Die Grenzen der IT-Industrialisierung (Teil II)

Wo Prozesse und Prozess-Steuerung Sinn machen

10.09.2009 von Hartmut  Wiehr
Die Vorschläge der Industrie zur Steigerung der Qualität und Senkung der Kosten taugen nur bedingt dazu, die Geschäftsprozesse im Krankenhaus zu verbessern. Doch in bestimmten Bereichen können Prozesse und Prozesssteuerung sinnvoll zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit eingesetzt werden.

Von Johann Walter und Harald Mang (*)

Krankenhaus-IT lässt sich nur teilweise durch Automatisierung und Prozesse steuern.


Im ersten Teil dieses Artikels kamen wir zu dem Ergebnis, dass man insgesamt nicht um die Tatsache herumkommt: Die IT kann im Healthcare-Bereich nicht ihren Anspruch einlösen, die Geschäftsprozesse umfassend zu verbessern. IT-Systeme verbessern zwar einzelne Abläufe oder periphere Prozesse, beispielsweise die Abrechnung oder die Lagerverwaltung. Die medizinischen Leistungsprozesse der Diagnose und Therapie lassen sich jedoch nur selektiv unterstützen. Am weitesten fortgeschritten ist die IT-Unterstützung noch bei einzelnen Funktionen, beispielsweise der Radiologie, der Labordiagnostik oder in der Anästhesie.

Um Dienstleistungen zu optimieren, ist ein anderes Vorgehen notwendig als in der Industrie: Eine Möglichkeit im klinischen Ablauf sind die Case Manager, die sich um einen Fall beziehungsweise einen Patienten kümmern. Es gibt im Krankenhaus drei große Interessensgruppen - die Ärzte, die Pflege und die Verwalter und Kaufleute -, die alle mit einem Fall zu tun haben. Getrieben durch die Klinikverwaltung sind die Verwalter und die Kaufleute eifrig dabei, die Zustände der Supportfunktionen zu verbessern. Die Pflege hat spätestens seit der Einführung der Fallpauschalen erkannt, dass das Prozessmanagement ihr hilft, um die Abläufe zu verbessern. Es bleiben die klinischen Prozesse: Diagnostik und Therapie.

Um erfolgreich und letztlich exzellent zu sein, sind am Ende die klinischen Prozesse Diagnose und Therapie zu verbessern. Innerhalb des Operationen- und Prozeduren-Schlüssels umfassen die diagnostischen Maßnahmen etwa 8 Prozent der Seiten, die Hälfte davon sind bildgebende Diagnosen, die Operationen machen zwei Drittel aller Prozeduren aus, den Rest von ein Viertel machen die nicht-operativen Prozeduren aus. Hinter den Diagnosen und Therapien steckt sehr viel medizinisches Wissen, Expertise, Know-how, Erfahrung und Geschick. Bisher ist dieser Wissensbereich sehr stark an die handelnden Personen, in erster Linie die Ärzte, gebunden. Es dürfte sich aber lohnen, gerade in den sehr personalintensiven Prozessen nach Verbesserungsmöglichkeiten zu schauen – in der medizinisch-therapeutischen Behandlung selbst und in dem näheren Umfeld, in dem die Behandlung stattfindet.

Die diagnostischen Maßnahmen machen zwar nur 8 Prozent der Operationen und Prozeduren aus, sie werden aber doch häufig angewendet, nach den Angaben des statistischen Bundesamtes machen sie etwa ein Drittel aller Maßnahmen aus.

IT als Unterstützung der klinischen Pfade

Neben medizinischen Innovationen sind auch Prozessinnovationen notwendig. Hier kann eine Klinik durchaus etwas von der Industrie lernen: In einem Industrieunternehmen sind die Entwicklungs-, Logistik- und Marketingleiter gleichzeitig die Prozessverantwortlichen und die Treiber der Prozessverbesserung, nicht nur der kontinuierlichen, sondern auch der umfassenden im Sinne von Re-engineering. Die Chefärzte als Leiter einer Klinik, klinischen Abteilung oder eines Instituts sind die Unternehmer analog den Leitern der Geschäftseinheiten in einem Industrieunternehmen mit verschiedenen Sparten. Die Oberärzte entsprechen den Prozessverantwortlichen oder Abteilungsleitern, sie kennen die Abläufe, sie wissen um die Probleme, sie sind es, die Verbesserungen einleiten, einfordern und treiben können.

Die Rhönkliniken zum Beispiel propagieren neue Rollen der Ärzte: den universell ausgebildeten Arzt als Patientenbetreuer, den Spezialisten, den ärztlichen Betriebsleiter und den Beratungsspezialisten für die Zweitmeinung. Während hier das Chefarztmodell in Frage gestellt wird, hat in Deggendorf die Leiterin des dortigen Krankenhauses, Inge Wolff, die Chefärzte zu „Unternehmern“ gemacht.

Die klinischen Pfade können das medizinische Wissen und die Erfahrung nicht ersetzen: Mediziner müssen schnell entscheiden in kritischen Situationen, deshalb muss die Ausbildung eines Mediziners bei der Erstellung von Arbeitsanweisungen und Operating Procedures berücksichtigt werden. Allerdings können manche Tätigkeiten durchaus von Pflegekräften durchgeführt werden, wenn die Abläufe standardisiert sind und als Vorgänge auch in einem IT-System abgebildet werden können. Solche klinischen Pfade geben den Pflegekräften und Ärzten Sicherheit im Handeln.

