Gerry Weber rollt RFID aus

Ab 2010 ein RFID-Chip in jedem Kleidungsstück

22.12.2009 von Hartmut  Wiehr
Es wurde viel gesprochen, doch konkrete RFID-Projekte waren in den letzten Jahren ausgesprochen selten. Nun will das Modehaus Gerry Weber mit der RFID-Einführung auf internationalem Niveau beginnen. Verbessert werden sollen vor allem die Logistik und der Diebstahlschutz.
Mit RFID-Etiketten verspricht sich Gerry Weber eine verbesserte Warenlogistik und mehr Schutz gegen Diebstahl.

Laut dem Handelshaus wurden die textilen Pflegeetiketten mit integrierter Warensicherung und elektronischem Produktcode für die unterschiedlichen Kleidungsstücke durch das Unternehmen Avery Dennison für die speziellen Anforderungen der Bekleidungsbranche entwickelt. Im Jahr 2010 sollen dann die über 150 Filialen des Bekleidungshauses im In- und Ausland mit der neuen Warensicherungstechnik ausgerüstet werden.

Bereits im April 2009 hatte die Gerry Weber International AG mit einer Erprobung der RFID-Technologie begonnen. Die Testphase startete in den Filialen Bielefeld, Münster und Düsseldorf Arcaden. Ziel war es, den Kunden eine verbesserte Warenverfügbarkeit und mehr Zeit zur individuellen Beratung anzubieten, wie es offiziell heißt. Mit dem Innovationsprojekt versprach man sich aber vor allem eine Beschleunigung in der Logistikkette und Einsparungen auf der Kostenseite sowie einen größeren Schutz vor Diebstählen.

Laut Gerry Weber ging es in der Erprobungsphase darum, die Potenziale der Technologie im Echtbetrieb zu testen. Im Vordergrund des RFID-Projekts stand hier in erster Linie die Unterstützung der logistischen Prozesse: Neben der beschleunigten und präzisen Warenanlieferung ging es dem Unternehmen um die Durchführung von Zwischeninventuren sowie die Kontrolle des Warenausgangs in den Logistikstandorten.

Für RFID entschied man sich wegen der Möglichkeiten, Objekte eindeutig ohne Sicht- oder Berührungskontakt zu erfassen. Herzstück der Testphase war ein Sicherungsetikett mit einem Computerchip, auf dem eine Ziffernfolge gespeichert ist (Elektronischer Produktcode, EPC), und Antennen, die am Ladenausgang installiert sind und bei Nichtbezahlung einen Alarm auslösen. Inwieweit dieses Verfahren tatsächlich wirksamer ist als die bisher eingesetzten, muss sich wohl erst noch im Alltagsbetrieb herausstellen.

Die Besonderheit des Projekts liegt auch in der Kooperation mit dem vor kurzem beendeten Forschungsprojekt "Ko-RFID". Darin wollte Gerry Weber zusammen mit der Humboldt-Universität Berlin und der Technischen Universität Berlin die Erfahrungen mit dem unternehmensübergreifenden Einsatz von RFID analysieren.

"Ko-RFID", das u.a. vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) und vom VDI/VDE/IT unterstützt und gefördert wurde, hatte sich folgende Aufgabenstellung gegeben: "RFID-Technologie ist im Begriff, Wertschöpfungs- und Logistikprozesse in Produktion und Handel nachhaltig zu verändern. Um das Potenzial der Technologie voll auszuschöpfen, ist es notwendig, vom heutigen Stand zumeist unternehmensinterner, geschlossener Systeme zu Wertschöpfungsnetzen überzugehen, in denen firmenübergreifende Kooperationen die Regel sind. Derartige Kooperationen können durch die RFID-Technologie gefördert werden, müssen aber organisatorisch im Detail strukturiert und definiert werden."

Ko-RFID bringt Gerry Weber, SAP und Daimler zusammen

Der Ansatz gibt sich sehr praxisorientiert und geht damit über bisherige, letztlich isolierte Bemühungen wie das vom Metro "Future Store" hinaus: Ko-RFID wollte die neue Technologie in enger Kooperation mit Unternehmen, die in Deutschland bereits erste RFID-basierte Logistiksysteme realisiert haben, untersuchen. Dazu zählen neben Gerry Weber der Software-Anbieter SAP als Hersteller und Dienstleister sowie Daimler und der Küchenhersteller Wellmann als RFID-Anwender.

