IT beim VfB Stuttgart

130 Kennzahlen für 30000 Mitglieder

06.06.2006 von Lars Reppesgaard
Im Profifußball entscheidet nicht nur das Geschehen auf dem Platz über den Erfolg. Der Präsident des VfB Stuttgart, Erwin Staudt, steuert Strategie und Finanzen des Vereins mit Hilfe einer Balanced Scorecard und weiterer IT-Anwendungen.

Bei vielen Profivereinen in Deutschland hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass man für den Erfolg nicht nur Spieler braucht, die sich beim Kampf um den Ball durchsetzen, sondern auch eine professionelle, wirtschaftlich tragfähige Organisation. Der Umbau des eingetragenen Vereins alter Prägung zu einem zukunftsorientierten Unternehmen wird nirgends so konsequent mit Hilfe der IT vorangetrieben wie beim VfB Stuttgart 1893 e.V.

Für viele Fußballfans ist der Mann hinter den IT-Initiativen ein Unbekannter. Jedem CIO dürfte dagegen der langjährige Chef von IBM-Deutschland, Erwin Staudt, ein Begriff sein. Im Sommer 2003 wurde der ehemalige Linksaußen, der sich viele Jahre ehrenamtlich im Amateurfußball engagiert hat und zuletzt als Vorsitzender des TSV Eltingen arbeitete, von den VfB-Mitgliedern zum Präsidenten gewählt. Vor der Ära Staudt setzten die Schwaben lediglich auf eine ERP-Lösung von Navision und ein Ticketsystem von CTS, um die Profiabteilung des Vereins zu unterstützen.

Staudts erstes Projekt war Anfang 2004 eine IT-gestützte Balanced-Scorecard-Lösung. Mit ihr werden die strategischen Ziele konkretisiert und durch Kennzahlen steuerbar gemacht. Unternehmen wie Siemens, Bosch oder BASF setzen schon lange auf das vor rund zehn Jahren von den Amerikanern David Norton und Robert Kaplan entwickelte Steuerungssystem. Während diese Unternehmen beim Identifizieren der Kennzahlen jedoch auf die Erfahrungen von Mitbewerbern aus der gleichen Branche zurückgreifen können, betrat der VfB beim Thema BSC im Profifußball Neuland. „Das gab es bisher noch nicht“, erinnert sich Alex Wehrle, der in der Stabsabteilung das VfB für das BSC-System verantwortlich ist.

Am Anfang der BSC-Entwicklung stand die Erarbeitung der notwendigen Kennzahlen.Wie aber misst man, ob ein Fußballverein gut arbeitet? Tabellenstände und Transfersummen, Gehaltsausgaben und Zuschauerzahlen lässt der VfB selbstverständlich in die Leistungsmessungen einfließen.

Doch den Erfolg eines Vereins machen auch weniger griffige Faktoren aus. „Die besondere Herausforderung besteht darin, nicht auf Anhieb messbare Ziele wie etwa eine erfolgreiche Jugendarbeit mit geeigneten Messgrößen zu hinterlegen“, erklärt Erwin Staudt. Zusammen mit der Management-Beratung Horváth & Partners entwickelte das Projektteam des VfB im Dialog mit Abteilungsleitern und Mitarbeitern praxisnahe Kennzahlen für Abläufe, die bislang schwer zu messen waren.„Im Fall der Jugendarbeit werden unter anderem die Einsätze von Spielern aus der eigenen Jugend in der Bundesliga gezählt, entsprechend der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Verein gewichtet und mit allen anderen Bundesligisten verglichen“, sagt Staudt.

30 Zahlen für den Vorstand

Heute arbeitet der VfB mit 130 Kennzahlen, davon 100, die für die verschiedenen Abteilungen relevant sind, und 30 für den Vorstand. Alle Werte werden auf einer benutzerfreundlichen grafischen Oberfläche dargestellt. Die Basis der BSC-Lösung Balplan ist die multidimensionale Datenbank TM1 von Applix. Als Frontend dient das Reporting-Tool Insight von Arcplan. „Für den Vorstand und die Geschäftsführer gibt es spezifische Führungs- Cockpits mit ausgewählten Kennzahlen aus den verschiedenen Geschäftsfeldern, die an die aktuelle Situation angepasst werden“, sagt Staudt. Ferner habe die BSC die vereinsinterne Kommunikation enorm verbessert, erklärt der Präsident. „Bisher unabhängige Bereiche diskutieren aufgrund nachvollziehbarer Rechenregeln über dieselben Kennzahlen und erkennen so besser Zusammenhänge und Abhängigkeiten.“

