Virtualisierung, Office 365

Anwender-Ärger über Microsoft-Lizenzen

30.05.2011 von Nicolas Zeitler
Anwender erwarten, dass neue Cloud-Angebote wie Office 365 Microsofts Lizenzmodelle noch komplexer machen. Eine Arbeitsgruppe des Microsoft Business User Forums kämpft für mehr Durchblick.
Tobias Kraus von der System Integration and Enterprise Contracting, Comgroup: "Bis man belastbare Aussagen bekommt, läuft man von Pontius zu Pilatus."
Foto: Comgroup

Auf Überraschungen müssen Microsoft-Anwender beim Vertragsabschluss immer gefasst sein. "Wir haben bisher jedes Mal ein Aha-Erlebnis gehabt", sagte Tobias Kraus von Comgroup bei der Jahrestagung der Anwendervereinigung MBUF in Stuttgart. Kraus ist bei dem IT-Dienstleister aus dem Firmenkonglomerat des Schraubenherstellers Würth für das Thema Softwarelizenzen zuständig - und er bekommt als Leiter der Arbeitsgruppe Lizenzen im Microsoft Business User Forum (so der volle Name des MBUF) den gebündelten Unmut von IT-Chefs über Microsofts komplizierte Lizenzmodelle mit.

"Es wird immer komplexer", stellt Kraus fest. Nachdem Mitte April die Public-Beta-Phase angelaufen ist, steht in Bälde der Marktstart von Office 365 an, der Cloud-Variante von Microsoft-Lösungen wie Office oder der Kommunikationsplattform Lync, des Nachfolgers des Office Communications Servers. Auf der MBUF-Tagung, in deren Vortragsprogramm der Weg der Redmonder in die Cloud einer der Schwerpunkte war, gab Günther Igl von Microsoft einen ersten Eindruck vom Bezahlmodell.

So zeichnet sich die Cloud-Variante von Office Professional Plus etwa dadurch aus, dass Unternehmen die Nutzung der Software pro Nutzer und Monat bezahlen. Für Mitarbeiter ohne eigenen PC bietet Microsoft bei Office 365 sogenannte Kiosk-Tarife an. Mit ihnen können zum Beispiel Bandarbeiter, die gelegentlich nur einen Blick ins Intranet werfen, das Cloud-Office zu günstigeren Raten nutzen als Angestellte, die ihren eigenen Rechner auf dem Tisch stehen haben.

Auch Kraus kennt zur Bepreisung des neuen Office aus der Wolke bisher nur derartige Aussagen aus Sales-Präsentationen. Er sagt: "Es ist vorab schwierig abzuschätzen, wo die Haken und Ösen sind. Ich bin aber überzeugt, dass es welche gibt." Das lehrt ihn die Erfahrung. Zwischen dem, was Vertriebsmitarbeiter erzählen, und dem, was später bei der Unterzeichnung im Vertrag steht, gebe es "immer ein kleines Delta".

Details schwer zu erfahren

Ein Beispiel: Beim Sales-Pitch erzählten ihm Vertriebsmitarbeiter, dass das sogenannte Enrollment for Core Infrastructure (ECI) nur fünf Prozent mehr koste als eine Windows-Server-Lizenz - beim ECI lizenzieren Anwender statt einzelner Komponenten ihre Infrastruktur als komplette Suite. Dass dies aber nur für das günstigste aus einem Dutzend verschiedener ECI-Modelle gelte, habe man ihm nicht mitgeteilt, sagt Kraus. Fragten Anwender vorab nach Details zur Lizenzierung, verwiesen Microsoft-Vertriebler gern an Kollegen. "Bis man belastbare Aussagen bekommt, läuft man von Pontius zu Pilatus", berichtet Kraus aus seinen Erfahrungen und denen der MBUF-Mitglieder aus der Lizenzen-Arbeitsgruppe. "Das ist leider Usus", höre er von Anwendern immer wieder.

Abgesehen von den Unbekannten in der neuen Office-365-Umgebung kann die aus Sicht der MBUF-Lizenzexperten spärliche Informationspolitik für Anwender auch bei einem anderen aktuellen Thema unerwartete Kosten verursachen: bei der Client-Virtualisierung. Hat ein Unternehmen seine Desktops virtualisiert, können sich Anwender potenziell von jedem Firmenrechner aus auf ihrer Arbeitsoberfläche anmelden.

Microsoft-Lizenzen gelten laut Tobias Kraus aber für eine Zahl an Clients, nicht für eine Anzahl von Nutzern. Meldeten sich Nutzer also an mehreren Clients an, kämen auf Unternehmen womöglich Nachzahlungen zu - abhängig vom Vertrag mit dem Softwarehersteller. "Das Beispiel zeigt, dass die Lizenzierung zwei Jahre der technischen Entwicklung hinterherhinkt", sagt Lizenzspezialist Kraus.

