Moritz Freiherr Knigge im Interview

Wie kündigt man wertschätzend?

28.09.2017 von Sven Ohnstedt
Wir sprachen mit Moritz Freiherr Knigge über uneinsichtige Chefs, frustrierte Mitarbeiter und einen Taxifahrer, der ein Vorstellungsgespräch verhinderte.

Es wird behauptet, Sie haben ein Problem mit Etikette.

Knigge: Ich habe kein Problem mit Etikette, auch wenn das gerne anders dargestellt wird.

Woran liegt das?

Knigge: Es dürfte am Namen liegen.

Um was geht es Ihnen eigentlich?

Knigge: Mir geht es darum, Menschen für ihren Anteil an misslungener Kommunikation zu sensibilisieren und Möglichkeiten aufzuzeigen, sich und anderen das Leben leichter zu machen.

Und dabei kommen Sie auch auf Etikette zu sprechen?

Knigge: Genau. Etikette ist Bestandteil von Kommunikation – das ist es aber auch schon. Meinem berühmten Vorfahren ging es auch nicht um Etikette.

Ihr Vorfahre wird oftmals grundlegend missverstanden

Knigge: Wissen Sie, mein Vorfahre sagte, dass er die steife Etikette ablehne - ihr hafte etwas Unmenschliches an. Er schrieb hierzu einen langen Satz – wortwörtlich: Dies sind nur die kleinen Dinge der Welt, aber jeder kluge Mensch soll sich bewusst darüber sein, dass die persönliche, zeitliche Wohlfahrt immer wieder von Menschen abhänge, denen diese kleinen Dinge sehr wichtig sind. Von daher wäre es dumm, sie zu missachten. Das war es im Grunde schon, vielmehr ist es nicht.

So einfach?

Knigge: Ja, und die meisten machen es doch richtig. Also ich habe beim Geschäftsessen noch nie neben einem Mann gesessen, der laut schmatzte, sein Messer ableckte oder auf den Boden spuckte. Okay, in China spuckt man tatsächlich auf den Boden. Für solche kulturellen Eigenheiten lohnt tatsächlich eine spezielle Vorbereitung. Wird in Deutschland nur selten gemacht.

Unmögliches Benehmen

Ist es Ihnen zuwider, vorrangig auf Etikette angesprochen zu werden?

Knigge: Also ich habe das Gefühl, oftmals werden grundlegende Probleme heruntergespielt, zu profanen Dingen wie einer Etikette. Die Leute sollten lernen, höflich und vernünftig miteinander umzugehen. Es geht nicht darum, mit Messer und Gabel zu essen – das bringt man Menschen binnen zehn Minuten bei. Es geht vielmehr darum, einander aufmerksam zu begegnen und als angenehmer Mensch wahrgenommen zu werden.

Das müssen Sie erklären.

Knigge: Ich sprach einmal mit einem mittelständischen Unternehmer. Er sagte, wenn er bestimmte Jobs besetzt, gehe er mit den Bewerbern essen. Damals suchte er gerade einen neuen Personalchef. Nach der Vorauswahl blieben drei Bewerber übrig. Er lud sie alle drei in ein Restaurant an. Er bestellte den Bewerbern ein Taxi und ließ sie vom Flughafen zum Restaurant bringen. Einem von den Dreien sagte er ab, noch bevor es etwas zu essen gab.

Was war passiert?

Knigge: Der Taxifahrer war ein guter Freund des Unternehmers. Und einer der drei Bewerber verhielt sich ihm gegenüber unmöglich.

Und was hatte der Unternehmer dem Bewerber im Anschluss zu sagen?

Knigge: Er sagte, dass er keinen Personalchef gebrauchen könne, der so gegenüber Dienstleistern auftritt.

Da hilft es dann auch nicht mehr weiter, mit Messer und Gabel essen zu können

Knigge: Richtig, darum geht es nicht. Leute in derartigen Positionen müssen oft Druck aushalten. Können sich solche Leute auch außerhalb ihres beruflichen Umfelds unterhalten? Können sie eine angenehme Atmosphäre schaffen?

