Geschäftsmodelle und IT

Zehn Fragen für den wertschöpfenden CIO - Teil 1

31.07.2006 von Hubert Österle und Henning Kagermann
Seit dem Platzen der E-Business-Blase gilt die Informatik in vielen Unternehmen nur noch als Kostenfaktor; der CIO hat primär über die erreichten Kostenreduktionen zu berichten. Dass dies aber nicht überall so ist oder dass sich der Fokus des Geschäfts von den Kosten wieder auf das Wachstum des Unternehmens verschiebt, deuten aktuelle Studien an. Die Autoren Henning Kagermann und Hubert Österle stellen 10 der häufigsten Fragen an den CEO vor.

Auch und gerade diejenigen CEOs, die in ihrer Karrierelaufbahn bereits verantwortliche Positionen in der Informatik innehatten, möchten vom CIO wissen, was die Informatik zur Steigerung des Unternehmenswerts beiträgt; nicht wie sie sich intern organisiert, auf welche Applikationen sie setzt oder welchen Hardwarelieferanten sie bevorzugt.

Die Informatik soll das Geschäftsmodell effizient umsetzen und darüber hinaus innovative Ansätze, welche eine Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb ermöglichen, in das Geschäft hineintragen. Dioe folgenden Fragen bieten eine Checkliste für den CIO, wie nahe er am Geschäft ist, ob er die richtigen Themen priorisiert und die Leistungen seiner Informatik businessgerecht kommuniziert.

1. Hilft uns die Informatik, unseren Kunden bessere und preisgünstigere Dienstleistungen als der Wettbewerb zu bieten?

Kunden erwarten Lösungen, nicht Produkte. Der Lösungsanbieter soll sie in ihrer Problemlösung, also in ihrem individuellen Kundenprozess, möglichst umfassend unterstützen. Für Endress+Hauser, einen Schweizer Spezialisten für Messgeräte und Automatisierungslösungen, bedeutet dies: "Wir müssen natürlich effiziente Mess-Systeme liefern. Aber mindestens so wichtig wie das Produkt ist das Lösungs-Knowhow, welches den Kunden für ihre Aufgabe den höchsten Nutzen bringt" (CEO Klaus Endress).

Der dadurch geschaffene Mehrwert für den Kunden erhöht den Unternehmenswert, weil der Kunde dafür einen höheren Preis akzeptiert. So können beispielsweise deutsche Maschinenbauer einer Studie von Mercer Management Consulting zufolge mit Services eine Umsatzrendite von zehn Prozent erzielen, mit dem Verkauf von Produkten hingegen nur 2,3 Prozent.

Endress+Hauser setzt für das Asset Management in allen Phasen des Lebenszyklus einer Anlage auf das Prozessportal W@M. Das Portal bündelt für den Kunden Services von der Planung einer Anlage, über den Kauf von Messgeräten und den Anlagenbetrieb bis hin zu Wartung und Ersatzbeschaffung.

In der Planungsphase ermittelt der Kunde durch Eingabe von Anwendungsparametern die geeigneten Mess- und Steuergeräte. Ausgewählte Produkte können ebenso wie Ersatzteile, Verbrauchsmaterialien und Dienstleistungen wie die Kalibrierung eines Messgeräts über einen E-Shop bestellt werden. Endress+Hauser verwaltet alle diese Daten in einem zentralen Datenbestand, dem Common Equipment Record.

Der Kunde kann hier auch bei ihm installierte Wettbewerberprodukte verwalten und hat so stets einen Überblick über seine gesamte Anlage. W@M stellt ihm auch laufend Dokumente und Software-Aktualisierungen zu seinen Produkten zur Verfügung. Endress+Hauser verzeichnet jährlich 370.000 Downloads von technischen Dokumenten, 95 Prozent davon direkt durch Kunden.

Das Portal bietet weiterhin die Möglichkeit, bestimmte Geräte remote zu konfigurieren sowie Füllstände zu überwachen. Kunden von Endress+Hauser können dadurch gemeinsam mit den jeweiligen Lieferanten neue Geschäftslösungen wie Vendor Managed Inventory (VMI) realisieren.

Wer neue Services anbietet und bestehende billiger als der Wettbewerb bereitstellen kann, kann sich erfolgreich vom Wettbewerb differenzieren. Ein hohes Potenzial bieten elektronische Dienstleistungen - sie können zeit- und ortsunabhängig angeboten werden und einmal entwickelt, sind die Kosten für die Bedienung eines zusätzlichen Kunden praktisch zu vernachlässigen.

2. Erhöht unsere Informatik die Convenience für unsere Kunden und Geschäftspartner?

Geschäftskunden wie Privatkunden bewerten häufig die Bequemlichkeit einer Kundenbeziehung höher als den Preis. Anbieter von "Rund-um-Sorglos-Paketen" nehmen den Kunden die Komplexität der Auswahl und der Koordination verschiedener Lieferanten, des Aufbaus eigenen Lösungs-Know-hows usw. ab.

