Enterprise Architecture Management nach der Konzern-Neuordung

Wie IT-Bebauung bei E.ON funktioniert

14.05.2009 von Riem Sarsam
Wer nicht weiß, wie IT und Business zusammenhängen, hat es schwer, Unternehmensziele umzusetzen. Bei E.ON Vertrieb löst CIO Renate Küntzel dieses Dilemma mithilfe eines IT-Bebauungs-Managements. Das Fundament dafür hat sie nun gelegt.
Renate Küntzel, CIO der E.ON Vertrieb GmbH: "Das Zusammenspiel der Systeme ist schön und gut - es macht aber auch unbeweglicher."

IT-Bebauungs-Manager machen das Gleiche wie Stadtplaner. Letztere kümmern sich um die Zukunft einer Stadt im Rahmen ihrer räumlichen und sozialen Strukturen. Stellt man sich die Stadt als Unternehmen und die Raum- und Sozialstrukturen als Gerüst aus Business und IT vor, ist das nichts anderes als IT-Bebauungs-Management. Ein anderer Begriff aus der kürzelverliebten IT-Branche ist "EAM", Enterprise Architecture Management. Unter anderem damit beschäftigt sich Renate Küntzel, CIO der E.ON Vertrieb Deutschland GmbH.

Für Küntzel stand das Thema schon lange vor der Gründung des Unternehmens auf der Agenda. Denn die E.ON Vertrieb Deutschland ging erst kürzlich aus der Neuordnung von Geschäftseinheiten durch die Muttergesellschaft E.ON Energie AG hervor. Der vor acht Jahren aus Viag und Veba gebildete Düsseldorfer Konzern hatte beschlossen, seine deutschen Vertriebseinheiten unter einem Dach zu vereinen. Regionale Gesellschaften kümmern sich weiterhin um die Kunden vor Ort, die Fäden des Geschäfts laufen in der Karlstraße im Zentrum Münchens zusammen. Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, nahm E.ON Vertrieb Deutschland im September 2008 offiziell den Betrieb auf.

Für diesen möglichst geräuschlosen Start arbeitete auch Renate Küntzel. Ihr Ziel lautete, die IT des neuen Unternehmens so vorzubereiten, dass die Geschäfte nahtlos weiterlaufen können. Ihr vorrangiges Ziel, muss man sagen, denn aus dem Blickwinkel des Bebauungs-Managers ist dies nur die erste Etappe.

Ein Gerüst aus IT und Business

IT-Bebauungs-Management beginnt mit einer Bestandsaufnahme. Diese hält die bestehenden Strukturen von Business und IT, vor allem deren Verknüpfungen, fest. Die sogenannte Ist-Bebauung wird sichtbar.

Die E.ON-Zentrale in München.

Ein Teil dieses visualisierten Prozess- und IT-Gerüstes lässt sich in den Fluren von Küntzels Abteilung bestaunen. Die Wände sind gepflastert mit riesigen Postern, auf denen die Applikationslandschaften nachgezeichnet sind. Verschieden große Symbole in mehreren Farben und mit Linien verbunden ergeben ein Bild, das sich erst bei näherem Hinschauen verstehen lässt. Wo fließen die Datenströme, welche Systeme sind an welchem Prozess beteiligt und was ändert sich an der Gesamtsicht, wenn ein Teil des Modells geändert wird? Klar ist: Hier verbirgt sich eine akribische Sammlung von Informationen

Technologie ist untergeordnet

"Viele Gespräche und viele Reisen", fasst die IT-Chefin den Großteil dieser Arbeit zusammen. Um sich auf den Neuanfang des Unternehmens und seine künftige Entwicklung vorzubereiten, musste sie sämtliche Geschäftsbereiche und die bislang regional eigenständigen Firmen unter die Lupe nehmen. "Ausgangslage war das historisch gewachsene IT-Umfeld der verschiedenen Unternehmen", erklärt Küntzel. Sprich: Jeder löste seine Aufgaben anders. Und das musste sich ändern. "Wir wollen nur noch eine Lösung für denselben Ablauf." Doch das kommt später.

Keine Frage, dass Technologie nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtig sind die Prozesse, die Geschäftsstrategie und die Wertschöpfung innerhalb des Unternehmens. "Das Zusammenspiel der Systeme ist schön und gut - es macht aber auch unbeweglicher", sagt die IT-Chefin. "Veränderungen in einem Bereich wirken sich ja immer auf alle anderen Bereiche aus." Wenn ein Teil des Unternehmens sehr dynamisch ist, wird er flexibel bleiben müssen. Andere Bereiche hingegen können relativ starr weiterarbeiten. Muss man sie also wirklich integrieren?