Krankheit und deren Behandlung bedeutet immer auch Risiko für den Patienten, von vorübergehenden über bleibende bis zu tödlichen Komplikationen. Die Komplikations- und Mortalitätsraten zu senken, ist ein menschliches, medizinisches, betriebswirtschaftliches und volkswirtschaftliches Anliegen. Komplikationen sind aber auch Einzelfälle: Wenn es um solche Einzelfälle geht, sind viele Maßnahmen notwendig, um am Ende eine niedrige Fehlerrate zu erreichen. Auch hier ist ein Einsatzbereich von IT zu sehen.

Die Automobilindustrie zeigt, wie geringe Ausfälle der Autos im Betrieb erreicht werden können: ein Qualitätsmanagement-System, das verschärfte Standards nutzt, regelmäßige Inspektionen des Systems und Assessments der Prozesse, vor allem des Software-Entwicklungsprozesses, einschließlich der Vorgabe von Reifegraden, die erreicht sein müssen, um als Lieferant an neue Aufträge zu kommen.

Zusätzlich kommen methodische Ansätze wie Six Sigma zum Einsatz, um die Probleme gezielt und nachhaltig anzugehen. Der Erfolgsfaktor Nummer Eins sind im Krankenhausbereich allerdings die Menschen: die Führungskräfte, die Fehler als Chance zur Verbesserung betrachten, und die Mitarbeiter, die die Notwendigkeit der sorgfältigen Arbeit erkennen und Fehler offen ansprechen können.

Behandlungsfremde Tätigkeiten, beispielsweise die Abrechnung, dürfen die klinischen Prozesse nicht behindern: Die Supportfunktionen übernehmen die Aufgaben des Controlling, also des Planens und Kontrollierens, und der Statistik, sie halten diese Tätigkeiten fern von den Personen, die unmittelbar mit dem Patienten zu tun haben. Sie optimieren damit die Abläufe soweit, dass sie nicht als hinderlich angesehen werden, vor allem die Arbeit mit den Krankenversicherungen, die für den Patienten die Kostenerstattung übernehmen.

Die Finanzierung der Kliniken ist heute zweigeteilt: Die Behandlungskosten werden nach DRG über die Krankenkassen erstattet, die Investitionen haben die Länder und Gemeinden zu tragen. Prozessverbesserungen lassen sich ohne Investitionen nur in marginalem Umfang realisieren; oft sind verbesserte Abläufe nur in entsprechenden Gebäuden möglich, die Zusammenfassung der Lager erfordert ein Zentrallager. Prozessverbesserungen, die nachweislich Geld einsparen, müssen auch über das Budget und den Investitionsplan hinaus möglich sein. IT-gestützte Verfahren sind hier inzwischen selbstverständlich.

Die Klinik als Wirtschaftsunternehmen

Alle Handlungsträger müssen sich heute darüber im Klaren sein: Eine Klinik ist ein Wirtschaftunternehmen – nach der Einführung der DRGs mehr denn je. Und ein Wirtschaftsunternehmen steht im Wettbewerb: Um erfolgreich am Markt agieren zu können, müssen seine Produkte einen Kunden finden, der das Produkt als Lösung seines Problems betrachtet und deshalb bereit ist, Geld dafür auszugeben. Doch so einfach läßt sich dieses Wirtschaftsmodell dennoch nicht auf den medizinischen Sektor der Gesellschaft übertragen. Eine Klinik hat auch einen Versorgungsauftrag für alle zu erfüllen, als Universitätsklinikum zusätzlich noch einen Lehr- und Forschungsauftrag.

Durch eine Verbindung mit den Geschäftszielen können Daten und Prozesse sinnvoll eingeordnet werden.

Ein Unternehmen, mithin auch eine Klinik, sollte eine Vision haben, eine Strategie, die die Richtung vorgibt, eine Organisation, die die nötigen Kompetenzen an Bord hat, um die Strategie zu verwirklichen. Dazu gehören auch IT-gesteuerte Prozesse, die die Ressourcen optimal einsetzen, Informationen für und über das laufende Geschehen, im Unternehmen, um Plan und Ist miteinander vergleichen zu können, und verlässliche Daten, die im Unternehmen überall und jederzeit bereitstehen und ausgewertet werden können.

Zwischen den Ebenen Vision, Strategie, Organisation, Prozess, Information und Daten existieren Verbindungsglieder, Scharniere: Die Kultur eines Unternehmens fördert die strategische Umsetzung einer Vision; die Strategie wird dort wirksam umgesetzt, wo die strategischen Ziele zu den persönlichen Zielen eines Klinikleiters werden. Die Menschen in der Organisation übernehmen verschiedene Rollen in den Prozessen.

Stichwort "elektronische Patientenakte"

In den Prozessen erhalten Objekte eine Wertschöpfung: Der Patient kommt krank in die Klinik und wird geheilt wieder entlassen. Der Durchlauf des Patienten durch den Prozess benötigt Informationen: über den Patienten, gleichzeitig werden Informationen zu dem Objekt gesammelt, beispielsweise über die Wirkung der Therapien. Und diese Informationen liegen häufig strukturiert vor nach definierten Formaten – Stichwort „elektronische Patientenakte“ – und sind als Daten in den Datenbanken gespeichert. So wie der Weg von oben nach unten, von der Vision zu den Daten möglich ist, so können auch von der Dateninfrastruktur aus über die Prozesse die Strategie und die Wirksamkeit ihrer Umsetzung überprüft werden.

Teil I ist unter dem Titel Die Grenzen der IT-Industrialisierung auf cio.de erschienen.

(*) Johann Walter ist Lehrbeauftragter der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg im Master-Studiengang "Medical Process Management“ und Autor des Buches "Geschäftsprozessmanagement umsetzen“ (Hanser, 2009).

Harald Mang ist Professor für Anästhesiologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.