Der Kunde wählt die Produkte von ABB Turbo Systems - grosse Abgasturboladern für den Einsatz auf Schiffen, in Kraftwerken sowie auf Lokomotiven schweren Baustellen- und Minenfahrzeugen - weil ihm der Weltmarkführer weltweit den besten Service garantieren kann und ihm alle Arbeitschritte zur Turboladerwartung abnimmt.

ABB Turbo Systems kann so beispielsweise den Schiffseignern Wartung und Reparaturen weltweit binnen 48 Stunden zusagen, unabhängig davon, welche der 82 Servicestationen das Schiff gerade in Anspruch nimmt.

Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das Turboladerportal ATURB@WEB, das weltweit alle benötigten Informationen in Echtzeit bereitstellt. So können die Servicemitarbeiter die Konfiguration jedes Turboladers inklusive seiner Wartungs-Historie abfragen, Montage- und Betriebsanleitungen herunterladen und Ersatzteile oder neue Turbolader bestellen. Weiterhin ermöglicht die Verfolgung des Wartungsstandes der einzelnen Turbolader, geeignete Servicezeitpunkte zu ermitteln und aktiv auf den Kunden zuzugehen.

Um die Erwartungen der Reeder an die "perfekte" Turboladerwartung zu erfüllen, muss ABB Turbo Systems den Idealprozess weltweit standardisieren. CEO Daniel Arnet formuliert: "Neue Abläufe lassen sich am einfachsten erzwingen, wenn der Einsatz einer Standard-Software gar keine Alternative mehr zulässt." ATURB@WEB bietet den ABB-Kunden ein Sorglospaket. Sie können sich darauf verlassen, dass ihr Turbolader läuft und die Liegezeiten kurz sind.

Convenience für den Kunden bedeutet ein "Alles-aus-einer-Hand". Die Informatik kann die Convenience erhöhen, wenn sie alle Produkt- und Kundendaten und alle Prozesse so integriert, dass für das Unternehmen ein "One-face-to-the-Customer" möglich ist. Sicherheit und Zuverlässigkeit der Geschäftslösungen sind zwei weitere Aspekte.

3. Ist unsere Informatik bereit für nutzungsabhängige Preismodelle?

Die Preismodelle müssen den Wandel von der produkt- zur kundenzentrierten Sicht mitmachen, also vom Produkt- zum Lösungspreis kommen. Für den Kunden ist die Abrechnung auf Basis der genutzten Leistung wesentlich einsichtiger, da er für den geschaffenen und unmittelbar erkennbaren Mehrwert bezahlt.

Kaeser Kompressoren mit Sitz in Coburg bietet unter dem Namen "Sigma Air Utility" ein Betreibermodell für Druckluft an. Nach der Untersuchung des individuellen Druckluftbedarfs offeriert das Unternehmen einen Betreibervertrag mit einer auf die Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Infrastruktur und einem Basisvolumen an Druckluft zum Fixpreis sowie einem Preis pro Kubikmeter Zusatzverbrauch. "Unsere Kunden möchten Druckluft für die speziellen Einsatzgebiete in ihrem Unternehmen - und nicht Kompressoren", erläutert CEO Thomas Kaeser.

Der Kfz-Versicherer Norwich Union ist in einer Marktuntersuchung zu dem Schluss gekommen, dass 90 Prozent der Kunden nutzungsbezogene Kfz-Versicherungsprämien wünschen. Das Unternehmen bietet mit "Pay as you drive" als eines der ersten Unternehmen Versicherungsprämien in Abhängigkeit von Fahrkilometern, Tageszeiten und Strassentypen. Dazu wird in das Fahrzeug ein GPS-Sender eingebaut. Die Informationssysteme der Versicherung müssen die laufend eingehenden Bewegungsdaten in Fahrkilometer umrechnen und abhängig von Strassentyp und Tageszeit bepreisen, die anfallenden Prämienbestandteile dem richtigen Kunden zuordnen und beispielsweise bei Verkauf des Fahrzeuges auf Knopfdruck die Versicherungsprämie ausweisen.

Nutzungsabhängige Preismodelle stellen höchste Anforderungen an die Detaillierung der Leistungskomponenten, ihre Kalkulation, die Erfassung des Verbrauchs und die Abrechnung gegenüber den Kunden. Die Voraussetzung ist die Beherrschung eines hohen Datenvolumens, sowie Prozesse und Applikationen, die die komplexe Geschäftslogik effizient umsetzen können. Wenn die Informatik diese Preisbildung unterstützen kann, wird sie in der Regel auch andere Preismodelle problemlos realisieren können.

4. Welche neuen Kundensegmente oder Regionen können wir durch die Informatik erreichen?

Das Unternehmen nutzt seine Wachstumschancen, wenn es seine Zielkunden weltweit erreicht, also über seine angestammte Region aber auch über angestammte Kundensegmente hinaus.

