Microsoft auf Irrwegen

Windows aus der Cloud - im Ernst?

Kommentar  von Preston Gralla
Wenn es nach Microsoft geht, werden Nutzerinnen und Nutzer Windows künftig im Abo beziehen und direkt aus der Cloud laden. Für die Verbraucher würde das nichts Gutes bedeuten.
Gibt es den Windows Blue Screen demnächst frisch aus der Azure-Cloud?
Foto: Tea Talk - Shutterstock.com

Microsofts großes Comeback der vergangenen Jahren hat wenig mit dem Windows-Betriebssystem und viel mit Cloud Computing zu tun. Das Unternehmen ist neben Amazon Web Services (AWS) zum führenden Anbieter von Cloud-Diensten für Unternehmen aufgestiegen und hat viele seiner Produkte auf die Cloud umgestellt.

Zum Beispiel Office: Es ist noch nicht so lange her, da kauften Unternehmen und Verbraucher eine Client-Version der Büro-Suite, zahlten dafür ein Mal, und nutzten sie dann so lange wie sie wollten. Das ist heute bekanntlich anders: Gekauft wird jetzt in der Regel ein Monats- oder Jahresabo, das über die Cloud ständig aktualisiert wird. Für Microsoft ist das schön, es bedeutet eine Menge zusätzlicher wiederkehrender Einnahmen.

Ein Jahresabo für Windows - mit Streaming auf den PC

Nun plant der Softwarekonzern, dasselbe mit Windows zu tun - sogar mit einem noch stärkeren Fokus auf die Cloud. Wenn es nach Microsoft geht, werden Nutzerinnen und Nutzer künftig ein Jahresabo für Windows bezahlen und das System direkt aus der Cloud auf ihre PCs und Notebooks laden.

Zumindest ist das die Vision, die das Unternehmen vor einem Jahr in einer internen Präsentation zur Lage des Unternehmens dargelegt hat. Das wurde kürzlich im Rahmen einer Anhörung bekannt, in der die FTC - offenbar vergeblich - versuchte, die 68,7 Milliarden Dollar teure Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft zu verhindern.

In einer Passage mit der Überschrift "Long Term Needle-Moving Opportunities" schreibt Microsoft dort, wie wichtig es sei, Windows in Zukunft Cloud-basiert anzubieten: "Windows 11 immer weiter in die Cloud verlagern: Auf Windows 365 aufsetzen, um ein vollständiges Windows-Betriebssystem zu ermöglichen, das aus der Cloud auf jedes Gerät gestreamt wird. Die Leistung der Cloud und des Clients nutzen, um verbesserte KI-gestützte Dienste zu ermöglichen und die digitale Erfahrung der Menschen zu vervollständigen."

Für Unternehmen ist Windows aus der Cloud schon Realität

Um besser zu verstehen, worum es geht, muss man wissen, dass Windows 365 eine Cloud-basierte Version von Windows 10 oder 11 für Unternehmen ist. Windows wird in der Azure Cloud gehostet und ist via Browser zugreifbar - genauso wie Anwendungen, Daten, Inhalte und Einstellungen.

Ganz gleich, ob Sie einen PC zu Hause, einen anderen im Büro oder einen dritten auf Reisen nutzen, Sie erhalten immer dieselbe Version von Windows mit allen Anwendungen, Daten und Einstellungen. Das hat viele Vorteile: Sie können Ihr Büro verlassen und zu Hause mittels Windows 365 genau da weitermachen, wo sie im Office aufgehört haben.

Einzelne Mitarbeiter müssen sich nicht mehr mit technischen Problemen an ihrem Rechner beschäftigen, das obliegt nun allein der IT-Abteilung, die sich um das Beheben von Netzwerk-, WLAN-, Lade- oder sonstigen Problemen kümmert. Microsoft verspricht auch mehr Sicherheit, wenn es gilt, entfernte Mitarbeiter anzubinden. Die zentrale IT kontrolliert die Sicherheitseinstellungen der PCs aller Beschäftigten als Gesamtheit. Sie spart Zeit beim Einarbeiten neuen Personals, da die Hardware erheblich schneller eingerichtet ist. Für Unternehmen wird es auch einfacher, Zeitarbeitskräfte einzusetzen, da diese schnell mit dem Cloud-basierten Windows ausgestattet werden können.

Ein einheitliches Windows-System aus der Cloud für alle Endgeräte: Für Microsoft würden die Abogeschäfte blühen.
Foto: Microsoft

Windows 365 - ein OS auch für Privatkunden?

Microsofts Präsentation zeigt, dass Privatanwender ebenfalls an das Windows-365-Modell herangeführt werden sollen. So ist bei Windows Central zu lesen, dass es auch ein Cloud-basiertes Familienabonnement für Windows 365 geben könnte, so dass entfernte Eltern ihren Kindern beispielsweise live bei den Hausaufgaben helfen können. Dem Bericht zufolge wird ein monatlicher Preis von zehn Dollar diskutiert, aber das ist wohl Spekulation.

