KI wird Realität

20 Thesen zur Digitalisierung von August-Wilhelm Scheer

12.05.2016 von August-Wilhelm Scheer
Digitalisierung schreckt Unternehmen auf, sie fürchten um ihr Geschäftsmodell. Doch sie bietet große Möglichkeiten. 20 Thesen über Chancen und Herausforderungen.

Viele Unternehmen sind von der Digitalisierung aufgeschreckt und fürchten um ihr Geschäftsmodell. Unumstößliche Tatsache ist, dass der große Angriff auf das Bestehende begonnen hat. Verzögern oder behindern wir die Nachfrage nach digitalen Diensten, werden in Deutschland auch weniger Start-ups oder bestehende Unternehmen als Anbieter dieser Dienste entstehen.

Neben dem entgangenen wirtschaftlichen Effekt bedeutet dies auch, dass wir die Entwicklung nicht mitgestalten können. Es gilt jedoch, die großen Chancen, die in der Digitalisierung der Wirtschaft liegen zu nutzen. Erfolgreich wird der sein, der die anstehenden Aufgaben identifiziert und annimmt. Dazu habe ich 20 Thesen formuliert, die Chancen und Herausforderungen verdeutlichen sollen.

1. Optimistische Zukunftsaussichten

Die Digitalisierung wird unsere Wohnungen sichern, Behinderte durch Roboter unterstützen, die Preise vieler Produkte senken, die Produktvielfalt erhöhen, neue Geschäftsmodelle und Unternehmen erzeugen, medizinische Operationen vereinfachen, Blinde sehend und Taube hörend machen, lebenslanges Lernen unterstützen und insgesamt den Wohlstand steigern.

2. Grenzkostenlose digitale Produkte verdrängen bestehende

Telefonieren übers Internet, Fotografieren mit Smartphones, Speichern und Versenden von Nachrichten, Lernen übers Internet; viele Leistungen gibt es zum Nulltarif.

3. Disruptive Innovatoren bedrängen bestehende Märkte

Der Fotodienst Instagram wurde von 16 Personen gegründet. Das Weltunternehmen Kodak hatte damals 160.000 Mitarbeiter. Es ging bankrott. Das Startup-Unternehmen Amazon wurde zum Weltunternehmen; Quelle ging bankrott.

4. Nur neue Organisations- und Businessmodelle machen Technologie erfolgreich

Erst die Erfindung der Fließbandorganisation hat die erste industrielle Revolution durch die Massenproduktion richtig erfolgreich gemacht. Die Geschäftsprozessoptimierung in den 90er Jahren lohnte den Computereinsatz. Personalisierung von Produkten und Selbststeuerung von Maschinen oder Autos treiben nun den Nutzen der weiteren Digitalisierung.

5. Digitalisierung schafft Smart Services

Mit jeder Investition in Digitalisierung wird das 5-7 fache für Organisationsentwicklung und Ausbildung benötigt. Der Zugang zu Leistungen wird wichtiger als das Eigentum an den sie erzeugenden materiellen Produkten und schafft neue Geschäftsmodelle z.B. für Mobilität. Digitale Dienstleistungen ergänzen und ersetzen materielle Produkte und schaffen Arbeitsplätze.

6. Ausbildung ist ein Erfolgsfaktor in der Digitalisierung

Je höher die Ausbildung, umso höher sind die Gehaltssteigerungen. Mitarbeiter mit manuellen oder geistigen Routinetätigkeiten sind die Verlierer der Digitalisierung. Frisöre, Gärtner, Köche, Ingenieure und Informatiker gewinnen. Lebenslange Ausbildung ist ein Muss!

7. Wer Silber erreicht, verliert Gold!

The winner takes it all. Die globalen digitalen Märkte erzeugen Superstars von Unternehmen und Unternehmern wie Microsoft, Google, Facebook, Amazon oder SAP mit ihren Gründern. Die Schere zwischen Superreichen und Durchschnittsverdienern spreizt sich.

8. Innovator`s Dilemma vermeiden

Ein Risiko für erfolgreiche bestehende Unternehmen liegt darin, dass sie zu lange an ihrem alten Geschäftsmodell festhalten weil sie dessen Kannibalisierung durch Einstieg in ein digitales Geschäftsmodell befürchten. Hier helfen nur ein konsequentes Umdenken und der Aufbau einer neuen unabhängigen Geschäftseinheit.