Derartige Qualitäten werden aber nicht nur von Führungskräften verlangt.

Knigge: Derartige Qualitäten werden von jedem Menschen verlangt. Und sie sind unbedingt notwendig, sei es in der Führung, im Vertrieb oder am Empfang.

Emotionale Situationen

Wie sollen Führungskräfte in einer emotionalen Situation gelassen bleiben? Einerseits stehen Sie unter Druck, andererseits sollen Sie ohne Druck kommunizieren.

Knigge: Ja, das ist schwer. Sie haben ja selbst etwas davon: Es senkt die Reibungsverluste, es senkt den Ärger. Das baut Druck ab. Ein Teilnehmer, es ist schon ein paar Jahre her, kam nach der Veranstaltung mal zu mir und gestand, dass er keine Lust auf mich hatte - der Chef hatte ihn geschickt. Er kam zu der Einsicht, dass Höflichkeit eigentlich keine Zeit kostet, sondern Zeit verschafft. Am Anfang wirkt es vielleicht so, dass alles länger dauern würde, aber es senkt eben die Reibungsverluste.

Was meinen Sie denn mit Reibungsverlusten?

Knigge: Ich meine damit Konflikte, die aus Missverständnissen entstehen. Das sind unvorstellbare Zeitfresser. Es geht ja nicht einzig um den ausgetragenen Konflikt in dem Moment. So ein Konflikt hinterlässt immer auch Wunden: Man denkt darüber nach, man ist darin gefangen. Angst, Wut – man dreht sich einfach. Es kann nicht im Sinne eines Unternehmers sein, Konflikte vorzufinden. Sie sind nicht wirtschaftlich. Man geht übrigens davon aus, dass jeder vierte Angestellte in Deutschland derart schlecht motiviert ist, dass er bewusst destruktiv handelt.

Aus Frust?

Knigge: Ja, in Unternehmen zieht derartiges Verhalten weite Kreise. Oftmals zeigen solche Angestellte gegenüber den übrigen Mitarbeitern besonderen Trotz. Zunächst wird nur darüber geredet. Im Anschluss bleibt aber durchaus die Arbeit liegen, es wird geklaut, es werden Krankmeldungen eingereicht, schlecht über das Unternehmen geredet oder nicht sorgsam mit Kunden umgegangen. Menschen sind zu vielen unvernünftigen Dingen fähig. Auch wenn sie sich wohlfühlen, aber im Besonderen eben dann, wenn sie es nicht sind.

Sie unterstellen Ihnen keine Böswilligkeit?

Knigge: Ich halte Menschen generell nicht für böswillig, sie sind es nur in seltenen Fällen. Vieles, was als intrigant angesehen wird, beruht meiner Ansicht nach auf Missverständnissen ...

... und offensichtlich auch darauf, wie sie wahrgenommen werden.

Knigge: Wahrnehmung ist extrem wichtig. Sie beeinflusst die Kommunikation in hohem Maße: Wie ich andere Menschen wahrnehme und diese mich wahrnehmen, darüber entscheidet sich letztlich, ob Kommunikation gelingt oder eben nicht. Ob man im Gespräch miteinander bleibt oder miteinander kämpft oder die Flucht antritt.

Die Flucht mündet vermutlich in Resignation?

Knigge: Ganz genau, oder auch in Kündigungen. Das ist meiner Meinung nach ein ganz wesentlicher Grund, wieso Unternehmen dieses Thema überhaupt interessiert: Sie können es sich schlicht nicht mehr leisten, dass die guten Mitarbeiter gehen.

Wieso sollten nur die guten Mitarbeiter gehen?

Knigge: Also die wirklich guten Leute wissen, dass sie überall genommen werden. Wenn sie das eigene Unternehmen verlassen, wird es richtig schmerzhaft und auch teuer. Die Leute, denen es egal ist, gehen nicht von alleine - sie sitzen es aus und resignieren.

Uneinsichtige Chefs

Sind die Chefs eigentlich einsichtig? Wie bringen Sie ihnen denn wertschätzende Kommunikation bei?