Heute zahlen die Verbraucher nicht direkt für Windows, sondern für den PC oder Laptop, auf dem Windows vorinstalliert ist. Die Kosten sind im Kaufpreis des Geräts enthalten. Nach der Einmalzahlung sind sie von weiteren Kosten befreit. Dabei bekommen sie immer die neuesten Updates, denn Windows aktualisiert sich automatisch.

Microsoft hat kürzlich mitgeteilt, dass weltweit mehr als eine Milliarde Menschen Windows verwenden, die meisten davon sind einzelne Anwender. Wenn nur ein Prozent davon ein Windows-365-Abonnement abschließen würde, brächte das dem Konzern zusätzliche Einnahmen von 100 Millionen Dollar pro Monat in die Kasse, also 1,2 Milliarden Dollar pro Jahr. In kürzester Zeit dürften also die Windows-Einnahmen schwindelerregende Höhen erreichen.

Bugs, Pannen und eine hohe Komplexität

Es gibt jedoch Hürden, die der Verwirklichung dieses Ziels im Wege stehen, und sie haben alle mit der Natur der Cloud und der Geschichte von Windows zu tun. Anders als Google ChromeOS wurde Windows nicht von Grund auf für die Cloud entwickelt, was bedeutet, dass es als Cloud-Dienst wohl nie so reibungslos laufen wird, wie ein ChromeOS-Gerät.

Der Cloud-Lösungsarchitekt Vladislav Bilay hat das gegenüber Lifewire so formuliert: "Chrome wurde als webzentriertes Betriebssystem mit dem Fokus auf Cloud-basierte Anwendungen und Dienste entwickelt. Es legt den Schwerpunkt auf Einfachheit, Geschwindigkeit und Sicherheit für Benutzer, die hauptsächlich online arbeiten und zusammenarbeiten. Windows dagegen hat eine lange Geschichte als vielseitiges und robustes Desktop-Betriebssystem, das eine breite Palette von Anwendungen bietet, Offline-Funktionen bereitstellt und kompatibel mit älterer Software sein muss."

Mit anderen Worten: Eine Cloud-basierte Version von Windows dürfte fehlerhaft und sperrig werden - noch mehr als heute schon. Darüber hinaus zeichnet sich ein noch größeres Problem ab: Wie sollen durchschnittliche Windows-Nutzer ohne technischen Hintergrund mit einem Cloud-basierten System fertig werden, wenn einmal etwas nicht funktioniert? Und seien wir ehrlich: Jeder Windows-Nutzer weiß, dass mit diesem Betriebssystem immer etwas schief geht.

Ein Windows ohne Fehler? Schwer vorstellbar

Ich benutze PCs und Windows schon seit Jahrzehnten und behaupte, ich kenne mich ziemlich gut damit aus. Und doch stoße auch ich immer wieder auf ärgerliche Probleme und Fehler, die sich erst nach einigem Aufwand beheben lassen. Eine Cloud-basierte Version von Windows würde eine Vervielfachung dieses Problems bedeuten.

Ich habe mir vor einem Jahr einen Laptop gekauft, der sich aus unerklärlichen Gründen nach einiger Zeit nicht mehr in einige WLANs einwählen wollte, in andere dagegen schon. Stundenlang musste ich mit dem technischen Support des Herstellers telefonieren (wenn ich überhaupt durchkam), und noch mehr Zeit habe ich mit Versuchen verbracht, das Problem selbst zu beheben. Bis jetzt ist keine Lösung in Sicht.

Bei einer Cloud-basierten Version von Windows dürften all die grundlosen Verlangsamungen, Netzwerkstörungen und sonstigen PC-Probleme, die wir alle kennen, definitiv nicht mehr auftauchen. Sonst wäre der Rechner sofort unbrauchbar. Unternehmen haben wenigstens IT-Support-Mitarbeiter oder einen externen Helpdesk, um solche Probleme zu lösen. Gelingt das nicht, ersetzt die IT-Abteilung den problematischen PC einfach durch einen neuen. Private Benutzer kennen einen solchen Luxus nicht.

Mir kann niemand erzählen, dass die jahrzehntelang gewachsenen Probleme mit Windows von einem Tag auf den anderen verschwinden werden, nur weil das System nun in der Cloud läuft. Wenn sie aber bleiben, kann ich mir kaum vorstellen, dass irgendjemand mehr als 100 Dollar pro Jahr an Microsoft zahlen wird, um ein Produkt zu kaufen, das schlechter ist als das, das er heute praktisch umsonst bekommt. Dennoch scheint dies die Richtung zu sein, in die Microsoft gehen möchte. (hv)

Dieser Kommentar ist zuerst bei unseren US-Kollegen von computerworld.com erschienen.