Geschäftsmodelle und IT

Zehn Fragen für den wertschöpfenden CIO - Teil 2

07.08.2006 von Hubert Österle und Henning Kagermann
Seit dem Platzen der E-Business-Blase gilt die Informatik in vielen Unternehmen nur noch als Kostenfaktor. Der CIO hat primär über die erreichten Kostenreduktionen zu berichten. Dass dies aber nicht überall so ist oder dass sich der Fokus des Geschäfts von den Kosten wieder auf das Wachstum des Unternehmens verschiebt, deuten aktuelle Studien an. Die Autoren Henning Kagermann und Hubert Österle beschäftigen sich im zweiten Teil dieser Serie unter anderem mit Themen, wie die IT für Kostensenkungen bei Geschäftsprozessen genutzt werden kann, oder wie sie hilft neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Auch und gerade diejenigen CEOs, die in ihrer Karrierelaufbahn bereits verantwortliche Positionen in der Informatik innehatten, möchten vom CIO wissen, was die Informatik zur Steigerung des Unternehmenswerts beiträgt; nicht wie sie sich intern organisiert, auf welche Applikationen sie setzt oder welchen Hardware-Lieferanten sie bevorzugt.

Die Informatik soll das Geschäftsmodell effizient umsetzen und darüber hinaus innovative Ansätze, welche eine Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb ermöglichen, in das Geschäft hineintragen. Die folgenden Fragen bieten eine Checkliste für den CIO, wie nahe er am Geschäft ist, ob er die richtigen Themen priorisiert und die Leistungen seiner Informatik businessgerecht kommuniziert.

6. Wo kann die Informatik die Eintrittsbarriere gegenüber Wettbewerbern erhöhen?

Geschäftsmodelle sind Wettbewerbsvorteile auf Zeit. Anders als Produkte sind sie nicht patentierbar und werden früher oder später von Wettbewerbern kopiert. Je zufriedener aber der Kunde mit den Unternehmensleistungen ist, je besser der Service, je angenehmer und umfassender die Zusammenarbeit, desto weniger denkt der Kunde über einen Wechsel des Lieferanten nach.

Markt- und Kundeninformationen können zu einer hohen Eintrittsbarriere für Mitbewerber werden. Die Schweizer Creditreform liefert seit Jahren Bonitätsauskünfte für und über Kunden. Als in den achtziger Jahren ausländische Informationsdienste in den Schweizer Markt drängten, entschied sich CEO Willy Egeli, seinen Informationsbestand nicht an die grösseren Konkurrenten zu verkaufen, sondern sein Unternehmen mit massiven Investitionen in Prozesse und IT in eine Online-Kreditauskunft auf Basis einer umfassenden Datenbank zu transformieren. "Mit dem Vorsprung durch unsere Online-Datenbank, ist es für Wettbewerber uninteressant geworden, auf den Schweizer Markt zu drängen", erklärt Egeli. Creditreform konnte sich trotz höherer Preise erfolgreich behaupten.

Viele Unternehmen erhöhen die Eintrittsbarriere für die Konkurrenz auch dadurch, dass sie dem Kunden Komplexität in seinen Prozessen abnehmen. Röhm stellt Spezialkunststoffe, beispielsweise für die Lackindustrie, her. Zusammen mit BASF Coatings entwickelte der Degussa-Geschäftsbereich Röhm ein erweitertes Vendor Managed Inventory, das neben der Bewirtschaftung eines Konsignationslagers, der aktuellen und exakten Übernahme der Tankfüllungen beim Kunden via Telemetrie, der Übernahme von Vorhersagewerten, der Weitergabe von Qualitätsinformationen zu Chargen auch die elektronische Abrechnung der Lieferungen umfasst.

Der frühzeitige Zugriff auf planungsrelevante Daten und Prozessvereinfachungen kompensierten den Mehraufwand für die Lagerbewirtschaftung. Die Partner errechneten ein gemeinsames Einsparvolumen von 500.000 EUR jährlich, wovon bisher 100.000 EUR pro Jahr allein an Bestellkosten eingespart werden konnten. Röhm sieht seinen Hauptnutzen in der stärkeren Verbindung mit dem Kunden und dessen Prozessen.

Die Informatik kann dem Unternehmen helfen, sich durch überlegenes Know-how und effiziente Zusammenarbeit durch elektronische Kooperation gegen neue Wettbewerber zu behaupten. Kundendatenbanken und Prozesse, die diese Daten nutzen, setzen allerdings oft hohe Anfangsinvestitionen und häufig jahrelanges Durchhaltevermögen voraus.

