Jobwechsel

100 Tage Schonfrist oder 99 schlaflose Nächte

02.09.2002
Neuer Job, neues Glück? Häufig sieht die Realität anders aus: Undurchsichtige Strukturen, eine unklare Kompetenzverteilung und unkooperative Mitarbeiter fordern Höchstleistungen, wenn die IT im neuen Unternehmen auf Vordermann gebracht werden soll. Drei CIOs berichten über ihre ersten drei Monate.

CIOs, die in einem Unternehmen neu beginnen, stehen vor diversen Herausforderungen. Häufig hält die Organisation der Abteilung nicht das, was sie zunächst zu versprechen schien und muss umgebaut werden. Projekte wurden schöngeredet, Teile der Führungs-Crew erweisen sich als unkooperativ oder inkompetent. Doch allen Neuanfängern zum Trost: Nicht nur Politiker dürfen in ihren ersten 100 Tagen mit Nachsicht rechnen, auch neuen CIOs wird eine Schonfrist eingeräumt. Allzu lange hält diese Deckung allerdings nicht: "Wer in den ersten drei Monaten keine Duftmarken setzt, hat fast schon verloren", sagt Friedrich Kuhn, IT-Practice-Manager der Personalberatung Egon Zehnder International.

Etwas mehr Zeit lässt sich Daniel Hartert, seit Mai CIO beim Elektronikkonzern Philips im holländischen Eindhoven: "Nach sechs Monaten muss klar sein, dass der neue Wind auch etwas Zählbares bewirkt", umreißt er seinen Zeitplan. Das dürfte indes nicht schwer fallen, da sich ohnehin der gesamte Konzern im Umbruch befindet. Restrukturierung und Zentralisierung lautet die Zauberformel. Erstes Ziel für den 43-Jährigen ist denn auch der Aufbau einer globalen IT-Struktur.

Dafür braucht es Fingerspitzengefühl. Bislang lenkte in jedem der sechs weitgehend autonomen Produkt-sparten ein Bereichs-CIO die jeweilige IT; einen Vorturner gab es nicht. Nun gilt es, die sechs CIOs sanft auf einen Kurs einzuschwören. "Den ersten Treffen habe ich mit Spannung entgegengesehen", erinnert sich Hartert. Ein Meeting der Top 100 des Unternehmens kurze Zeit später nutzte er, um die wichtigsten Köpfe kennen zu lernen. "Von Anfang an sollte man Kontakt halten, regelmäßig Mails schicken und das Netzwerk pflegen", rät Hartert.

Der bisherige IT-Leiter, John Hendriks, hielt ihm die ersten zwei Monate den Rücken frei, bevor er sich in den Ruhestand verabschiedete. Diese Unterstützung nutzte der ehemalige Geschäftsführer von Bertelsmann Mediasystems, um sich nach vier Wochen auf die erste große Aufgabe zu stürzen: Noch in diesem Jahr soll das weltweite IT-Budget um fünf Prozent reduziert werden. Dazu setzte Hartert verschiedene Taskforces ein, die Einsparpotenziale identifizieren sollen. "Auch die bisherigen Outsourcing-Levels werden durchleuchtet, sollen aber möglichst nicht weiter ausgedehnt werden", so Hartert. Bis Januar 2003 will der Neue seine globale "IT Shared Services Organisation" implementiert haben.

Weiche Faktoren spielen eine große Rolle

Mit ähnlichen Aufgaben wie Hartert - Zentralisierung, Restrukturierung, Kostensenkung - sind derzeit die meisten CIOs beschäftigt, die einen neuen Job annehmen. Auch die Schwierigkeiten - die natürlich immer nur als "Herausforderungen" bezeichnet werden dürfen - ähneln sich: Innerhalb kurzer Zeit muss der neue Mann die Unternehmenskultur begreifen, um nicht zu vielen Mitstreitern vor den Kopf zu stoßen. Gleichzeitig verlangt die Unternehmensführung schnell messbare Ergebnisse. Technische Aufgaben stehen dagegen selten auf der To-do-Liste.