Knigge: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jeder Mensch zur Einsicht fähig ist, wenn er eine wertschätzende Rückmeldung bekommt. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass die Höhe der Hierarchie einen gewaltigen Einfluss darauf hat, ob ich der Meinung bin, eine solche Rückmeldung zu benötigen. Wir arbeiten fast ausschließlich zusammen mit Führungskräften, aber das Top-Management macht sich eher rar. Meine Workshops seien super und ihre Leute bräuchten das Training, aber selbst machen sie nicht mit - was sehr schade ist! Derartiges Verhalten führt auch immer wieder zu Kritik durch die Belegschaft.

Wieso sollte Sie das Top-Management engagieren, aber dann selbst nicht mitmachen?

Knigge: In den meisten Unternehmen sind die Personalabteilungen für den Einkauf von Personalentwicklungsmaßnahmen zuständig. Zudem sind viele auf den höchsten Etagen der Überzeugung, es hätte schon einen guten Grund, wieso sie da sind, wo sie hierarchisch stehen.

Sie sagten gerade, es würde auch dem Top-Management gut tun, sich zu beteiligen. Geht es Ihnen um das Kollektiv oder um das Prinzip?

Knigge: Ich denke nicht, dass man das trennen sollte. Wenn ich der Überzeugung bin, dass die Art, wie Menschen miteinander umgehen einen Einfluss auf den betriebswirtschaftlichen Erfolg ausübt, dann ist das ein Prinzip. Gehe ich weiterhin davon aus, dass Selbst- und Fremdbild eine erhebliche Diskrepanz aufweisen, dann sollte jeder aus dem Kollektiv bereit sein, sich dem Bild anderer zu stellen. Das wäre dann ein kollektives Prinzip. Eine Haltung, der jeder sich stellen sollte, unabhängig von seiner hierarchischen Position.

Sie können eine positive Haltung aber nicht in einem Workshop beibringen.

Knigge: Nein, natürlich nicht. Beibringen kann ich es sowieso nicht. Ich kann Potenziale wecken, die ohnehin in fast allen Menschen stecken, aber möglicherweise unter dem Druck des Alltagsgeschäftes hinten anstehen müssen.

Wertschätzende Kündigung

Wie kommuniziert man eigentlich eine Kündigung wertschätzend?

Knigge: Schwierig. Wie kam die Kündigung denn zustande? Beruht sie auf Fehlverhalten oder wirtschaftlicher Notwendigkeit? In welcher Beziehung stehen die Leute zu der gekündigten Person? Allein diese Überlegungen beeinflussen die Art und Weise, wie die Kündigung kommuniziert werden sollte. Ich fordere von Leuten, die in ebendiese Situation kommen, andere kündigen zu müssen, dass sie sich dessen bewusst sind, wie existenziell das für den Gekündigten ist.

Schön und gut. Aber damit helfen Sie nicht weiter.

Knigge: Ich kann Ihnen nicht vorgeben, was Sie zu tun haben. Wie soll das funktionieren? Natürlich könnte ich behaupten, dass es eine einfache Lösung gibt und ich sie kenne, aber das wäre doch unseriös. Ich kann auch nicht in die Köpfe anderer Menschen hineinschauen.

Aber Sie können sich in andere Menschen hineinfühlen.

Knigge: Ja, das sollte man auch tun. Sie sollten sich allerdings dessen bewusst sein, dass dies auch nur begrenzt geht. Leichtfertige Sprüche wie "Ich weiß genau, was Sie gerade fühlen" machen unangenehme Situationen meistens nur noch schlimmer.

Ist es denn wertschätzend, stets ehrlich zu sein?

Knigge: Nein. Oder halten Sie Dieter Bohlen für wertschätzend?

In Unternehmen wird Ehrlichkeit geschätzt

Knigge: In Umfragen unter Mitarbeitern, welcher Wert ihnen denn am wichtigsten sei, gewinnt grundsätzlich Ehrlichkeit. Aber welche Ehrlichkeit eigentlich? Wahrscheinlich auch nur die Ehrlichkeit, die sie haben möchten - und bestimmt nicht diejenige, die ihnen weh tut.

Es wird sich nicht vermeiden lassen, den Mitarbeitern weh zu tun.

