Landesrechnungshof

170 PCs wegen Virus verschrottet? Eine Recherche

16.05.2013 von Johannes Klostermeier
Das Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern hat angeblich 170 PCs wegen Virusbefalls verschrottet. Die Vermutung: Man wollte nur neue Rechner haben.

Kann die Meldung stimmen, dass das für Lehrerfortbildung zuständige Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern (IQMV) 170 PCs ausgetauscht hat, nur weil sie vom Conficker-Wurm befallen waren? Und wie hängt die Infektion in einem Netz, für das keine effektiven Sicherheitskonzepte bestanden, mit der Tatsache zusammen, dass kurz zuvor die Neuanschaffung von PCs abgelehnt worden war?

Zu dumm, um einen Virus zu beseitigen? Oder eine prima Gelegenheit, um neue Rechner anzuschaffen?
Foto: Fotolia.de/Sebastian Kaulitzki

Die „Ostsee-Zeitung" hatte am 29. April einen Teil des Jahresberichts 2012 des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern, der schon im Dezember 2012 veröffentlicht worden war (PDF), folgendermaßen zusammengefasst: „Nachdem ein Virus die Rechner des Lehrerfortbildungsinstituts IQMV in Schwerin, Rostock und Greifswald im September 2010 befallen hatte, wurden die zum Teil neuen Rechner entsorgt." Kosten: 187.300 Euro.

Die Geschichte klingt in den Ohren von Journalisten und IT-Experten unglaublich gut, sie ist lustig und empörend zugleich und bestätigt anscheinend viele bestehende Vorurteile, so dass sie überall zu lesen war.

Bei der "Ostsee-Zeitung" ist nur ein Anriss der Meldung auf der Website kostenfrei zu lesen, der ganze Artikel steckt hinter einer Paywall. Der Leserservice solle uns bitte den Artikel schicken - keine Reaktion. Am Telefon heißt es: „Ich habe Ihre E-Mail gerade ausgedruckt. Aber heute wird das nichts mehr." Man kann sich aber für für ein Online-Probeabo registrieren.

Ein Sprecher kann nicht viel sagen

Das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schwerin ist für das IQMV zuständig. Dort erklärt der Sprecher, er könne dazu eigentlich nicht viel sagen. Die Rechner seien aber gar nicht alle neu gewesen und das alles schon drei Jahre her. Wo und wie man mehr erfahren könne? Die Leitung des Hauses habe nach der Landtagswahl gewechselt, er selbst sei ebenfalls noch nicht lange im Amt. Interessiert sich dort niemand für die peinliche Geschichte, die durch Deutschlands Medien ging?

Das Bildungsministerium habe einen Bericht für den Finanzausschuss geschrieben, dieser Tage aber nicht öffentlich. Wie der Vorsitzende des Ausschusses heißt? Das wisse er leider gerade nicht, sagt der Sprecher. Von der Idee, beim Lehrerfortbildungsinstitut IQMV anzurufen, rät er ab. „Dann landen Sie wieder bei mir." Auch dort habe die Leitung gewechselt, dazu kam eine längere Krankheit.

Der Vorsitzende des Finanzausschusses Torsten Koplin von der Fraktion Die Linke demonstriert mit seiner Fraktion am 8. Mai in Demmin, wo viele Nazis zum Jahrestag des Kriegsendes aufmarschieren und ist deswegen nicht zu erreichen.

In Schwerin gehen die Uhren anders, sagen manche. "Wenn eines Tages die Welt untergeht, so begebe Dich nach Mecklenburg–Vorpommern, denn dort geschieht alles hundert Jahre später", so Otto von Bismarck-Schönhausen.

Der Sprecher des Landtags schickt den Link zum Bericht des Landesrechnungshofs. Bei der Pressestelle des Rechnungshofs ist man verwundert über die Berichterstattung. Wichtig sei: Man wisse weder, wie viele Rechner es genau gewesen sind noch wie alt sie waren. Denn Nachweise gäbe es keine, gerade das kritisiere man ja.

Die Fakten, wie sie der Rechnungshof schildert

Am 1. August 2009 wurde das Lehrerfortbildungsinstitut IQMV gegründet, es übernahm damit die Aufgaben des in weiten Teilen aufgelösten Landesinstituts für Schule und Ausbildung (L.I.S.A.). Damit verbunden war der Übergang in den Geschäftsbereich des Bildungsministeriums, was auch die IT betraf, für die nun das Fachreferat des Ministeriums zuständig war.

Das IQMV wollte für eine zügige IT- Komplett-Neuausstattung Geld aus dem Haushalt haben. Doch das Bildungsministerium konnte sich bei der Haushaltsaufstellung 2010/2011 nicht damit durchsetzen. Das zuständige Innenministerium befand über die Anmeldung in einer Stellungnahme zur IT-Ressortplanung: „nicht sachgerecht".

Am 2. September 2010 stellte das Ministerium dann den Befall eines Rechners mit dem Conficker-Wurm fest, der erst nach 24 Stunden vom Netz getrennt wird. Beweise werden nicht gesichert, Protokolle über die Infektionsausbreitung können nicht vorgelegt werden.