Ausgehend von Analysen existierender Wertschöpfungsketten der Textil-, Automobil- und Küchenherstellerbranche – so die Selbstaussage von Ko-RFID – sollten technische Standards, Schnittstellen und Logistikapplikationen für RFID-basierte Wertschöpfungsnetze geschaffen werden. Ziel ist letztlich die Formulierung von einschlägigen Handlungsempfehlungen und Referenzmodellen – was im Falle der Verwirklichung dem schon fast totgesagten RFID einen größeren Schub nach vorne versetzen könnte.

Gerry Weber sieht sich bereits auf der von Ko-RFID empfohlenen Erfolgsschiene. So sei bisher bei der Prüfung von RFID als Warensicherungstechnologie folgendes erreicht worden: Man könne das Prinzip der Technologie bestätigen, das darin besteht, dass jedes in einer Filiale befindliche RFID-Tag in einer gemeinsamen Datenbank verwaltet wird. Die Warensicherungsfunktion wird erst nach erfolgreichem Kassen- und Bezahlvorgang deaktiviert.

Will zum Beispiel ein Dieb Ware stehlen, die noch nicht an der Kasse ausgebucht wurde, wird über Antennen am Ausgang des Geschäftes ein Alarm ausgelöst. Speziell für diesen Einsatzzweck hatte die Deutsche Telekom gemeinsam mit Gerry Weber eine geeignete Funkantenne entworfen.

Die bisherigen, weitaus kostenintensiveren Sicherungssysteme mit Magnetnadeln gehören damit nach Aussage von Gerry Weber der Vergangenheit an, da die neue Funktionalität bereits direkt auf dem eingenähten Chip integriert ist. Hierdurch ließen sich für den Handel erhebliche Kosteneinsparungspotenziale realisieren. Gerry Weber plant, die gesamte Produktion über alle Marken hinweg mit RFID-Etiketten auszurüsten, um so allen Handelspartnern den Einsatz der Technik zu ermöglichen. Damit sieht man sich zugleich als Pionier für die gesamte Branche.

Gerhard Weber, Vorstandsvorsitzender von Gerry Weber International, gibt sich zufrieden: "Unser Unternehmen hat sich in den letzten zehn Jahren intensiv mit dem Thema RFID auseinandergesetzt und viel Geld investiert, um die Technologie für die gesamte Bekleidungsbranche wirtschaftlich nutzbar zu machen. Für uns ist die Entscheidung des RFID-Rollouts ein echter Meilenstein. Wir laden alle anderen Bekleidungshersteller ein, an der breiten Einführung von RFID mitzuwirken, um den Einzelhändlern hierdurch erhebliche Kostensenkungen sowie Transparenz- und Effizienzsteigerungen zu ermöglichen."

Eine Zusammenarbeit findet schon jetzt im Rahmen der "fashionGroup RFID" und der "GS1/EPC global" statt. Die "fashionGroup RFID" definiert ihre Arbeit wie folgt: "Das Thema RFID als berührungslose Möglichkeit der Datenerfassung betrifft im Modebereich alle Stufen der Wertschöpfungskette – von der Erstellung der Fasern bis zur Bezahlung des fertigen Bekleidungsstückes an der Kasse im Handel. Da aber jedes Unternehmen seine ganz eigene Historie und damit unterschiedliche Prozesse aufweist, bedarf es gemeinschaftlicher Abstimmungen, Standards und anderer kollektiver Anstrengungen, um solch eine Grundlagen-Technologie optimal und vor allem weltweit allen internationalen Marktteilnehmern zugänglich zu machen."

Datenschutz: Mit RFID Kundenprofile erstellen

Es scheint jetzt so auszusehen, als ob die RFID-Anwendungen im Handel an Fahrt gewinnen. Die Preise für die Funkchips haben jetzt ein Preisniveau erreicht, dass sich ihr Einsatz bei höherwertigen Konsumgütern wie Kleidung offenbar lohnt. Und über den effektiveren Diebstahlschutz kann der Handel den Schaden von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr sinnvoll eingrenzen. Offen bleibt aber nach wie vor die Frage des Datenschutzes, denn die Chips sind ja fest in die Kleidungsstücke eingenäht und könnten so für Kundenprofile missbraucht werden.