Checklisten und Vorgehensweise

4 Strategien beim Outsourcing-Ende

28.11.2012 von Jörg Hild
Läuft ein Outsourcing-Vertrag aus, stehen 4 Wege zur Wahl: Neuverhandlung, Neuausschreibung, Insourcing und ein Mix aus allem. Die Entscheidung hängt davon ab, welcher der 4 Anwendertypen man ist, erläutert Jörg Hild von PwC in seiner Kolumne.
Jörg Hild ist Partner der IT Sourcing Advisory bei PwC Deutschland.
Foto: PwC

Nach zehn Jahren lief bei dem bekannten Hersteller technischer Güter der Outsourcing-Vertrag mit einem großen Provider aus. Es handelte sich um einen Single Contract; das war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch die Regel gewesen. Die IT-Verantwortlichen zogen eine Bilanz der langen Beziehung: Teilweise waren sie mit den Services zufrieden, aber nicht alle Ziele waren erreicht worden.

Sie überlegten deshalb: Wie soll die gesamte IT - nicht nur der bisher ausgelagerte Teil - jetzt aufgestellt werden? Und wie soll dieses Bild in fünf Jahren aussehen? Dieser Auftraggeber nutzte somit das Vertragsende als Zäsur - als Chance zur grundlegenden Selbstreflektion und Veränderung.

Schere zwischen Vertrag und Bedarf

Für eine solche sorgfältige Prüfung gibt es generell gute Gründe. Ein Sourcing-Vertrag ist nach dem Abschluss zunächst einmal sehr statisch; Markt, Unternehmen und Technologie hingegen sind dynamisch. Oft entwickelt sich das Geschäft anders als gedacht. Die Strategie sowie die Rahmenbedingungen ändern sich, beispielsweise indem Unternehmensteile verkauft oder neu erworben werden.

Mit dem wachsenden Angebot an standardisierten Services nimmt der Reifegrad des Outsourcing-Markts zu. Der technische Fortschritt schert sich ebenfalls nicht um den Vertragstext, neue Optionen bilden sich heraus (man denke nur an Cloud Computing).

Die Chancen des Vertragsendes werden vielfach verschenkt.
Foto: PwC/Jörg Hild

Auch in der Demand-Supply-Beziehung können sich die Parameter verschieben. Vielfach wurden die Anforderungen an Services und die Rahmenbedingungen unzureichend definiert, was erst in der Praxis deutlich wird. Oder beide Seiten legen den Vertrag und die Partnerschaft unterschiedlich aus, oder der Auftraggeber ist mit der Leistung des Dienstleisters einfach unzufrieden. Auch können sich die geschäftlichen Anforderungen an die IT-Services verändern.

Generell ist festzustellen: Schon wenige Monate nach Vertragsabschluss öffnet sich die Schere zwischen Lieferung und Bedarf, und zwar dreifach:

Diese Dynamik wird in der Praxis jedoch oft ignoriert. Die aktuelle PwC Sourcing-Studie liefert dazu zwei signifikante Indikatoren:

Ein Drittel der Unternehmen hat keine definierte Sourcing-Strategie. Sie fahren sozusagen "blind", was sich natürlich auch auf ihr Verhalten am Ende des Vertrags auswirkt. Und auch bei den anderen muss die Strategie nicht immer aktuell und zielgerichtet sein.

Beim Auslaufen des Vertrags verlängern ihn 25 % der Kunden ungeprüft. 17% nehmen generell eine Neuausschreibung vor. Das sieht zwar nach Neu-orientierung aus, zieht aber einen enormen Aufwand nach sich: beim Unternehmen, beim bestehenden Dienstleister sowie bei den Bewerbern. Eine Neuausschreibung ist deshalb nicht immer die angemessene Vorgehensweise - vor allem dann, wenn der Auftraggeber mit dem bestehenden Provider im Prinzip zufrieden ist.

Das Resümee fällt somit allenfalls durchwachsen aus: Fast die Hälfte der Unternehmen verschenkt Potenziale, ohne näher hinzusehen.

Der CIO und andere Verantwortliche im Unternehmen sollten sich deshalb immer wieder den Lebenszyklus des Sourcing vergegenwärtigen: Es handelt sich nicht um einen einmaligen Vorgang, sondern einen iterativen Prozess. Hat sich die Realität verändert, sollten die Entscheider wieder in die Strategiephase eintreten. Während der Laufzeit ist dies aufgrund des statischen Charakters von Verträgen oft schwierig; deshalb bietet der End-of-Contract die beste Chance zur Repositionierung.

