgültigen Abwicklung - nichts für die Jahresberichte sind, sich nicht alles auf Heller und Pfennig in Geldwert umrechnet, heißt das nicht, dass der Wertbeitrag vage bleibt. Im Prozess-Manager-Netzwerk wird gar nicht erst versucht, vergleichbar zu machen, was sich nicht vergleichen lässt. Aber alle Beteiligten bekommen ein Werkzeug an die Hand, um zu messen, ob sie ihre eigenen Zielvorgaben bei einem Projekt erreichen.

Henkel will bis zu sieben Millionen Euro sparen

Die neuen Prozess-Manager haben bei Henkel bereits einiges ins Rollen gebracht. "Wir haben rund 50 Einzelaktivitäten identifiziert", sagt Linckens. Insgesamt sollen diese Verbesserungsprojekte im Jahr 2009 fünf bis sieben Millionen Euro einsparen. Ein bereits abgeschlossenes Projekt zielte beispielsweise darauf ab, Waren, die aus dem Bestand ausgelistet wurden, in einem höheren Maße als bisher doch noch abzuverkaufen.

Wenn man früh genug erkennt, dass es von einem bestimmten Artikel große Restbestände gibt, kann es sich lohnen, mit einem Abnehmer zusätzliche Vereinbarungen abzuschließen. Also müssen die Henkel-Mitarbeiter insgesamt schneller als bisher erkennen, dass überhaupt Restposten anfallen. "Wir haben deshalb den Prozess, wie wir sogenannte "obsolete stocks" im Bestands-Management identifizeren, neu definiert und zugleich festgelegt, über welche Kanäle sie dann weiterverkauft werden können", sagt Linckens. "Nachdem diese Prozessvariante definiert wurde, haben wir sie in SAP implementiert." Dieses neue Restposten-Management läuft heute live in Europa.

Kein Perpetuum mobile

Dass das Prozess-Manager-Netzwerk aber zu einem Perpetuum mobile wird, das von sich aus genug Antrieb entwickelt, um den kontinuierlichen Lernprozess bei Henkel am Laufen zu halten, glaubt Linckens nicht. "Es ist eine tolle Idealvorstellung, aber in der Realität braucht man immer ein bisschen Energiezufuhr, um etwas am Laufen zu halten." Da passt es gut, dass Linckens ab April eine neue Aufgabe hat: Er übernimmt die Verantwortung für das Global Business Consulting und die IT-Architektur und nimmt einen Teil der Koordination der Prozess-Manager mit in seine neue Rolle.

Mit einem Team von knapp 100 Mitarbeitern hat er die Aufgabe, neue Prozess- und Technologielösungen zu erarbeiten. So ist sichergestellt, dass die Prozess-Manager auch in den nächsten Jahren reichlich Impulse bekommen, um über interne Verbesserungen nachzudenken. Nur Linckens’ Tennistraining, das wird weiter warten müssen.