Premiere Fernsehen

Architekturhoheit trotz Outsourcing

19.03.2007 von Robert Gammel
Wer IT-Auslagerungen nur unter dem Kostengesichtspunkt sieht, springt zu kurz. Für Premiere-CIO Günter Weinrauch ist Outsourcing der wesentliche Faktor, um sich um die strategische Ausrichtung der IT kümmern zu können.

Beim ersten Hinsehen mutet die bunte Grafik der Premiere-IT-Architektur recht psychedelisch an. Kein Wunder, dass sich Günter Weinrauch mehr Zeit wünscht, um das komplexe Geflecht zu entknoten. Hinzu kommt, dass die Zahl der neuen Projekte beständig zunimmt; gegenwärtig laufen bis zu 80 ITVorhaben parallel. Vor zwei Jahren begann der CIO, das operative IT-Geschäft des Senders auszulagern. Schon damals war für ihn Outsourcing weit mehr als nur eine Möglichkeit, die Kosten zu senken. Er wollte damit auch Ressourcen für das Architektur-Management freischaufeln und sich verstärkt strategischen
Zukunftsprojekten widmen.

Nach der grundsätzlichen Entscheidung für Outsourcing hat Weinrauch innerhalb von jeweils drei Monaten drei Bereiche an externe Dienstleister vergeben. So gingen der gesamte SAP-Bereich sowie das Enterprise-Content-Management an die TDS AG, der Spezialanbieter CreateCtrl kümmert sich seitdem um die Systeme für die Programmplanung und Produktion des Senders. Atos Origin sorgt als zentraler IT-Dienstleister für den Betrieb und die Weiterentwicklung aller anderen Applikationen sowie den Bereich Servicedesk und First Level. Daneben wurde 2004 die TK-Infrastruktur für die Call-Center inklusive der VoIP-Dienste an die British Telecom vergeben.

Um dennoch alle Fäden in der Hand zu halten, entwickelte Weinrauch eine Governance-Struktur. Sie umfasst nicht nur die Kontrolle der Dienstleister, sondern fördert darüber hinaus den regelmäßigen Austausch mit den Fachabteilungen. Mit operativen Aufgaben muss sich die 20-köpfige Gruppe kaum noch beschäftigen: „Meine Truppe soll sich primär auf Steuerungsund Beratungsaufgaben sowie auf die strategische Planung konzentrieren,“ so Weinrauch.

Kernkompetenzen gebündelt

Um dem Verlust von Kernkompetenzen vorzubeugen, betreuen fünf „Solution Experts“ jeweils eine Applikations-Domaine. Weitere Systemspezialisten sorgen für die Vorgaben zur Weiterentwicklung und den Betrieb der Premiere-Anwendungslandschaft. Außerdem hat Weinrauch nicht Soft- und Hardwarelizenzen sowie den größten Teil der dazugehörigen Wartungsverträge an die Outsourcing-Partner abgegeben. Steht die Beschaffung neuer Infrastrukturkomponenten an, müssen die Dienstleister dies zuerst über ein geregeltes Prozedere mit Premiere abstimmen.

Auch wenn sich die Zahl der IT-Mitarbeiter bei Premiere vor Ort von ehemals 160 auf nun 20 reduziert hat, kann sich der Sender auf einen größeren Ressourcen-Pool verlassen als vor dem Outsourcing-Projekt. Durch eine enge Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem Betriebsrat sowie einer offenen Kommunikationspolitik gelang es Weinrauch, den Übergang der Mitarbeiter zu den Dienstleistern vergleichsweise konfliktfrei zu bewältigen. Kein einziger der Betroffenen legte Widerspruch ein, und abgesehen von der natürlichen Fluktuation arbeiten alle ehemaligen Premiere-IT-Mitarbeiter auch nach Ablauf der durch Paragraph 613a (BGB) garantierten Schutzfrist von einem Jahr weiter bei den Outsourcing-Partnern.

Mehr Zeit für strategische Projekte

Trotz erheblicher Investments in die Systemstabilität und einer gestiegenen Projektlast sparte Weinrauch durch das Outsourcing in den vergangenen zwei Jahren. So lagen die IT-Kosten 2002 noch bei rund drei Prozent des Umsatzes, in diesem Jahr werden sie erstmals unter zwei Prozent sinken. Und auch das mit der Outsourcing-Initiative angestrebte Ziel, sich wieder verstärkt strategischen IT-Projekten zuwenden zu können, hat Weinrauch mittlerweile erreicht. Das umfasst beispielsweise die Weiterentwicklung der für den Bezahl-Fernsehsender so wichtigen CRM-Infrastruktur. Bei allem Lob für das Auslagerungsprojekt warnt Weinrauch jedoch: „Outsourcing wirkt wie ein Verstärker.“ Wenn kritische Bereiche mit übergeben werden müssen, sollten diese schon in den Vertragsverhandlungen offen angesprochen werden, um sie dann gemeinsam lösen zu können. „Probleme lediglich über den Zaun zu werfen rächt sich schnell“, ist sich der Premiere-CIO sicher.