Modelle für virtuelle Umgebungen

Thomas Hemmerling-Böhmer, Geschäftsführer der MBUF.
Foto: MBUF

Immerhin: Bei der Windows- und Applikations-Server-Lizenzierung böte Microsoft "mit etwas Verspätung" inzwischen Modelle für virtualisierte Umgebungen an, wie Kraus in Stuttgart berichtete. Und ein neues Werkzeug erleichtert es Unternehmen seit Kurzem, am Monatsende die korrekten Zahlen der sogenannten Client Access Licences (CAL) an Microsoft zu melden. Die CAL geben die Zahl der Clients an, die zum Beispiel Dienste eines Sharepoint-Servers in Anspruch nehmen. "Dieser Usage Tracker könnte wichtig werden, wenn wir künftig Mischformen aus On-Premise- und Cloud-Lizenzierungen nutzen", sagte Kraus.

Die Arbeit der Gruppe, die sich laut Kraus einem der "Ur-Themen" des MBUF widmet, fruchtet also. Auf der diesjährigen CeBIT hatte der bei Microsoft weltweit für Lizenzierung zuständige Vice President Joe Matz ein offenes Ohr für die Kritik der Anwender. Und an den Treffen der Arbeitsgruppe nimmt regelmäßig Microsofts Lizenzstrategin Claudia Fischer teil. Dass man gehört werde, habe auch mit der Größe des MBUF zu tun, ist Tobias Kraus überzeugt. Die Anwendervereinigung spricht über ihre Mitglieder inzwischen für rund 1,7 Millionen Seats - also Arbeitsplätze, an denen Microsoft-Lösungen im Einsatz sind.

Webcast: Das neue Office 365 im Test

Was kann die Cloud-Lösung? Darüber spricht Anwender Stefan Truthän (hhpberlin) mit Experton-Analyst Axel Oppermann und Florian Müller von Microsoft. Klicken Sie auf: www.cio.de/office365-webcast

MBUF: Wachsen und für die Anwender sprechen

Das Microsoft Business User Forum (MBUF) will seine Mitgliederzahl noch dieses Jahr fast verdoppeln und sich künftig als Stimme der Anwender positionieren. Diese Vision stand bei der diesjährigen Tagung der Vereinigung im Stuttgarter Mövenpick Airport Hotel über dem Vortragsprogramm mit Schwerpunktthemen wie Cloud Computing und Collaboration.

Bernd Sengpiehl, Vorstandssprecher der MBUF.
Foto: MBUF

"Wir haben bisher das Problem, dass wir noch zu wenig bekannt sind", sagte MBUF-Vorstandssprecher Bernd Sengpiehl, CIO beim Werkstattausrüster Theo Förch. In der einschlägigen Presse werde man selten erwähnt; sogar viele Mitglieder des CIO-Circle wüssten mit der Abkürzung "MBUF" nichts anzufangen.

Einen Grund dafür sieht Thomas Hemmerling-Böhmer, der auf der dritten großen Jahrestagung des 2004 gegründeten Vereins zum MBUF-Geschäftsführer bestellt wurde, im Stellenwert von Microsoft-Produkten in vielen Firmen: Anders als große SAP-ERP-Installationen würden Lösungen der Redmonder häufig nicht als firmenkritisch angesehen, vor allem "in Unternehmen, die nur Basisfunktionen verwenden und fast 80 Prozent ihrer Software-Features gar nicht nutzen", so Hemmerling-Böhmer.

Als Community Manager kümmert er sich künftig darum, das MBUF bekannter zu machen und neue Mitglieder zu gewinnen. Der Vorstand hat klare Ziele gesetzt: Bis Ende des Jahres soll die Schar der derzeit 90 Mitglieder auf 150 wachsen, bis Ende 2012 auf 300. Statt wie derzeit 1,7 Millionen Seats wolle man dann sieben Millionen vertreten.

Bisher steht beim MBUF der fachliche Austausch zwischen Anwendern im Mittelpunkt. Außer zu Lizenzen gibt es Arbeitsgruppen zu den Themen Business Solutions & Dynamics, Workplace, Datacenter und Security, die sich in der Regel dreimal jährlich treffen. Auch bei der Jahrestagung mit 170 Teilnehmern (neben MBUF-Mitgliedern auch Interessenten) drehten sich die Vorträge von Anwendern, Partnern und Microsoft um Sachthemen: Dynamics-AX-Projekte, Windows 7, die Cloud-Plattform Azure.

Wichtig ist es Geschäftsführer Hemmerling-Böhmer, dass trotz angestrebten Wachstums die "professionelle, aber doch familiäre Atmosphäre" des MBUF erhalten bleibt: Man sei ein nicht riesiger, aber dafür erlesener Kreis hochrangiger IT-Entscheider, die sich auf fachlich hohem Niveau gegenseitig unterstützen, betonte Hemmerling-Böhmer.

Diese Atmosphäre schätzt neben den 13 Firmen, die bei der Jahrestagung als Aussteller auftraten, offenbar auch Microsofts Deutschland-Chef Ralph Haupter. Er fühle sich wohl im Kreis der Anwender, sagte Haupter bei seinem Abendbesuch auf der MBUF-Tagung. Immerhin seien hier ja lauter IT-Verantwortliche versammelt, die mit Lösungen aus seinem Hause arbeiten. Und dass es im Dialog immer wieder auch kritische Stimmen gebe, das gehöre eben dazu.