IT-Tochterfirmen

Akute Absturzgefahr

02.06.2004
Kein Erfolg am Drittmarkt, keine Kostenersparnis, kein Innovationsvorteil: Während ihre IT-Töchter die erwünschten Ziele reihenweise verfehlen, reißt den ersten Mutter-Konzernen der Geduldsfaden.

Die Bindungen zwischen Unternehmen und ihren IT-Ausgründungen sind angespannt. Rund fünf Jahre nach der großen Abseilwelle müssen die Konzernvorstände feststellen, dass der Nachwuchs noch immer an der Mutter hängt - und in der Luft baumelt: Ohne Kosten- und Innovationsvorteile für das eigene Haus sind die meisten der Tochterfirmen auch am Drittmarkt gescheitert. Mit einem oft unprofessionellen Vertrieb und unselbstständigen Mitarbeitern schaffen nur Ausnahmen einen externen Umsatzanteil von mehr als zehn Prozent.

Etwa ein Dutzend IT-GmbHs, so Marktbeobachter, sollen deshalb noch im laufenden Jahr verkauft werden. Meta Group und Forrester sehen Deutschland am Beginn einer Konsolidierungswelle. Der RAGNachwuchs RAG Informatik steht bereits offiziell zum Verkauf, und Karstadt-Quelle sucht für die Tochter Itellium einen Partner. Über andere Trennungen kursieren täglich wechselnde Gerüchte, die in den Vorstandsetagen mit einem Aufschrei und sofortigen Dementis der Sprecher honoriert werden. "Die derzeitige Hysterie um mögliche Verkäufe hat den Blick für die Realität vollkommen verstellt", meint Peter Kreutter von der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar.

Mit einer guten Partie für die Tochter könnte es schwierig werden, wenn der Markt sich erst konsolidiert hat. Die etwa 340 Millionen Euro Ablösesumme, die HP für die Thyssen-Krupp-Tochter Triaton gezahlt haben soll, weckte zwar die Begehrlichkeiten mancher Konzernvorstände, wird in der Branche aber eher als Ausnahmefall gesehen. Der Traum vom schnellen Geld durch den Verkauf der Tochter ist ohnehin trügerisch, denn er setzt voraus, dass die Käufer bereit sind, einen strategischen Preis zu zahlen. Und den bekommt der Anbieter nur, solange er eine Mitgift in Aussicht stellt - meist in Form langfristiger Verträge.

Ein Dutzend IT-GmbHs vor dem Verkauf

Auf dem Gipfel der Ausgründungswelle rieten viele Consultants zur Verselbstständigung der IT-Abteilung. Gründe dafür gab es viele: zunehmende Transparenz, Professionalisierung des Teams, Leistungsanreize und neues Selbstverständnis für die Mitarbeiter, vor allem aber marktkonforme Preise und die Hoffnung auf den Drittmarkt. Andreas Rüter, Leiter der IT-Practise von Booz Allen Hamilton, Ausgründungs-Befürworter der ersten Stunde, steht weiterhin zu dem Modell; die derzeitige Verkaufsdebatte ist für ihn ein normaler Prozess: "Wenn die Hausaufgaben gemacht sind, stellt sich natürlich die Frage: Mission completed - wie geht es weiter?

Verkauft man die Tochter, verfolgt man Drittmarktziele oder übernimmt die IT-GmbH weitere Felder im Unternehmen? Diverse Firmen wollten damals ihre IT-Abteilungen zusammenlegen. "Die klare Trennung in eine eigenständige Einheit war ein wichtiges Vehikel dafür", meint Rüter. Viele Firmen seien aber jetzt in einem zweiten Schritt erst dabei, die Synergie- bzw. Einspareffekte zu realisieren. Rüter könnte sich vorstellen, auch jetzt noch - unter bestimmten Bedingungen - zu einer eigenständigen IT-GmbH zu raten.

"Nicht die Idee einer Ausgründung ist schlecht, sondern die inkonsequente Umsetzung", sagt Jens Weiß von der Hamburger Unternehmensberatung Baumgartner & Co. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, aber auch zu den anderen internen Kunden, ändere sich selbstverständlich, oft sei es schwieriger geworden. Jeder CIO, der in die Rolle eines Geschäftsführers der IT-Tochter schlüpft, muss augenblicklich anfangen, sein Engagement für die Konzernmutter einzuteilen. Schließlich soll er auch neue Kunden bedienen, oft ohne dafür zusätzliche Kapazitäten gestellt zu bekommen. Außerdem muss er Vertriebskompetenz aufbauen, was ihn zusätzlich Kraft kostet. Weiß: "Viele Konzerne oder Units haben daher schon frühzeitig wieder eigene IT-Abteilungen aufgebaut."