Die so genannten weichen Faktoren spielten denn auch bei Peter Schumann "die wichtigste Rolle". Der 37-Jährige tauschte seinen CIO-Stuhl beim Autobauer Opel im Dezember 2001 gegen einen neuen im Vorstand des Essener Logistikanbieters Schenker. Statt mit Produktion, Maschinen und Motoren hat er es jetzt mit Dienstleistungen zu tun, erbracht von rund 32000 Menschen in weltweit mehr als 1000 Niederlassungen. Entsprechend gestaltete sich der Tagesablauf im ersten Vierteljahr: "Management by walking around" - reden und reisen, sagt Schumann: "Auch zuhören können und zusammen mal ein Bier trinken ist absolut erfolgsentscheidend."

Diese Taktik wird allerdings nicht ausreichen, wenn es gilt, seine neuen Vorstandskollegen von der geänderten IT-Struktur zu überzeugen. Bis Ende 2001 war die Schenker-IT divisional organisiert: Jeder der Bereichsvorstände für Land, Luft, See, Logistik und E-Business verantwortete die IT selbst; nun liegt die Entscheidungskompetenz bei Schumann. Die Kollegen hatten natürlich ihre eigenen Vorstellungen. Schumann: "Man darf nicht gleich die Muskeln anspannen, sondern muss vor allem überzeugen."

Derzeit ist Schumann dabei, die Teilstrategien zu einer Gesamtstrategie zusammenzuschweißen. Anschließend steht bei Schenker der Übergang zur nächsten Generation von Anwendungssystemen auf dem Plan, eine Investition im mehrstelligen Millionenbereich. Gespräche mit Anbietern werden bereits geführt, die Entscheidung soll am Jahresende fallen. Sechs Monate nach Amtsantritt weiß Schumann: "Ein fertiges Konzept für den Anfang kann es nicht geben. Wer glaubt, Dinge aus seiner alten Firma eins zu eins übertragen zu können, irrt gewaltig." Ein Stück Opel nahm er trotzdem mit: Bei der Umstrukturierung seines Führungsteams besetzte Schumann zwei Schlüsselpositionen neu; einer der Manager kam direkt von Opel.

Auf Netzwerke baut auch Philippe De Geyter, der neue CIO des Bad Homburger Unternehmens Deutsche Leasing. Selbst erst seit letzten Dezember in Amt und Würden, wollte er am Tag des Interviews gerade seinen eigenen Nachfolger einstellen: Otto Schmitz, ein Ex-Kollege aus De Geyters vorheriger beruflicher Station, der Citibank. Mit dieser Rotation folgt der Belgier dem Plan der Firmenleitung, zunächst als CIO die IT der Unternehmensgruppe neu auszurichten, um sich anschließend als IT-Vorstand auf die Entwicklung einer europäischen IT-Strategie zu konzentrieren. Der neue CIO soll dann - bei striktem Sparkurs - die Prozesse optimieren und die Anwendungsumgebung für die 1200 Mitarbeiter umbauen.

Reden, reisen, kommunizieren

De Geyter wird ihm in den ersten Monaten als Mentor zur Seite stehen. Doch dann erwartet er von dem Neuen eine eigene Strategie und die Power, sie zu realisieren. "In den ersten Monaten läuft meist alles fabelhaft. Alles, was man sagt, ist exzellent. Probleme gibt es dann aber oft bei der Umsetzung; das ist dann plötzlich vielen zu unbequem." Er selbst habe sich in den ersten zwei Monaten kaum um die IT gekümmert. "Eigentlich habe ich nur mit allen gesprochen, um herauszufinden, was erwartet wird." Mit einem ernüchternden Ergebnis: Die Zahl unterschiedlicher Erwartungen entsprach in etwa der Zahl der Leute, mit denen er gesprochen hatte.

Reden, reisen und kommunizieren, Netzwerke schaffen und pflegen, Schlüsselpositionen neu besetzen, frühere Mitarbeiter mit in die neue Company nehmen, Erfolgshebel suchen und Fristen setzen - ein Patentrezept für die ersten 100 Tage gibt es nicht. Dennoch ein grundsätzlicher Tipp von Klaus Thomas, Berater bei der Gartner Group: "Jeder neue CIO sollte immer darauf achten, dass die Mitarbeiter Veränderungen mittragen. Sonst wird der Karren vorn gezogen und hinten gebremst."