Es gab de facto gar kein Sicherheitskonzept

Conficker ist laut Wikipedia ein Computerwurm, der erstmals im Oktober 2008 registriert wurde. Zur Beseitigung gibt es zahlreiche Tools.
Foto: CC CompuNet

Das IT-Sicherheitskonzept des Bildungsministeriums wies laut Rechnungshofbericht Mängel auf. Der Handlungsleitfaden des Innenministeriums war nicht vollständig umgesetzt. Zudem hatte das Bildungsministerium entschieden, das bestehende IT-Sicherheitskonzept des Ministeriums nicht auf das IQMV auszuweiten. Begründet wurde dies mit der mangelhaften IT-Ausstattung des IQMV. Für das IQMV gab es also de facto gar kein Sicherheitskonzept.

Um den Wurm zu beseitigen, holten die Mitarbeiter des IQMV bei einem Dienstleister einen Kostenvoranschlag ein. Die erste Schätzung belief sich auf unglaubliche 130.000 Euro. Als das Unternehmen weitere Informationen anforderte, wurde diese vom Ministerium „wegen der zeitlichen Dringlichkeit" nicht erteilt. Der Vorgang war damit abgeschlossen.

Stattdessen wurden im Oktober 2010 170 baugleiche PCs neu gekauft und die alten entsorgt. Die Inbetriebnahme zog sich noch bis in das 2. Quartal 2011 hin, sie wurde erst im Juni 2011, also neun Monate später vollständig abgeschlossen.

„Die Virenbeseitigung erfolgte durch eine Bereinigung aller Server des IQMV sowie einer Neubeschaffung von 170 Arbeitsplatz-PC mit anschließender Rücksicherung der Benutzerdaten. Hierfür stellte das Finanzministerium im Haushaltsvollzug dem Bildungsministerium 20.000 Euro Verstärkungsmittel bereit und willigte in Ausgabeumschichtungen in Höhe von 152.300 Euro ein", heißt es im Bericht des Rechnungshofes.

"Ein Schlaglicht auf die Arbeit von Behörden"

Vorsicht Virus! Der Conficker-Wurm tauchte beim IQMV auf, wurde aber nicht dokumentiert.
Foto: so47 - Fotolia.com

Im Rahmen der Prüfung, so der Rechnungshof in seinem Bericht, konnte das Bildungsministerium die reklamierte mangelhafte IT-Ausstattung im IQMV trotz Anforderung nicht dokumentieren, denn ein Inventarverzeichnis über die verwendete Hard- und Software gab es nicht. Eine abschließende Beurteilung, ob tatsächlich die Notwendigkeit bestand, neue Geräte zu beschaffen, sei daher, so der Rechnungshof, "nicht möglich" gewesen.

Eine Vermutung aus eigener Erfahrung, wie so etwas passieren kann, hat Kerstin Ludwig, die den privaten Blog „Kerstin Jays Café" betreibt. Sie war mehrere Jahre lang für die EDV von Schulen einer Kleinstadt im Ruhrgebiet zuständig - "400 PCs mit insgesamt gut 2500 Nutzern in bis zu 13 Netzwerken". „Die Geschichte wirft ein Schlaglicht auf die Arbeit von Behörden und unter welchen Bedingungen man dort arbeiten muss", sagt sie.

Ludwig mutmaßt, die EDV-Abteilung des Bildungsministeriums habe damals vor dem Problem gestanden, „in adäquater Zeit die 170 PCs des IQMV, für die weder ein Inventarverzeichnis noch irgendwelche Netzwerkdokumentationen existierten, ins Netz des Bildungsministeriums zu bringen, ohne das vorhandene Netz zu gefährden".

Weiter kritisiert sie: „Ich weiß, was es heißt, einerseits die Verantwortung für die Struktur einer EDV-Landschaft zu haben und andererseits nicht das Geld zu bekommen, um dieser Verantwortung auch gerecht zu werden. Im Öffentlichen Dienst ist man manchmal echt verzweifelt und versucht die Finanzabteilung aus zu tanzen." Man mache dann eben eine Wirtschaftlichkeitsberechnung, die im Ergebnis darauf hinauslaufe, dass eine Neuanschaffung günstiger sei. Niemand denke bei der Zusammenlegung von Behörden an die IT-Abteilung.

Grüner stellt Kleine Anfrage an rot-schwarze Landesregierung

Die IT-Abteilung stehe dann vor einem eigentlich unlösbaren Problem, das in diesem Fall auf die denkbar schlechteste Art gelöst worden sei. „Angesichts der Tatsache, dass es derzeit keinen Bereich mehr in egal welcher Behörde gibt, die nicht irgendwie mit EDV zu tun hat, ist das schlichtweg sträflich", so Ludwig.

Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern wird das alte Problem bald wieder auftauchen. Der Abgeordnete der Grünen Johannes Saalfeld will von der rot-schwarzen Regierung laut Ostsee-Zeitung nun wissen: Wie viele PCs waren mit dem Conficker-Wurm verseucht, wie viele Rechner wurden ausgesondert, für wie viele der ausgesonderten PC erfolgte eine Folgeverwendung oder Verwertung, und wo geschah diese? Für wie viele der entsorgten Arbeitsplatz-PCs liegen Entsorgungsnachweise vor? Und: Kann der Verbleib aller ausgesonderten Arbeitsplatz-PCs lückenlos dargestellt werden?

Die Kleine Anfrage ist laut Auskunft der Landtagsverwaltung im Parlamentssekretariat des Landtages eingegangen und wurde der Präsidentin des Landtages zugeleitet. Entsprechend der Geschäftsordnung wurde die Anfrage am Dienstag vor Pfingsten an das zuständige Bildungsministerium mit der Aufforderung übermittelt, sie innerhalb einer Frist von zehn Werktagen zu beantworten. Ende Mai wissen wir dann vielleicht mehr, was wirklich geschah und warum.