9. Konsumenten werden zu Produzenten

In dem Konzept "Open Innovation" arbeiten Konsumenten durch Vorschläge und frühes Testen an der Entwicklung neuer Produkte mit. Benutzer von Facebook konsumieren und erzeugen Inhalte. Im Internet kann jeder sein eigener Musik- oder Literaturverleger sein.

10. Digitalisierung ist überall, nur nicht im Sozialprodukt

Ein (kostenloses) Telefonat anstelle der Nutzung eines traditionellen Anbieters senkt das Sozialprodukt. Das gleiche gilt für das (kostenlose) Herunterladen eines Youtube- Videos anstelle eines CD- Kaufs. Trotzdem bleibt der Nutzen für den Telefonierer oder den Musikhörer gleich. Da immer mehr digitale Produkte fast kostenlos sind, werden Unterhaltungs- und Kommunikationstätigkeiten kaum noch im Sozialprodukt erfasst. Es entstehen weder Umsatz noch Verdienst. Zur Messung von Wohlstand und Wachstum sind deshalb neue Maßgrößen erforderlich.

11. Big Data ändert Quantität und Qualität

Der schnelle Zugriff und die schnelle Auswertung von Daten erzeugen qualitativ neue Möglichkeiten. Sprachübersetzung wird anstelle der Nutzung (komplizierter) Regeln durch die Durchsuche ähnlicher Dokumente statistisch betrieben. Hypothesenfreie Suche nach Mustern in Patientendaten führt zu neuen Erkenntnissen durch Datenanalysten, auch durch Nichtmediziner.

12. Industrie 4.0 ist mehr als Fabrikautomatisierung

Ziele der Anwendung des IoT und Cyber physische Systeme ist die Selbststeuerung der Fabriken mit hoher Flexibilität, die zu Losgröße 1 bei Kosten der Massenproduktion führen soll. Dies ermöglicht die Individualisierung der Produkte und fordert eine Beschleunigung der Produktentwicklung. Dadurch werden mehr Komponenten von mehr Lieferanten bezogen und die Logistik muss sich auf mehr und kleinere Packungseinheiten einstellen. Kurz, das gesamte Unternehmen benötigt neue Prozesse.

13. Das Moore' sche Gesetz ist immer noch der Treiber der Digitalisierung

Das Moore´sche Gesetz besagt, dass sich die Leistungsfähigkeit der IT alle 18 Monate verdoppelt. Es gilt bereits seit 40 Jahren. Entsprechend der Exponentialfunktion befinden wir uns in dem steilen Anstieg. Dieses führt zu dem dramatischen Leistungsanstieg und dem gleichzeitigen Preisverfall.

14. Künstliche Intelligenz wird Realität, menschliche Vorteile bleiben

Nach der ersten Phase der Euphorie war Ernüchterung zu KI eingekehrt. Mittlerweile haben sich aber viele Anwendungen durch Nutzung der gewachsenen Leistungsfähigkeit der IT etabliert wie automatisches Übersetzen, Spracherkennung, Robotik und Maschinenlernen (Roboter merken sich Anwendungsbeispiele, erkennen Fehler und Verbesserungen) bis hin zur künstlichen Erstellung von Texten und Musik. Viele ärztliche Diagnosen können von Computern und Big Data ersetzt werden.

Die Vorteile des Menschen sind seine schöpferische Phantasie, seine intuitive Erkennung komplexer Muster und seine Beherrschung komplexer Konversationen. Hierauf sollte sich auch die Ausbildung konzentrieren. So setzt die Textilkette Zara setzt auf das Urteilsvermögen ihrer Verkaufsmanager über den Bedarf ihrer Kunden anstatt auf mathematischen Prognosen, da die Manager ein besseres Gespür für den Modegeschmack ihrer Kunden haben.

15. Virtuelle Bildungseinrichtungen ergänzen und ersetzen reale

Zeit- und Ortsunabhängigkeit sind Vorteile der Aus- und Weiterbildung durch E- Learning. Gleichzeitig können die Lerngeschwindigkeit und die Lernformen durch Lesen, Hören oder Spielen dem Lernenden individuell angepasst werden. Die Lerninhalte können auf Neigung und Begabung des Lernenden lebenslang individuell ausgerichtet werden.