Angst vor Machtverlust

Angst, mit dem Personal auch die Macht- und Kontrollbasis zu verlieren, hat in vielen Fällen dazu geführt, dass CIOs Mechanismen fanden, die Zügel nicht ganz aus der Hand zu geben. Die Doppelfunktion, in der der CIO des Konzerns gleichzeitig die Rolle des CEO der Tochter übernimmt, ist eine, ein Platz im Aufsichtsrat der Tochter eine andere Möglichkeit (siehe "Ein CIO als CEO - Der Weg in die Schizophrenie").

Die Debatte um Verkäufe von IT-Töchtern wird die Diskussion um Chancen und Risiken des Outsourcings und die Frage, welche Fertigungtiefe sich ein Konzern leisten kann und will, erneut entfachen. Die Lösungslandschaften werden dabei so spannend und facettenreich wie die Unternehmen selbst sein; "die" Zukunft für die Tochter kann und wird es nicht geben. Berater sehen im Wesentlichen sechs Handlungsalternativen: Ausbauen, Halten, Reintegrieren, Outsourcen, zum Teil Verkaufen, Verkaufen.

BASF: Investieren

Wolfgang Erny sieht sein Heil im Ausbau. Der Geschäftsführer der BASF IT Services GmbH hat in diesem und im vergangenen Jahr dem Mutterkonzern nach eigenen Angaben jeweils rund 45 Millionen Euro eingespart, trotzdem 600 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt und eine Vertriebsorganisation mit neuen Leuten aufgebaut. Dass die Mutter bei einem externen Umsatzanteil von sieben Prozent noch immer sein Hauptkunde ist, grämt ihn nicht , denn er hat große Pläne: "Mittelfristig", so Erny, "wollen wir diesen Anteil auf 15 bis 20 Prozent erhöhen. Nicht allein durch organisches Wachstum, sondern auch durch Akquisitionen." Dazu ausdrücklich von der Mutter autorisiert, seien seine Mitarbeiter derzeit dabei, den Markt zu analysieren.

BASF hat den schweren Weg über die Abwärts-Rolltreppe nach oben gewählt. Die Ludwigshafener nehmen sich Zeit, die sie möglicherweise gar nicht haben, denn schon in zwei bis drei Jahren wird der IT-Dienstleistungmarkt sich revolutionär verändert haben, sind sich Marktforscher einig. Den meisten Konzern-IT-Töchtern werden in der jetzigen Form keine Überlebenschancen eingeräumt.

Bayer: Halten

Vor allem wegen der zerplatzten Drittmarkthoffnungen scheint das Tochtermodell auf breiter Basis gescheitert. Sich jetzt aus diesem Geschäft wieder zurückzuziehen, seine Strategie zu korrigieren, kommt für viele einem Eingeständnis des Scheiterns gleich. Völlig zu Unrecht, wie Bayer-CIO Andreas Resch meint: "Ich halte die gegenwärtige Welle von Verkaufsoptionen und Gerüchten für ein Resultat aus zwei Beweggründen. Auf der einen Seite wird die Welle der Sale-and-Lease-back-Aktionen fortgesetzt, mit denen sich diverse Firmen schon in der Vergangenheit zugunsten einer Bilanzkürzung und eines Zuflusses von Bargeld von Assets getrennt haben. In diesen Fällen gehe es schlicht um die Verbesserung des Cashflows beziehungsweise den Abbau von Verschuldung. Auf der anderen Seite wollten einige Firmen die Managementleistung nicht mehr erbringen, die für die Professionalisierung dieser Dienstleistungsbereiche benötigt werde.

Für Resch steht am Ende für jeden Konzern die Frage, ob er sich diese Gestaltungsaufgabe noch selbst zumuten will oder dies von einer fremden Firma steuern lässt. Resch: "Die Gefahr dabei ist, dass es sich nicht um das Outsourcing von gut geregelten Prozessen zur weiteren Optimierung handelt, sondern um den Versuch, Probleme zu verkaufen. Eigene Verkaufsabsichten für den Bereich der Business Services seien bei Bayer wieder ad acta gelegt worden. Resch: "Wir gehen den Weg der selbst gemanagten Professionalisierung unserer Dienstleistungen."