Umfassende Neuausrichtung

Basis der Neuausrichtung ist eine klare Standortbestimmung (siehe auch Kasten: "Die 5 Essentials einer Standortbestimmung").

Wenn der Kunde unzufrieden ist, sollte er auf jeden Fall die Ursachen ganzheitlich analysieren. Auf der einen Seite den Dienstleister:

Auf der anderen Seite sollte der Auftraggeber auch sich selbst überprüfen. Denn bei Unstimmigkeiten gibt es nur selten einen einzigen "Schuldigen". Es ist also auch zu fragen:

Nicht ohne Grund bauen viele Unternehmen in dieser Steuerungseinheit mittlerweile wieder mehr technisches Wissen auf.

Die 5 Essentials einer Standortbestimmung

1. Wurden die strategischen, operativen und monetären Sourcing-Ziele des Outsourcing erreicht?

2. Arbeitet der Dienstleister zufriedenstellend?

3. Welche strategischen Rahmenbedingungen gelten?

4. Sind die Governance-Prozesse klar definiert und implementiert?

5. Ist die Retained Organisation richtig aufgestellt - verfügt sie insbesondere um ausreichendes technisches Know-how, um den Dienstleister effizient zu steuern?

Vier Beziehungstypen

Das Ergebnis der Standortbestimmung kann in der Regel einem der folgenden vier Archetypen zugeordnet werden:

Typ 1: Der Kunde ist prinzipiell zufrieden mit dem Dienstleister

Ein typisches Szenario sieht so aus: Die Services und Leistungen entsprechen den Erwartungen. Beide Seiten arbeiten vertrauensvoll zusammen, die Governance-Prozesse sind eingespielt und die Retained Organisation verfügt über die nötigen Skills. Aber oft besteht trotzdem Anpassungsbedarf: Die Rahmenbedingung haben sich verändert, oder der Kunde ist unsicher, ob die Preise wirklich marktkonform sind.

Typ 2: Der Dienstleister erfüllt die Erwartungen nicht - der Aufbau einer internen IT ist jedoch keine Alternative

Bei diesem Szenario können die Gründe sehr vielfältig sein: Die gelieferten Services entsprechen nicht den Anforderungen des Kunden, der Vertrag passt nicht zu seinen Bedürfnissen, auch über einen längeren Zeit-raum konnte keine vertrauensvolle Zusammenarbeit aufgebaut werden, oder das Preisniveau ist überhöht. Im Prinzip sind die geforderten IT-Services allerdings am Markt verfügbar.

Auch hier ist in den seltensten Fällen eine einseitige Schuldzuweisung an den Provider angebracht. Vielleicht verfügt die Retained Organisation des Kunden nicht über die benötigten Skills, oder sein Anforderungsmanagement weist Lücken auf.

Typ 3: Der Kunde braucht mehr Einfluss auf die IT-Bereitstellung

In diesen Fällen sind die Anforderungen des Auftraggebers so spezifisch geworden, dass der Dienstleister sie mit seinem Standard-Delivery-Modell nicht mehr erfüllen kann. Vielfach werden die nunmehr geforderten IT-Services überhaupt nicht in der benötigten Form am Markt angeboten. Oft erschweren auch neue regulatorische Rahmenbedingungen (etwa bezüglich der Compliance) die externe Leistungserbringung. Oder aufgrund struktureller Veränderungen - beispielsweise Unternehmenszukäufen - ist eine interne IT-Organisation sinnvoller geworden als die Auslagerung der IT-Services.

Typ 4: Die Commodity-Services erfüllen die Anforderungen, einige Services verlangen jedoch ein unternehmensspezifisches Know-how

Diese "gespaltene Position" ist zugleich die häufigste. Die Selbsteinschätzung lautet oft: "Die am Markt ver-fügbaren Standard-Services decken unsere Anforderungen größtenteils ab, unternehmenskritische Services können wir aber besser selbst bereitstellen." Sehr häufig will der Auftraggeber aus der Full-Outsourcing-Beziehung aussteigen und ein kompetitives Umfeld schaffen.

Dazu muss er allerdings zwei Voraussetzungen erfüllen: Er kann die benötigten IT-Services eindeutig "schneiden" und auf die verschiedenen Lieferanten verteilen sowie interne und externe Dienstleister effizient steuern. Dies sind notwendige Bedingungen, um einen Best-of-Breed-Ansatz zu realisieren.

