IT-Projekte: 7 Thesen gegen den Berater

Wo Booz & Co. schiefliegt

10.08.2010 von Redaktion CIO
Jürgen Renfer, IT-Leiter der Bayerischen Landesunfallkasse, kommentiert den CIO-Artikel "Woran IT-Projekte in Behörden scheitern". Darin plädiert Wolfgang Zink von Booz & Co. für mehr Public Private Partnerships.
Jürgen Renfer, Verwaltungsdirektor der Bay. GUVV/LUK, war 2009 beim "CIO des Jahres" und den Top10.
Foto: Christoph Vohler, München

Ist das wirklich so einfach? In der Public-ICT wird zu schlecht entlohnt, deshalb fehlen dort die klugen Köpfe und folglich scheitern deren IT-Projekte? Also einfach Dritte ins PPP-Modell einbinden, und schon haben wir erfolgreiche IT-Projekte? Meine jahrzehntelange IT-Erfahrung in der Public-ICT zeigt mir: Nein! Die Problemlage ist deutlich komplexer. Deshalb müssen weit mehr als die ins Feld geführten Argumente beleuchtet werden. Sieben Thesen dazu:

1. Entlohnung

Vielfältige Untersuchungen zeigen, dass gerade Leistungsträger ihre Motivation aus weit mehr Aspekten als den rein monetären ableiten: Unternehmensklima, Fortbildungsmöglichkeiten, Sicherheit, Work-Life-Balance und vieles mehr. Leider bleiben diese Faktoren bei der eindimensionalen Betrachtung außen vor. Alleine von der Entlohnung auf die zu erwartende, kontinuierlich verfügbare Fachkompetenz zu schließen würde mindes-tens eines empirischen Belegs bedürfen.

2. Einzelbaustellen

Jedes Großvorhaben muss untergliedert werden. Verwaltungsmodernisierung ist ein Mega-Vorhaben, bei dem viele Aspekte ineinandergreifen. Die spannende Frage ist dabei, wem die Rolle des Programm- und Portfolio-Managements zufällt. Sind in Anbetracht der Gewaltenteilung dafür wirklich die Behörden verantwortlich und vollumfänglich handlungsfähig?

3. Standorte

Booz & Co. geht von der Vermutung aus, dass die gesamte Verwaltung als Mega-Konzern verstanden wird. Dem ist aber gerade nicht so. Es existiert eine Vielzahl von Sparten, daneben die legalmotivierte horizontale und vertikale Gewaltenteilung mit dem klassischen dreistufigen Kanon. Hieraus erwachsen - wie übrigens in der Wirtschaft und Industrie auch - unterschiedliche sektorale und regionale Anforderungsprofile. Gleichwohl bündeln sich IT-Dienstleistungen in Kooperationszentren. Die spannenden Fragen lauten daher eher: Wie hoch ist der Reifegrad der Betriebszentren? Und gibt es Betriebsvergleiche?

4. Papierbasierte Prozesse

Die Frage ist wohl nicht, ob solche Prozesse breiter wünschenswert sind, sondern warum deren Verbreitung stockt: Die Legalbindung der Verwaltung erfordert die Schriftform, der die elektronische Signatur gleichgestellt wird. Eben diese ist gegenwärtig aber noch nicht sehr verbreitet, weshalb Multikanalansätze und Medienbrüche entstehen. Die flächendeckende Akzeptanz des elektronischen Personalausweises könnte Abhilfe schaffen.

5. Innovationsrückstau

Die öffentliche Hand ist üblicherweise an das sogenannte Minimalprinzip gebunden, also geforderte Aufgabenerfüllung mit geringstmöglichem Mitteleinsatz. Dadurch entsteht systembedingt eine Innovationslücke zu Wirtschaft und Industrie, die sich naturgemäß am Maximalprinzip orientieren muss. Daher muss im konkreten Einzelfall exakt zwischen Innovationsrückstau und Innovationslücke differenziert werden.

6. Praxiserfahrung mit IT-Großprojekten

In Anbetracht des enormen ICT-Auftragsvolumens und der Mitarbeiterzahl der öffentlichen Hand mangelt es wohl sicher nicht an Großprojekten. Fraglich könnte dagegen sein, wie projektverantwortliche Akteure - interne wie auch externe - die mit ICT-Projekten häufig einhergehenden Veränderungsprozesse steuern. Aufgrund der Rahmenbedingungen des öffentlichen Sektors bedarf es hier häufig spezifischer Steuerungsmechanismen, die sich von denen in Industrie und Wirtschaft deutlich unterscheiden.

7. Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen

Zur Wirtschaftlichkeit von Public-ICT müssen geeignete Modelle Anwendung finden, die sich schon mangels eines "realen Marktes" mit Marktpreisbildungsmechanismen deutlich von denen in Industrie und Wirtschaft unterscheiden. Vielfältige Aspekte kommen hinzu, exemplarisch sei auf Fragen der Daseinsvorsorge verwiesen. Daher ist - besonders bei Pflichtaufgaben - die Wirtschaftlichkeit von der Kostenbetrachtung zu unterscheiden, wobei das bereits zitierte Minimalprinzip sowie die Innovationslücke eine wesentliche Rolle spielen.

CIO.DE - Der Originalartikel vom 7. Juni

"Woran IT-Projekte in Behörden scheitern" ist ein Artikel von Christiane Pütter. Darin sind die Thesen zusammengefasst, die Booz & Co. in "IT-Programme im öffentlichen Sektor - Transformation statt Baustellen-Dschungel" ausführt.