Das Mobilfunkunternehmen Vodafone entschied sich, einige Teilbereiche der IT-Tochter Vodafone Information Systems zu veräußern. So wurden das SAPBeratunggeschäft sowie das Print- und Media-Center mit insgesamt 170 Mitarbeitern verkauft. Außerdem wurden 70 Mitarbeiter in den Konzern zurückgeholt, und weitere 100 Mitarbeiter befinden sich derzeit in einer Beschäftigungsgesellschaft. Der CEO von Information Systems, Joachim Bellinghoven: "Dabei hatten wir so große Pläne: Wir wollten den Laden auf 2000 Mann ausbauen, das führende E-Commerce-Haus in Europa werden."

Vodafone: zum Teil Verkaufen

Der externe Marktanteil, den die Tochter immerhin auf 20 bis 25 Prozent steigern konnte, werde im laufenden Geschäftsjahr wieder auf zehn Prozent zurückgefahren. Dazu Bellinghoven: "Was nützt der beste externe Anteil, wenn die Marge nicht entsprechend ist?" Bei dem dramatischen Preisverfall sei ein Profit einfach nicht zu erzielen gewesen. Man habe sich jetzt wieder auf die Mutter fokussiert, die verbleibenden 500 Mitarbeiter seien wieder zur Ruhe gekommen, die Restrukturierung abgeschlossen. Bellinghoven schaut nach vorn: "Wir planen jetzt wieder optimistisch für die Zukunft."

Wie das Beispiel Vodafone zeigt, taugt der externe Umsatzanteil nur äußerst begrenzt als Erfolgsmaßstab. Daher der berechtigte Zweifel, ob wirklich so viele potenzielle Käufer scharf auf die IT-Töchter sind. "Möglich, dass einige zum Verkauf stehen werden, aber ob sie auch gekauft werden, ist eine andere Frage", sagt Berater Weiß, und: "Konsolidierung ja, aber das muss nicht immer gleich Verkauf heißen." Ohnehin handele es sich bei den meisten Verkäufen in Wirklichkeit um eine Form des Outsourcings - der Käufer will über die Tochter an die Mutter herankommen. Peter Kreutter von der WHU glaubt, dass ein Verkaufspreis, der den Wert der erwarteten Zuflüsse aus bestehenden Dienstleistungsverträgen (Service-Level-Agreements) wesentlich übersteigt, aus diesem Grund schwer zu erzielen sein wird.

Der so genannte Early-Seller- oder First-Mover-Vorteil könnte auch die WestLB veranlasst haben, ihre Sourcing-Strategie möglichst schnell glattzuziehen: Die Hälfte der Mitarbeiter wird reintegiert, die restliche WestLB Systems wird samt Mitarbeitern, Management, dem Betrieb der IT-Infrastruktur und Applikationsentwicklung outgesourct. Die Rechenzentrumsfunktionen wurden bereits vor einem halben Jahr von T-Systems übernommen. IT-Vorstand Michael Geiger: "Ein entsprechendes Projekt zur Auswahl des künftigen Providers ist aufgesetzt. Der Verantwortungsübergang wird für den ersten Januar 2005 angestrebt. (siehe Interview Seite 60)

WestLB: Reintegrieren oder Outsourcen

Nicht nur Global Player stellen sich die Tochter-Frage. So denkt auch der IT-Direktor eines mittelständischen Produktionsbetriebes bei Hamburg darüber nach, ob es anderen Unternehmen seiner Größe wohl ähnlich geht. Der Betrieb mit insgesamt 600 Mitarbeitern hat sich 2001 vom Ausgründungsfieber anstecken lassen. Mit großen Erwartungen wurde ein Schild mit dem Namen der IT-Tochter an der Tür der IT-Abteilung angebracht. Doch die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Es konnte kein nennenswertes Geschäft mit Dritten aufgebaut werden. Das Unternehmen, das lieber nicht genannt werden will, stellt sich jetzt die Frage: "Wofür das alles?" Die GmbH soll daher bis zum Jahresende wieder aufgelöst werden. Das Schild von der IT-Abteilungstür lässt sich fast spurlos wieder abmachen. Der IT-Leiter: "Alle arbeiten einfach weiter wie bisher."

