Im Zuge von Social Media

Analytical Officer greift CIO-Rolle an

08.05.2012 von Werner Kurzlechner
Mal wieder sieht ein Wissenschaftler die klassische CIO-Rolle in Gefahr. In Zeiten von Mobil-IT und Social Media stehe eine Aufspaltung der Funktion bevor.

Kinder wollen bekanntlich oft Feuerwehrmann werden, manche werden es sogar tatsächlich. Andere erfüllen sich Berufsträume, indem sie Sternekoch, Operndiva, Menschenrechtsanwalt oder Bundeskanzlerin werden. Aber wie viele CIOs wollten eigentlich als Kind oder Jugendlicher, nun, ausgerechnet „CIO“ werden? Was mit Computern machen, das vielleicht; Programmieren, Management oder Informatik lernen und studieren; später vielleicht sogar eine Stelle als IT-Leiter anstreben. Aber so lange liegen sie noch nicht zurück, die Zeiten, in denen erstens Berufskürzel aus dem englischen Sprachraum unüblich waren und zweitens neben CEO und CFO auch die neue Rolle eine „Chief Information Officer“ überhaupt erst definiert wurde.

In IT-Fragen hatte bisher alleine der CIO den Hut auf. Jetzt droht die Zersplitterung dieser Funktion.

Es lohnt, sich daran zu erinnern, wenn man die Analyse des Forschers und Buchautors Thornton A. May, Executive Director der IT Leadership Academy am Florida State College in Jacksonville, für unsere amerikanische Schwesterpublikation Computerworld.com liest. May sieht nämlich eine „Ära der Aufspaltung“ aufziehen, die gerade den CIO in seinem Kernbereich berührt.

Mitursächlich für dieses Phänomen sind Trends wie die mobile IT und vor allem auch Social Media, diese durch IT generierte Parallelwelt, in der die Kunden ihr Königsein so richtig ausleben können und mit der die Unternehmens-IT oft so wenig anzufangen weiß. May weiß jedenfalls zu berichten, dass jenseits des Atlantiks die CIOs den Wandel schon mit angespannten Nerven zu spüren beginnen. Kürzlich habe er sogar einen IT-Chef aus Tom Stoppards Theaterstück „Arcadia“ zitieren hören: „Es macht mich so glücklich. Wieder am Anfang zu sein, fast nichts wissend … Die Zukunft ist Unordnung. […] Es ist die bestmögliche Zeit zum Leben, wenn sich fast alles, was man zu wissen glaubt, als falsch herausstellt.“

Zu blumig? Nun ja, diese dramatischen Worte waren von einem leidgeprüften CIO offenbar als treffende Zuspitzung seiner Lebenswirklichkeit gemeint. Und May führt durchaus harte Fakten ins Feld. Zum einen erlebten die Firmen gerade eine aufgeregte Umstrukturierungsphase. So seien derzeit 60 Prozent der weltweit führenden 2000 Firmen dabei, ihr Führungspersonal auszutauschen – CEOs mitinbegriffen, vor allem aber ihre CFOs, CIOs, COOs sowie die Chefs ihrer Marketing-, Rechts- und Personalabteilungen. Üblich sei, dass dies lediglich in jedem zehnten oder fünften Unternehmen gleichzeitig stattfinde, so May.

Zum anderen experimentiere ein Fünftel der Global 2000 mit der Schöpfung neuer Titel für ihr Führungspersonal wie Chief Digital Officer, Chief Customer Officer, Chief Analytical Officer oder Head Data Scientist. „Wie diese Bezeichnungen nahelegen, sind IT und Marketing die am meisten von einer Aufspaltung bedrohten Funktionen.“

Basisfunktion Innovation

May geht also durchaus davon aus, dass die neu zugeschnittenen und bezeichneten Rollen den CIO der gerade verblühenden klassischen IT-Ära hinweg zu spülen drohen. Der Computerworld-Gastautor zitiert den Marketing-Doyen Peter Drucker, für den Marketing und Innovation die beiden einzigen Basisfunktionen im Unternehmen waren: „Marketing und Innovation produzieren Resultate; alles andere sind Kosten.“ May sieht das in einer immer stärker durch die Kunden gesteuerten Ökonomie ähnlich: „Die neuen C-Level-Positionen werden geschaffen, um Aufgaben zu erfüllen, die nach Wahrnehmung der Firmen von den derzeitigen CIOs und Chief Marketing Officers nicht adäquat wahrgenommen werden.“

Die hinter dem Konzept Chief Digital Officer stehende Idee veranschaulicht May anhand einer Anekdote, die Buchautor Michael Moon während einer CIO-Konferenz der Ohio State University erzählte. Erlebte hatte sie ein auf Marken spezialisierter Professor der Harvard Business School, eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Dieser renommierte Wissenschaftler nun musste sich von seiner 13-jährigen Tochter auf dem Weg zu einem Apple-Store sagen lassen, er wisse nichts über Marken. Die These der aufmüpfigen Göre: „Wenn man für ein Produkt Werbung machen muss, stimmt damit irgendetwas nicht.“ Willkommen in der schönen neuen Apple- und Facebook-Welt! Diese Welt und ihre Kundenkonstellation werde von vielen klassischen Marketing-Chefs nicht mehr verstanden, so May. Just deshalb sähen so viele Unternehmen Bedarf für einen Chief Digital Officer: jemanden, der wirklich verbunden und vernetzt ist mit Kunden, die via Smartphone, Tablet und soziale Netzwerke immer online und digital unterwegs sind.

Ganz ähnlich seien zwei weitere neue Funktionen zu verstehen. Der Chief Customer Officer ist demnach dafür da, die Prozesse und Verhaltensweisen des Unternehmens an den Kundenanforderungen anstatt an internem Bedarf auszurichten. Der Chief Analytical Officer wiederum greift ins CIO-Kerngeschäft ein. Er soll in Handeln umsetzbare Erkenntnisse gewinnen aus all den im Unternehmen generierten Kundendaten, die ihren Ursprung in mobiler Kommunikation und in sozialen Netzwerken haben. Und aus den Daten, die jenen Systemen entstammen, die CIOs nach Einschätzung Mays in den vergangenen beiden Jahrzehnten eher widerwillig implementiert haben.

Wohin genau der derzeitige Aufbruch zu neuen Ufern führen wird und ob CIOs am Ende gar vom Aussterben durch Aufspaltung bedroht sind, lässt der Autor offen. May zieht sich zurück in die Rolle des genüsslichen Beobachters: „Es wird faszinierend zu sehen sein, wie diese drei neuen Cs mit den alten Cs spielen werden.“