Vier mögliche Strategien

Zu welchem Typ die Sourcing-Beziehung auch gehört - Gründe, näher hinzuschauen, gibt es immer. Die automatische Verlängerung verbietet sich deshalb generell. Daraus ergeben sich vier mögliche Strategien: Neuverhandlung mit dem bestehenden Dienstleister, Neuausschreibung, Insourcing oder eine Kombination aus allem. In allen Fällen stehen am Anfang drei Maßnahmenpakete:

  1. Der Auftraggeber nimmt ein umfassendes Assessment der bestehenden Outsourcing-Beziehung vor.

  2. Er überprüft die Sourcing-Strategie, passt sie an und schreibt sie fort.

  3. Daraus leitet er Sourcing-Ziele ab, definiert sie eindeutig und kommuniziert klar, wie die Konsequenzen bezüglich Kosten, Qualität, Innovation, Flexibilität, Risikominimierung etc. aussehen. Nur so sind Dienstleister - ob alt oder neu - in der Lage, sich auf die Anforderungen einzustellen und passende Angebote zu unterbreiten.

Strategie 1: Neuverhandlung mit dem bestehenden Dienstleister

Diese Strategie ist das Ergebnis des Beziehungstyps 1, bei dem der Kunde mit dem Dienstleister "eigentlich" zufrieden ist. Hier sind folgende Maßnahmen zu treffen:

Strategie 2: Neuausschreibung

Diese Strategie wird gewählt, wenn die Standortbestimmung den Beziehungstyp 2 zeigt: Der Dienstleister erfüllt die Erwartungen nicht, der Neuaufbau einer internen IT ist allerdings keine Alternative. Wesentliche Maßnahmen sind:

Strategie 3: Insourcing

Diese Strategie resultiert aus dem Beziehungstyp 3: Die sehr spezifischen Anforderungen des Kunden verlangen einen deutlich stärken Einfluss auf die IT. Wir sehen allerdings im Markt keinen generellen Trend zu dieser Variante; allenfalls in einzelnen Bereichen ist sie anzutreffen. In manchen Fällen muss die gesamte IT-Organisation auf den Prüfstand gestellt und neu ausgerichtet werden. Maßnahmen dieser Strategie umfassen:

Strategie 4: Kombinierte Vorgehensweise

Diese Strategie resultiert aus der "gespaltenen" Einschätzung des Beziehungstyps 4 und betrifft die meisten Unternehmen. Sie holen Teilbereiche ihrer IT zurück, verlängern in anderen Segmenten den Vertrag und schreiben wieder andere neu aus. Als wesentliche Maßnahmen sind hier zu nennen:

Die Zeitpläne für die Strategien

Die vier Strategien bei einer Neuorientierung der IT.
Foto: PwC/Jörg Hild

Welche Option der CIO auch immer wählt: Stets droht am Ende eine Zeitfalle. Diese Gefahr wird meist unterschätzt. Er kann deshalb nicht früh genug anfangen, sich mit dem End-of-Contract auseinanderzusetzen.

Der Kunde sollte bis zu 3 Monate für die Standortbestimmung/Strategieentwicklung und bis zu 18 Monate für die Umsetzung der Sourcing-Strategie veranschlagen. Daraus ergibt sich der Zeitbedarf der verschiedenen Strategien: für eine Neuausschreibung ca. 12 Monate, für Neuverhandlung und Verlängerung 2 - 3 Monate, für Insourcing ca. 18 Monate.

Auf jeden Fall ist es ratsam, stets einen ausreichenden Puffer einzubauen. Zum Beispiel können Neuverhandlungen auch scheitern. Verfügt der Kunde dann nicht über eine zeitliche Reserve, gerät er unter extremen Druck.

Deshalb gilt die Faustregel: Der CIO sollte sich rund zwei Jahre vor dem Ende des Vertrags mit der Folgestrategie beschäftigen, um die Zeitfalle zu vermeiden. Die PwC Sourcing-Studie hat jedoch eine beunruhigende Sorglosigkeit an den Tag gebracht: 55 Prozent der Unternehmen befassen sich frühestens ein Jahr vorher mit dem auslaufenden Outsourcing-Vertrag. Das kann allerdings teuer werden: Im Notfall müssen sie ihn kurzfristig verlängern - was in der Regel mit schlechten Konditionen verbunden ist, denn in diesem Fall sitzt der Dienstleister eindeutig am längeren Hebel.

So nutzen Sie das Vertragsende als Chance zur Veränderung

1. Lassen Sie sich von auslaufenden Verträgen nicht verunsichern.

2. Passen sie die Fertigungstiefe den veränderten Anforderungen an.

3. Führen Sie eine umfassende Standortbestimmung durch.

4. Wählen Sie die für Ihr Unternehmen passende Handlungsalternative.

5. Beschäftigen Sie sich frühzeitig mit auslaufenden Verträgen.

Jörg Hild ist Partner IT Sourcing Advisory bei PwC Deutschland.