Lernstoff kann von der ganzen Welt bezogen werden und der Welt angeboten werden. Es entstehen virtuelle Universitäten und neue Anbieter aus Medien, Wirtschaft und Unterhaltung treten auf.

16. Der Innovationsprozess entscheidet

Diejenigen Unternehmen werden gewinnen, die nicht nur ihr altes Businessmodel verwalten, sondern "out of the box" zu disruptiven Innovationen fähig sind. Dazu gehört eine offene Unternehmenskultur mit der Förderung von Querdenkern.

Wirklich durchbrechende Erfindungen werden dabei häufig von Einzelnen gemacht. Es gehört zu den unternehmerischen Herausforderungen, den richtigen Ideen zur rechten Zeit zum Durchbruch zu verhelfen. Ein formalisierter Innovationsprozess kann hilfreich sein, weil er die Bedeutung von Innovationen deutlich macht, darf aber durch zu starke Bürokratisierung nicht das Ziel konterkarieren. Die Unternehmen werden siegen, die den besten Metaprozess für Innovationen besitzen.

17. Schwarmintelligenz

Bei dem Konzept "Open Innovation" werden die Personalressourcen nicht nur des eigenen Unternehmens genutzt, um Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, sondern es werden auch Kunden, Lieferanten, Partner und externe Spezialisten einbezogen. Sie geben Anregungen oder testen erste Versionen. Die Vernetzung über das Internet und die Nutzung sozialer Medien machen dieses leicht möglich.

Gleichzeitig können neue Dienstleistungen unter Nutzung des Schwarmeffektes entwickelt werden. Dieser besagt, dass eine Ressource umso wertvoller für jeden einzelnen ist, je mehr sie genutzt wird. So können sich viele Autos untereinander vernetzen und automatisch oder auch durch Fahrer Informationen über Straßenzustände, Verkehrsdichte, Unfälle, usw. mitteilen. Je mehr Teilnehmer ein solcher Dienst nutzt, umso genauer werden die Daten.

Auch die Sammlung von Geld für Produktentwicklungen von vielen Personen mit jeweils kleinen Beträgen kann große Summen zusammenbringen.

18. Disruptive Innovationen durch das neue Zusammenfügen bereits bekannter Techniken oder Produkte

Um aus der "box" herauszukommen, kann man sich die Frage stellen: "Wie denkt ein Konkurrent, der mich besiegen möchte?" Da aber Konkurrenten häufig ein ähnliches Businessmodel haben, ist dieser Ansatz nur in einer statischen Umgebung hilfreich. Gefährlicher sind Startup, die sich völlig neuer Businessmodels bedienen. Um nicht überrascht zu werden oder um selbst eine neue Geschäftslinie aufzubauen, kann dann die Frage gestellt werden: "Wie kann man ein Startup gründen, das den bestehenden Markt durch digitale Techniken ändert?"

Dazu wird ein neues Business- Modell entwickelt, das von Elementen wie neuen elektronischen Zugangssystemen (iPhone, iPad, iWatch), Big Data und Analytics, Social Media und Schwarmintelligenz, oder Cloud Computing geprägt ist.

Häufig entstehen disruptive Innovationen durch das neue Zusammenfügen bereits bekannter Techniken oder Produkte bzw. Dienstleistungen.

19. Viele Hemmnisse der Digitalisierung sind hausgemacht

Das bekannte Prinzip des Innovator's Dilemma ist wohl die größte Gefahr für bestehende erfolgreiche Unternehmen.

Dazu kommen staatliche Vorschriften, die auf die analoge Welt ausgerichtet sind oder diese sogar schützen sollen. Dieses wird aber dauerhaft nicht helfen, sondern nur den Boden für Startup-Anbieter bereiten, die sich einen Rechtsstreit gegen solche Regeln leisten oder sich darüber hinwegsetzen.

20. Die Welt wird flach

Durch die direkte Kommunikation quasi aller Personen und Dinge werden hierarchische Organisationsstrukturen zunehmend unterlaufen oder es bilden sich informelle Parallelorganisationen.