7. Welche Kostensenkung in den Geschäftsprozessen ist durch IT möglich?

Operational Excellence, also die Fähigkeit, kundenindividuelle Lösungen schnell und kostengünstig bereitzustellen, gilt heute vielfach als selbstverständlich. Tatsächlich können aber nur jene Unternehmen aus Lösungspaketen für individuelle Kundenprobleme Unternehmenswert schaffen, denen es gelingt, die damit verbundene Komplexität zu managen.

Schiesser, bis vor wenigen Jahren ein integriertes Unternehmen für hochwertige Wäsche (vom Design über die Produktion bis zur Distribution), konzentriert sich zunehmend auf seine Kernkompetenz, die Herstellung hochwertiger Kleidungsstücke, unter anderem auch für Marken wie Polo Ralph Lauren, Puma, Levi’s oder Mexx.

CEO Winfried Daltrop: "Wir stehen vor der Herausforderung, mit möglichst geringem Ressourceneinsatz dem Verbraucher unterschiedliche Marken anzubieten. Jeder unserer Markenpartner transportiert mit seinen Marken ein Lebensgefühl für eine bestimmte Zielgruppe. Dies muss auch in den Produkten zum Ausdruck kommen. Schiesser ist mit nur einem Entwicklungsprozess in der Lage, Textilien im Design unterschiedlicher Marken zu entwickeln. Jeder weitere Entwicklungsprozess würde zusätzliche Komplexität ins Unternehmen bringen. Erhöhte Komplexität wirkt sich aber in der Regel negativ auf die Deckungsbeiträge aus."

Der bisherige Entwicklungsprozess dauerte von der ersten Farbidee bis zur Lieferung in den Handel ca. 14 Monate. Inzwischen hat Schiesser die Designprozesse komplett umgestellt und dadurch die Entwicklungszeit auf etwa sechs Monate verkürzen können. Für neue Produkte können die Entwickler auf eine umfangreiche Bibliothek von Standardschnitten zurückgreifen und diese kreativ kombinieren und verändern. Dadurch gelingt es dem Unternehmen, die Komplexität der Produktentwicklung zu verringern und damit auch die Time-to-Market zu verkürzen.

"Schiesser hat ein spezifisches Geschäftsmodell, das wir in Strategie und Prozessen auf Basis von IT-Applikationen umsetzen" (CEO Winfried Daltrop). Prozessautomatisierung, Transparenz über Geschäftsvorfälle und Lösungs-Know-how sowie Integration von Insellösungen haben ein hohes Potenzial zur Kostensenkung in Geschäftsprozessen.

8. Wie erleichtert unsere Informatik die Reorganisation unseres Unternehmens und der Value Chain?

Elektronische Vernetzung ermöglicht neue Formen der Arbeitsteilung. Innovative Geschäftsmodelle bündeln deshalb auch Aufgaben und Teilprozesse, die an verschiedenen Stellen in der Value Chain gebraucht werden, und konzentrieren sie an einer Stelle, sei es im eigenen Unternehmen oder bei Partnern.

Hat ein Unternehmen eine enge, elektronische Kooperation mit einem anderen Unternehmen realisiert, ist es noch lange nicht netzwerkfähig. Peter Kraus, CIO von ZF Friedrichshafen, formuliert das so: "Die Einhaltung der eigenen unternehmensspezifischen Prozesse in Entwicklung, Logistik und Wartung seitens der Automobilzulieferer ist für jeden Automobilhersteller von zentraler Bedeutung. Für einen Lieferanten, wie die ZF Friedrichshafen AG, der mehrere Hersteller bedient und eng mit diesen zusammenarbeitet, führt dies system- und prozessseitig zu jeweils individuellen Implementierungen der geforderten Kooperationsszenarien. Mit zunehmender Tiefe der Kooperation wird die Komplexität größer. M:N fähige Prozesse und Systeme können in Zukunft dazu beitragen, die Netzwerkfähigkeit zu erhöhen, gleichzeitig den Komplexitätsgrad zu verringern und die Wertschöpfung innerhalb der Lieferkette zu vergrößern."

Netzwerkfähigkeit heisst, mit wenig Aufwand und innerhalb kurzer Zeit einen Kooperationsprozess aufzusetzen. Das kann eine Kooperation zwischen Unternehmen oder aber auch integrierte Prozesse innerhalb eines Unternehmens bedeuten.