Knigge: Ja, aber der Respekt gegenüber anderen Menschen steht immer ganz oben. Sie haben andere Menschen nicht als Beiwerk zu betrachten, sie haben nicht über Leichen zu gehen. Das ist nicht legitim - ausnahmslos! Da bin ich sehr moralisch.

Kritik aushalten

Was also tun, wenn Ihr Chef Sie herablassend behandelt?

Knigge: Sagen Sie es Ihm!

Direkt?

Knigge: Ja. Mit angebrachter Vorsicht. Was soll Ihnen dann schon passieren? Das Schlimmste wäre, wenn er Ihnen bestätigt, dass er Sie so behandeln möchte. Das ist zwar nicht schön, aber immerhin erlangt man Sicherheit. In den meisten Fällen gibt der Chef hingegen nach - ganz einfach, weil er so tatsächlich nicht verstanden werden wollte. Er macht einen Rückzieher.

Haben Mitarbeiter keine Angst vor ihren Vorgesetzten?

Knigge: Doch. Deswegen finden solche Gespräche viel zu selten statt.

Hierarchie verhindert also Kommunikation?

Knigge: Das ist ein ganz großes Problem. Dabei versichern mir fast alle Führungskräfte glaubhaft, dass ihnen eine offene Kommunikation durchaus recht wäre. Sie fordern Ihre Mitarbeit mitunter sogar auf, sich vertrauensvoll an sie zu wenden. Die Mitarbeiter misstrauen ihnen schlicht.

Was kann man dagegen tun?

Knigge: Menschen müssen immer wieder dazu aufgefordert werden. Der Chef muss beweisen, dass er Kritik aushalten kann. Das mag nicht einfach sein, aber wenn er es schafft, genießt er das Vertrauen seinem Umfeld. Er gilt dann als souverän. Und mit souveränen Menschen umgibt man sich gerne. Und man arbeitet gerne für sie.

Keine schnelle E-Mail

Hilft sprachliche Eindeutigkeit?

Knigge: Ja, absolut - solange sie nicht verletzend ist. Man sollte allerdings nicht davon ausgehen, dass das einem stets gelingt.

Viele gängige Begriffe sind mehrdeutig.

Knigge: Eben. Was ist optimale Sprache? Es fängt ja schon damit an, dass Sie bestimmt zwei Personen finden, die sich unter einer Optimierung etwas grundlegend Verschiedenes vorstellen, also den Begriff unterschiedlich verstehen. Man sollte vorsichtig sein, vor allen Dingen im Schriftverkehr. Ich bin beispielsweise eher konservativ, wenn es darum geht, wie man E-Mails schreiben sollte.

Wie denn?

Knigge: Denken Sie an eine kleine Begrüßung, ein Wort nebenher. Zudem: eine normale Schriftform, es gibt Rechtschreibregeln. Das war es auch schon, mehr ist es gar nicht. Wir hören ja immer wieder, wie Leute über ihren E-Mail-Verkehr schimpfen. Das können Sie, wie gesagt, problemlos entschärfen. Nehmen Sie sich die Zeit dafür!

Aber wenn es schnell gehen muss

Knigge: Wenn es ganz schnell gehen muss, ruft man eben an.

Es wird kaum jemand auf E-Mails verzichten können.

Knigge: Nein, aber wir müssen weg von dieser schnellen E-Mail, wieder hin zur verbalen Kommunikation. Sie können Konflikte schriftlich nicht lösen. Sobald Sie Ihr Schriftstück losgeschickt haben, besitzen Sie keinen Zugriff mehr darauf. Sie überlassen dem Empfänger die Deutungshoheit.

Sie lösen Konflikte aber auch nicht am Telefon.

Knigge: Sie können aber eingreifen und auch nachhaken. Sie haben die Möglichkeit, Dinge noch einmal neu zu benennen. Sie können reagieren.

Zur Person: Moritz Freiherr Knigge gründete im Jahr 2002 zusammen mit Michael Schellberg die Freiherr Knigge oHG. Das Unternehmen bietet Vorträge und Workshops zur wertschätzenden Konstruktion und Kommunikation an.