Zwei Drittel der von Österle und Kagermann befragten Vorstände sehen in der Globalisierung die grösste Herausforderung für ihr Geschäft und verfolgen eine Strategie des Wachstums in neue Märkte. Herbert Meyer, CFO von Heidelberger Druckmaschinen betont: "Entwicklungskosten neuer Druckwerke können wir nur noch über einen globalen Absatzmarkt erwirtschaften." Das Unternehmen möchte deshalb weltweit der "beste Partner" seiner Kunden sein - sei es eine Druckerei in China, Brasilien oder Deutschland.

Im Service steht dem Kunden beispielsweise rund um die Uhr ein Ansprechpartner zur Verfügung. Dieser kann mit dem Kunden zusammen über ein Remote Service Tool das Problem lösen und dafür bei Bedarf online auch Spezialisten beiziehen. Noch einen Schritt weiter geht der ebenfalls angebotene "Proactive Service". Die Maschine meldet auftretende Probleme über das Internet direkt an das Serviceteam von Heidelberger Druckmaschinen, das defekte Teile austauschen kann, bevor es zum Stillstand der Maschine kommt.

Der bekannte Schweizer Schokoladenfabrikant Lindt&Sprüngli belieferte traditionell den Grosshandel. Das Unternehmen möchte aber auch den Endkunden erreichen und ihn ähnlich wie Blumenservices beim kurzentschlossenen Verschenken über Internet und Call Center unterstützen. Die notwendige feingliedrige Logistik ist keine Kernkompetenz des Unternehmens, sondern wird von yellowworld bezogen. Die Tochter der Schweizer Post tritt als Logistikvermittler auf und koordiniert über eine Exchange für die Auftragsabwicklung ein Netzwerk von Spezialisten unter anderem für Kleinkommissionierung, weltweite Zustellung und Zahlungsabwicklung. Lindt & Sprüngli konnte so das neue Geschäftsfeld "Privatkunde" schnell und kostengünstig erschliessen.

Globalisierung, Mergers & Acquisitions, Outsourcing, Insourcing, Supply Chain Management, Kundenanbindung und andere Entwicklungen treiben die Vernetzung innerhalb von Unternehmen und zwischen Unternehmen. Der grosse Teil der neuen Geschäftskonzepte beruht auf elektronisch ermöglichten Kooperationsprozessen über Kontinente und Unternehmen hinweg.

5. Hilft die IT, den "Share-of-Wallet" bei unseren Kunden zu verbreitern?

Das Ziel jedes Unternehmens ist es, den Markt für seine Produkte und Dienstleistungen möglichst umfassend auszuschöpfen, also nicht nur mehr Kunden zu erreichen, sondern diesen auch mehr zu verkaufen.

Wer in der Lage ist, den Kunden über den ganzen Kundenprozess, also alle Aktivitäten zur Lösung eines Kundenproblems mit seinen Produkten und Dienstleistungen zu unterstützen, kann mit ihm mehr Geschäft machen als ein Zulieferer einzelner Produkte.

Der Kunde erwartet von Hilti nicht hochwertige Bohrmaschinen, sondern Löcher. Das liechtensteinische Unternehmen bietet mit seinem Fleet Management einen Vollservice für den Bau, beginnend mit der kundenindividuellen Geräteauswahl, ihrer Inventarisierung und diebstahlsicheren Kennzeichnung bis hin zu Finanzierung und Ersatz. Für Spezialanwendungen und Kapazitätsengpässe kann der Kunde auch auf einen Mietservice zurückgreifen. Das Fleet Management hilft Hilti, durch den Verkauf ganzer "Maschinenparks" und einer Reihe weiterer Leistungen im Kundenprozess den "Share-of-Wallet" an den Kundenausgaben zur "Löcherfertigung" zu erhöhen.

Die Drehscheibe zur Umsetzung dieses Geschäftsmodells ist eine integrierte Kundendatenbank, die alle beteiligten Mitarbeiter, sei es im Verkauf, im Service oder in der Rechnungsstellung, jederzeit und aktuell mit allen Informationen über den Kunden und die von ihm benötigte Geräteflotte versorgt. Ein Konfigurator hilft dabei, aus der Vielzahl verschiedener Gerätetypen und -varianten den besten "Maschinenpark" für den Kunden zusammenzustellen.

Das Buch "Geschäftsmodelle 2010 – Wie CEOs Unternehmen transformieren" (H. Kagermann / H. Österle) fasst die Erkenntnisse aus 26 Tiefeninterviews mit Vorständen und der Studie "Business 2010" der Economist Intelligence Unit bei über 3700 Vorständen aus Europa, Amerika und Asien sowie zahlreichen Forschungs- und Praxisprojekten in einer CEO-Agenda zusammen.

Henning Kagermann ist seit 1998 Vorstandsprecher der SAP. Kagermann ist gesamtverantwortlich für die Strategie und Unternehmensentwicklung der SAP. Hubert Österle ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen und Präsident des Verwaltungsrates der Information Management Group (IMG). Seine Lehr- und Forschungsgebiete sind Geschäftsmodelle für das Informationszeitalter, Business Networking und Business Engineering.