Cisco hat einen erheblichen Teil seines spektakulären Wachstums über Unternehmensakquisitionen erzielt. Cisco integriert zugekaufte Unternehmen grundsätzlich so, dass diese die Cisco-Prozesse und -Systeme übernehmen und damit den Cisco-Standard einhalten.

Netzwerkfähigkeit ist primär eine Frage der Standardisierung von Geschäftsregeln, Prozessen, IT-Funktionen und Daten. Die Identifikation von Services und die Verwendung derselben Services durch alle Netzwerkteilnehmer wird zum Schlüssel. Diese Services können innerhalb eines Unternehmens liegen, zugekaufte Standard-Software sein oder als Online-Services (z. B. in einer Exchange) von aussen bezogen werden.

9. Wie kann die Informatik die Umsetzung des Geschäftsmodells beschleunigen?

Eine der wichtigsten Herausforderungen der Unternehmen in den nächsten Jahren ist gemäss der erwähnten Economist-Studie die Geschwindigkeit, mit der sich Unternehmen an neue Marktsituationen anpassen.

"Wir wissen noch nicht, was uns der Markt in zwei Jahren bringen wird. Unsere Informatik muss flexibel sein und sich unserem Geschäftsmodell schnell anpassen." Derartige Erwartungen vieler Geschäftsleitungen sind kaum verwunderlich, wenn das Marketing von IT-Anbietern, ja sogar Berater und Wissenschaftler verkünden, dass wir demnächst Unternehmenssoftware wie Lego-Bausteine zusammenstecken können, dass eine Best-of-Breed-Strategie alle Optionen eröffnet oder dass wir Computerfunktionen bei Bedarf "aus der Steckdose" gegen Bezahlung pro Geschäftsfall beziehen.

Derartige Simplifizierungen sind gefährlich, wie die Erfahrung mit dem e-Business-Hype lehrt. Es gibt keine Informationsarchitektur, die jedes Geschäftsmodell reibungslos unterstützt, wohl aber eine für das aktuelle Geschäftsmodell und absehbare Veränderungen.

Die serviceorientierte Architektur (SOA) für Unternehmens-Software unterstützt die schnelle Komposition von Prozessen für neue Geschäftsmodelle, indem sie die Kombination zugehöriger Applikationskomponenten auf einer einheitlichen Plattform ermöglicht. Einige technologische Vorreiter haben in den letzten Jahren in Teilbereichen bereits erfolgreich serviceorientierte Architekturen realisiert. ABB bündelt mit seinem Order-Management-System geschäftsbereichsübergreifend Services zur Auftragsabwicklung und die Credit Suisse hat mit ihrem "CS Information Bus" ihre Flexibilität, insbesondere mit Blick auf neue Bankprodukte, erheblich erhöht.

Innovative Lösungen differenzieren vom Wettbewerb lediglich so lange, bis die Konkurrenz nachgezogen hat. Die Transformationsgeschwindigkeit wird so wichtig wie die Geschäftskonzepte selbst. Die Informatik hat die Aufgabe, durch eine flexible Informationsarchitektur Agilität für Veränderungen des Geschäftsmodells zu schaffen.

10. Welche unserer Informatikleistungen sind teurer als bei unseren Wettbewerbern?

Die Kostensenkungswelle in der Informatik versuchte vielfach, Effizienz "mit dem Rasenmäher" zu erzielen. Die Einsparungsvorgaben wurden oft dort umgesetzt, wo sie am einfachsten zu realisieren waren, und nicht dort, wo sie am nötigsten waren. "Kostensenkung geschieht in der Regel durch Streichung und Verschiebung von Projekten. Der fortgesetzte Betrieb von Altsystemen kann jedoch hohe Folgekosten verursachen", warnt Herbert Meyer, CFO von Heidelberger Druckmaschinen. Als Konsequenz sind heute verschiedenen Studien zufolge etwa 75 bis 80 Prozent des Informatikbudgets Betriebskosten. Aber nur Innovationen schaffen Wettbewerbsvorteile.

"Unser Ziel ist es, die Betriebskosten der Informatik zu senken und mehr Geld für Innovation ausgeben zu können", beschreibt Degussa-Vorstand Alfred Oberholz, als Chief Development Officer neben Forschung & Entwicklung auch für die Informatik zuständig, die Stoßrichtung beim Management der Informatik. Degussa hat begonnen, stark standardisierte Informatikleistungen extern zu beziehen. So stellt AT&T für den Konzern weltweit die Netzwerkinfrastruktur bereit, für die Standorte in Nordamerika zusätzlich auch die Telefoninfrastruktur. Als nächste Schritte plant das Unternehmen das Outsourcing des PC- und Laptop-Betriebes sowie der Rechenzentren.