Mit Hilfe dieser Kennzahlen werden auch klare Zielvorgaben formuliert und die Mitarbeiter über deren Zielerreichung gesteuert. „Wir haben es geschafft, selbst schwer Messbares wie der Erfolg der Pressearbeit messbar zu machen“, beschreibt Alex Wehrle die Auswirkungen der BSC in der Praxis: „Früher hieß es beispielsweise, der Pressesprecher kann nichts machen – wenn die Jungs schlecht spielen, schreiben die Zeitungen schlecht.“ Heute misst der VfB auch, wie die Berichterstattung bei vom Spielbetrieb losgelösten Themen wie der Jugendarbeit oder dem Management aussieht. „Selbst wenn es vier Niederlagen nacheinander gibt, beobachten wir, wie sich die Berichterstattung in Relation zu vergleichbaren schweren Phasen entwickelt hat“, erklärt Wehrle.

„Sport Planner“ sorgt für Liquidität

Im Gegensatz zu den meisten anderen Clubs haben die Schwaben durch die BSC inzwischen einen sehr genauen und zeihnahen Überblick über ihre finanzielle Situation. Kenner des Fußballgeschäfts halten dies für absolut notwendig, um im heutigen Haifischbecken Profifußball nachhaltig Erfolg zu haben. Professionelle Management- Strukturen, wie sie unter anderem der FC Bayern München aufgebaut hat, sind, sind dennoch die Ausnahme. Doch nicht nur die Großen müssen ihre finanzielle und strategische Postition genau kennen, mahnt Oliver Kruse, Professor für Finanz-Management an der Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld. Und folgert: „Auch kleinere Vereine brauchen ein professionelles Management.“

Das BSC-Projekt war allerdings erst der Anfang von Staudts Umbauarbeit, um genau dies sicherzustellen. Gemeinsam mit dem FC Bayern München entwickelten die Schwaben auch die Planungssoftware „Professional Planner“ des Grazer IT-Hauses Winterheller weiter. Der „Sport Planner“ hilft den Schwaben ebenfalls, verschiedene Entwicklungsszenarien durchzuspielen. „Damit simulieren wir zum Beispiel, welche Auswirkungen es für unsere Liquidität hat, wenn wir aus Wettbewerb X ausscheiden und gleichzeitig Spieler Y verpflichten wollen“, erklärt Fußball-Manager Wehrle.Die Auswirkungen von Sieg oder Niederlage sowie die Konsequenzen eines Spielertransfers werden simuliert, damit die Entscheider nicht hilflos Entwicklungen abwarten müssen, sondern frühzeitig über Konsequenzen beraten können.

30000 Mitglieder, 60000 Kunden

Beim dritten großen IT-Projekt der Staudt-Ära wurden Fan- und Kundenservice im letzten Herbst mit Hilfe einer Customer-Relationship-Management-Lösung neu aufgestellt. Zusammen mit IT-Dienstleistern entwickelte der VfB die Kunden-Management-Software Microsoft Dynamics CRM zu einer Branchenlösung für Sportvereine weiter. Neben den 250 Fanclubs mit jeweils bis zu 600 Mitgliedern betreut der VfB rund 30000 Vereinsmitglieder. In der vernetzten Datenbank des Erstligisten sind derzeit mehr als 60000 Kunden gespeichert. Die Kopplung der CRM-Anwendung mit dem alten Navision- System soll die Voraussetzung für ein effektives Kampagnen- Management schaffen. „Dass diese Lösung ähnlich wie Outlook zu bedienen ist, gefällt unseren Mitarbeiter“, sagt Wehrle. „Entscheidender war aber die Anforderung, dass wir mehrdimensionale Selektionsabfragen durchführen können.“

Nun erfährt Wehrle zum Beispiel, welche VfB-Mitglieder in den letzten Jahren acht Tickets oder mehr gekauft haben und gleichzeitig als Fans von VfB-Torwart Timo Hildebrant identifiziert wurden. „Denen kann ich Kombiangebote machen“, sagt Wehrle, „ich kann ihnen vielleicht zusammen mit dem Ticket auch ein Trikot mit Hildebrand-Autogramm verkaufen.“

Der jüngste Baustein im IT-Gefüge des VfB ist die Wissens- Management-Software Knowledge Miner des Softwareanbieters USU AG. Sie durchforstet interne und externe Datenquellen, etwa Wettbewerbsbeobachtungen, Presseberichte, Aufsichtsratsprotokolle oder Verbandsinformationen. Entsprechend den eingestellten Interessensprofilen liefert das System via E-Mail aktuell die aufgespürten Informationen an die VfB-Entscheider. Der Verein ist durch diese Maßnahmen besser denn je für die kommenden Unwägbarkeiten des Fußballgeschäfts aufgestellt, sagt Alex Wehrle. „Schließlich reagieren wir nicht mehr nur, wir können agieren.“
Lars Reppesgaard [redaktion@cio.de]