Um die Entscheidungen in der IT auch wirklich im Sinne der Unternehmensziele treffen zu können, bleibt kein Unternehmensbereich außen vor: Vertriebssteuerung, Marketing, Produktentwicklung oder Risiko-Management sind nur Beispiele für die Business-Strukturen, die das Bebauungsmodell mit wichtigen Daten füttern. Schritt für Schritt vervollständigen Küntzel und ihr rund 20-köpfiges Team die Darstellung.

Die richtigen Informationen finden

Unterstützung holen sie sich von dem Münchner EAM-Spezialisten Iteratec, der mit Methodik und Werkzeug hilft. Iteratec-Geschäftsführerin Inge Hanschke, selbst ehemalige IT-Chefin, hält die Suche nach den richtigen Informationen für eine der größten Herausforderungen. Sind sie zu grob, nützt das Modell nichts, aber: "Feingranularität ist unnötig und zu aufwendig", weiß Hanschke. "Das sind dann die berühmten Bäume, die den Blick auf den Wald versperren."

Hanschke empfiehlt, das Denken mal rumzudrehen: "Sammeln Sie nur Informationen, für die Sie konkrete Fragestellungen haben. Offene und nicht fassbare Fragen - nach dem Motto, die Antwort könnte einmal wichtig sein - sollten Sie explizit nicht berücksichtigen."

E.ON-Vertrieb Deutschland GmbH: Für das junge Unternehmen liegen noch keine Geschäftszahlen vor.

Und Küntzel und ihre Mitarbeiter sammeln. Sie beginnen mit einem Katalog aus groben Fragen an die verschiedenen Prozessverantwortlichen. Sie sortieren die Antworten, werten sie aus, stellen sie in einen Zusammenhang. Die nächste Runde beginnt. Die Ergebnisse werden im Einzelnen in den Geschäftsbereichen diskutiert, konkretisiert, ergänzt oder korrigiert. Immer und immer wieder. Bis alle fehlenden Informationen da sind, in das Modell einfließen und die Architektur Formen annimmt.

Im Nachhinein klingt das einfacher, als es ist. Immerhin geht es hier um das Rekonstruieren von Arbeitsabläufen. Nicht alle Menschen, auf deren Informationen man angewiesen ist, stehen dem offen gegenüber, das liegt in der Natur der Sache. Ein Grund mehr jedoch, mit einer stringenten EAM-Systematik zu arbeiten. Denn mit jeder Runde wächst nicht nur die Fülle der Informationen, sondern auch die Übersicht darüber, wie eigentlich alles zusammenhängt.

Bebauung schafft Transparenz

"Transparenz ist der Weg zum Vertrauen", weiß Küntzel. Und es ist der Erfolgsschlüssel des IT-Bebauungs-Managements. Küntzels Leute ziehen sich nicht auf bloßes Fragenstellen zurück, sie müssen antworten können. Je mehr sie das Zusammenspiel innerhalb des Unternehmens erklären, umso weniger Vorbehalte begegnen den Bauherren. Die bereits erwähnten Poster unterstützen sie darin. Sie visualisieren die Zusammenhänge im Unternehmen und machen sie vermittelbar.

E.ON-Vertrieb: Projektsteckbrief zum IT-Bebauungs-Management.

Die Transparenz ist der entscheidende Grund, warum IT-Bebauungs-Management dem gesamten Unternehmen konkret nützt. Die Veranschaulichung von Zusammenhängen erklärt auch das eigene Geschäft. Den Kollegen im Business wie in der IT. Das stützt einzelne Abteilungen, vor allem aber das Management.

Im Einklang mit dem Business kann nun die strategische Veränderung der IT-Landschaft vorangetrieben werden.Im Einklang mit dem Business kann nun die strategische Veränderung der IT-Landschaft vorangetrieben werden. "Erst nach dem Start des neuen Unternehmens ging es für uns richtig los", sagt Küntzel mit Blick auf EAM. Genauso wenig wie Technik einem Selbstzweck dient, macht es das IT-Bebauungs-Management. Jetzt geht jetzt darum - man erinnere sich an den Stadtplaner -, sich der Zukunft zu widmen. Das "Ist" der Architektur ist jetzt geschaffen. Für Küntzel trittt nun das "Soll" in den Vordergrund.