Infineon Technologies AG, ein führender Hersteller von Systemlösungen für Automobil-, Industrie-, Kommunikationselektronik und Speichersystemen, nutzt zur ständigen Verbesserung seiner Produktionsprozesse Erkenntnisse aus dem Vergleich mit anderen Unternehmen. CIO Karl Pomschar hat diese Vorgehensweise auf die Informatik übertragen und branchenübergreifend elf Top-Unternehmen für ein Benchmarking gewinnen können. Ziel war es nicht, die "beste" Informatikorganisation der Teilnehmer zu küren, sondern für einzelne Leistungspakete jeweils den besten Ansatz zu finden.

"Unsere größte Hürde waren die unterschiedlichen Definitionen von IT-Leistungen. Für einige Unternehmen gehörte zum Desktop nur der PC, für andere auch die Software und Wartung, wieder andere rechneten auch die Netzwerkinfrastruktur hinzu", formuliert Pomschar, der seit Mai CIO des Infineon-Ablegers Qimonda ist, eine zentrale Herausforderung im unternehmensübergreifenden Vergleich. Aus der Summe der so ermittelten "Best-of"-Leistungspakete leiteten Karl Pomschar und sein Team die Verbesserungsmöglichkeiten für Infineon ab. Allein die Umsetzung der schnell zum Erfolg führenden Maßnahmen ergab Einsparungen von 50 Millionen Euro binnen eines Jahres.

Die Geschäftsleitungen erwarten eine effiziente Informatik, die hohen Nutzen bei sparsamem Ressourceneinsatz liefert. Für den CIO bedeutet dies, die Komplexität der Informatik zu reduzieren, beispielsweise durch Harmonisierung von Applikationen und Standardisierung von Hardware, ihre Organisation am gültigen Geschäftsmodell des Unternehmens auszurichten und die Leistungen der Informatik nach betriebswirtschaftlichen Grössen auszuweisen, ohne in Bürokratie zu versinken.

Der CIO muss zurück ins Geschäft

"Unsere Informatikabteilung konzentrierte sich über mehrere Wochen auf die Neuordnung der vergebenen IP-Adressen. Welchen Nutzen - von ein wenig Übersichtlichkeit abgesehen - dies für das Geschäft letztendlich bringen sollte, konnte mir aber keiner sagen." Diese Aussage eines Interviewpartners ist ein besonders drastisches Beispiel zum Selbstzweck-Image der Informatik.

Wenn eine Geschäftsleitung sagt, "unsere Informatik versteht zu wenig vom Geschäft", meint sie damit häufig, die Informatik weiss nicht, worauf es dem Kunden ankommt, womit verkauft wird. Ein wirklich business-orientierter CIO versteht, was die Kunden seiner Kunden wollen und nicht nur, was seine unternehmensinternen Kunden vordergründig beschäftigt, also beispielsweise die Verrechnung von Informatikleistungen.

Der erfolgreiche CIO ist erster Berater des Geschäfts bei der Geschäftsmodellinnovation. Er zeigt die Potenziale der Informationstechnologie zur Erkennung und Nutzung neuer Geschäftsopportunitäten auf, er unterstützt den schnellen Roll-out innovativer Geschäftsmodelle, liefert Lösungen, die die erworbenen Wettbewerbsvorteile sichern und betreibt die bestehenden Geschäftslösungen so effizient, dass genug Raum für Innovation bleibt.

Das Buch „Geschäftsmodelle 2010 - Wie CEOs Unternehmen transformieren“ (H. Kagermann / H. Österle) fasst die Erkenntnisse aus 26 Tiefeninterviews mit Vorständen und der Studie „Business 2010“ der Economist Intelligence Unit bei über 3700 Vorständen aus Europa, Amerika und Asien sowie zahlreichen Forschungs- und Praxisprojekten in einer CEO-Agenda zusammen.

Henning Kagermann ist seit 1998 Vorstandsprecher der SAP. Kagermann ist gesamtverantwortlich für die Strategie und Unternehmensentwicklung der SAP. Hubert Österle ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen und Präsident des Verwaltungsrates der Information Management Group (IMG). Seine Lehr- und Forschungsgebiete sind Geschäftsmodelle für das Informationszeitalter, Business Networking und Business Engineering.

Bereits erschienen in dieser Reihe ist folgender Artikel:

Zehn Fragen für den wertschöpfenden CIO - Teil 1