Wie die Beispiele zeigen, besteht die Lösung häufig aus Mischformen der Optionen, so genannten "Combined Transactions". Bei einem Deal wie Triaton wird der Käufer IT-Dienstleister des Konzerns, das heißt, der Verkauf wird zu einem Fall von Outsourcing. Die Steuerung dieser Zusammenarbeit stellt hohe und für viele neue Anforderungen an das IT-Management des Verkäufers. Je stärker ein Unternehmen von fremden Dienstleistern abhängig wird, desto wichtiger ist dieser von vielen unterschätzte Aspekt, so das Ergebnis einer aktuellen Gartner-Studie.

Die Höhe des möglichen Verkaufserlöses hängt grundsätzlich von Laufzeit und Umfang des Outsourcing-Vertrags ab. Zusätzlich lassen sich gegebenenfalls noch strategische Kaufpreisprämien erzielen - je nach Nachfragesituation. "Vor einem Totalverkauf sollte man genau prüfen, an wen man sich möglicherweise langfristig bindet. Der erzielbare Preis sollte dabei nur ein Kriterium sein - und noch nicht einmal das wichtigste", warnt Kreutter von der WHU. Das IT-Know-how und die Leistungsfähigkeit des Käufers sollten dabei im Mittelpunkt stehen.

Dass derartige Veränderungsprozesse nur mit einem guten Change-Management gelingen können, wird häufig unterschätzt. Im Gegenteil, man scheint seine Fehler von damals liebgewonnen zu haben. Die Mitarbeiter sind in vielen Fällen auf einen Verkauf ebenso wenig vorbereitet, wie sie es auf die Ausgründung waren. "Schwierig, wenn das wirklich lautlos über die Bühne gehen soll", sagt auch Jürgen Stamm, Chef der IG-Metall Stuttgart. Zwar muss der Käufer aufgrund von § 613 a BGB die Mitarbeiter ein Jahr lang zu bisherigen Konditionen übernehmen, aber danach ist alles offen.

Den Fitten könnten sich durch den Firmenwechsel zwar durchaus Karrierechanen bieten, die Realität aber sieht anders aus, berichten Betroffene. "Die Mitarbeiter der Töchter schweben meist in ihrer eigenen, von der Mutter erlernten Sprachwelt, die sind auf den Drittmarkt überhaupt nicht vorbereitet", so ein Gewerkschafter. Stichwort Unternehmenskulturen - dazu Stamm: "Da treffen oft zwei Welten aufeinander, der Kulturkampf ist programmiert." Wie im Fall HP und ThyssenKrupp beziehungsweise Triaton. Stamm: "HP mit seiner eher gewerkschaftsfeindlichen, lockeren Startup-Mentalität trifft auf die Stahlwelt von Thyssen. Folge: Die Guten - bei Debis waren es damals bis zu 30 Prozent - machen sich vom Acker", sagt Stamm, der auch im Aufsichtsrat von T-Systems sitzt und den Verkauf der Debis an die Telekom life miterlebte.

Auch die Rolle des CIO wird sich im Falle eines umfangreichen Outsourcing oder von Verkäufen massiv verändern. Falls er sich am Ende nicht gar selbst kannibalisiert, könnte er zum Smart Sourcer mutieren. Eine Funktion, die Deutsche-Bank-CTO Clemens Jochum definiert: "Wir verstehen unter Smart Sourcing die Zerlegung der Wertschöpfungskette in klar definierte, überschaubare Elemente. Anschließend wird entschieden, was selbst gemacht und was eingekauft wird. Dabei sind externe oder kooperative Sourcing-Ansätze grundsätzlich als gleichberechtigt zu Inhouse-Lösungen zu sehen."

RAG: Loslassen

RAG-CIO Dieter Pfaff ist nach seiner öffentlichen Kompromittierung erst einmal nicht zu sprechen. Die Entscheidung des Konzerns, die IT-Tochter RAG Informatik zu verkaufen, hatte den CIO selbst kalt erwischt. Über einen Sprecher lässt er mitteilen, dass man RAG mit den 830 Mitarbeitern und einem externen Umsatzanteil von 20 Prozent komplett verkaufen wolle, und das noch in diesem Jahr. "Wenn der Markt erst mal verteilt ist, ist nachher kein Interessent mehr da", begründet der Sprecher die Eile.