Bewerbungsgespräch

Assessment-Center – Nein danke!

13.11.2012 von Kristin Schmidt
Lebenslauf, Anschreiben, Bewerbungsgespräch – alles kein Problem. Doch beim Assessment-Center schrecken viele Bewerber zurück. Wer sich mit dem Auswahlverfahren schwer tut und welche Konsequenzen Unternehmen daraus ziehen müssen.

Vorstellungsrunde, Gruppenarbeit und die obligatorische Postkorbübung sind die zentralen Inhalte eines jeden Assessment-Centers. Die Auswahlverfahren dauern zwischen ein und drei Tagen, und sind gerade bei großen Unternehmen nicht mehr weg zu denken.

Doch so gerne Personaler die Teilnehmer in voller Aktion begutachten, so Nerven aufreibend ist der Bewerbungsmarathon für die potentiellen Mitarbeiter. Das geht sogar so weit, dass viele sich gar nicht erst bewerben, wenn ein Assessment-Center auf dem Programm steht. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie von Crosspro-Research, einer Marktforschungsplattform zu den Themen Job und Karriere.

Zwar sieht über die Hälfte der 19.500 Befragten in einem Assessment-Center kein Hindernis für Ihre Bewerbung. Immerhin ein Viertel der Stellensuchenden lehnt ein Assessment-Center für sich persönlich aber ab. Eine Einstellung, die Personalexperte Wolfgang Brickwedde vom Institute for Competitive Recruiting nicht nachvollziehen kann. Die Bewerber müssten Assessment-Center eigentlich begrüßen, da sie ihnen einen besseren Einblick in die Unternehmenskultur vermittelten. Die Kandidaten könnten zum Beispiel miterleben "wie die teilnehmenden Führungskräfte miteinander umgehen", sagt Brickwedde.

12 Karriere-Mythen
In einer Wirtschaftskrise macht man keine Karriere
"In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus. Aber sie stellen trotzdem noch ein", ist die Erfahrung von Marcus Schmidt. Gerade in Phasen des Umbruchs gebe es etwa die Chance zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt.
Frauen hindert die "gläserne Decke" am Aufstieg
Tatsächlich finde sich diese "gläserne Decke" vor allem in den Köpfen der männlichen Entscheider, glaubt Schmidt. Für weibliche Führungskräfte scheine sie hingegen kein Thema zu sein. "Viele Beratungsunternehmen und große Konzerne bitten uns öfter sogar explizit, nach weiblichen Kandidatinnen zu suchen."
Karriere macht, wer mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitet
Falsch, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Ebenso wichtig wie der tatsächliche Zeiteinsatz sei der gefühlte Zeiteinsatz. Und der definiere sich auch durch die Befriedigung mit der getanen Arbeit. "Wer es schafft, aus seiner Arbeit weitgehend Befriedigung zu ziehen, muss auch nicht Karriereschablonen zum persönlichen Zeiteinsatz nachjagen."
Der erste Job muss der richtige sein
Wer auf standardisierte Einstiegsprogramme in Unternehmen mit hohem Bekanntheitsgrad setze, müsse auch in Kauf nehmen, dass die eigene Berufslaufbahn nachgemacht wirkt, sagt Personalberater Marcus Schmidt. "Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie Ihren Einstieg ruhig gegen den Strich. Probieren Sie etwas aus, was sie wirklich interessiert."
Ein Auslandsaufenthalt fördert die weitere Karriere
Nicht immer, sagt Headhunter Marcus Schmidt - stattdessen kann der Auslandseinsatz sogar zum Nachteil werden. "Oftmals sind es die Daheimgebliebenen, die dann verbleibende Inlandsposten unter sich aufteilen". Sie säßen dann auf Stühlen, auf die Auslandsrückkehrer vergeblich spekulieren.
Gehalt ist ein untrüglicher Gradmesser des Karriereerfolgs
Die Position mit Perspektive sei nicht immer die am besten bezahlte, sagt Marcus Schmidt. So könne sich für ein renommiertes Traineeprogramm ein kurzfristiger Gehaltsverzicht durchaus auszahlen - etwa, wenn das ausbildende Unternehmen in seiner Branche als Kaderschmiede gilt.
Ohne Examen gibt es keinen Aufstieg
Muss man heute studieren, wenn man Karriere machen will? Nein, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Und einige prominente Konzernlenker geben ihm recht: Telekom-Chef René Obermann etwa hat sein Studium abgebrochen, und auch Klaus-Peter Müller, bis 2008 Vorstandsvorsitzender der Commerzbank und jetziger Aufsichtsratsvorsitzender, hat nie studiert.
Der MBA ist ein Karriere-Turbo
Die deutsche Wirtschaft zeigt ein anderes Bild: Absolventen hätten sich selten in die Führungsetage hochgearbeitet, sagt Schmidt. Anders als der Doktortitel ist der MBA zudem kein normierter akademischer Grad, seine Vergabe wird also grundsätzlich nicht staatlich geregelt oder kontrolliert. Wer Studiengebühren von bis zu 70.000 US-Dollar auf sich nehme, solle deshalb das Renommee der Schule immer überprüfen.
Nur wer sich anpasst kommt weiter
Im Gegenteil: Eigene, gut argumentierte Überzeugungen hält Headhunter Marcus Schmidt für unabdingbar. "Wer nur mitläuft, um ja keinen Fehler zu machen, kann nichts Herausragendes leisten und wird nicht dauerhaft auf sich aufmerksam machen", so Schmidt. So könne man sich nicht profilieren oder für die nächsten Ebenen empfehlen.
Eine Top-Karriere macht man nur im großen Konzern
Falsch! Entscheidend für die Karriere sei nicht, bei welchem Unternehmen man arbeite, sondern welche Aufgaben und Entfaltungsmöglichkeiten man habe, sagt Personalberater Schmidt. "Gerade in weniger etablierten Unternehmen gibt es oftmals spannendere und weniger standardisierte Aufgaben als in Großkonzernen", so Schmidt.
Ohne Doktortitel geht es nicht
"Die Frage, ob man promovieren soll oder nicht, hängt von der angestrebten Karriere ab", sagt Schmidt. Denn die Promotion koste immer auch Zeit – in der Diplomanden ein vergleichsweise geringes Gehalt beziehen. "Nicht alle jungen Berater, Anwälte und Wirtschaftsprüfer wollen in einem Unternehmen zum Partner aufsteigen oder erreichen dieses Ziel."
Mit 50 ist man zu alt für die Karriere
Nein! In der Realität gibt es diese Altersschranke oft gar nicht, glaubt Headhunter Marcus Schmidt: "Manche Mandanten suchen sogar explizit Führungskräfte ab 50, weil sie viel Wert auf Erfahrung legen und nicht wollen, dass der Neue gleich wieder weiterzieht." Seine Erfahrungen hat Schmidt in dem Buch "Die 40 größten Karrieremythen" niedergeschrieben. Wir haben die spannendsten Zitate ausgewählt.

Lieber individueller

Jan Müller leitet das Europageschäft bei Futurestep, einem Spezialisten für Personalbeschaffung. Er sieht verschiedene Gründe für die ablehnende Haltung gegenüber Assessment-Centern. Die Generation Y, also alle nach 1980 Geborenen, legen mehr Wert auf eine individuelle Gestaltung ihres Arbeitsalltags als noch die Generation X oder die Babyboomer. Sie bevorzugen eine gute Work-Life-Balance und intensive Betreuung durch ihre Vorgesetzten.

Ihre Vorstellungen von der Arbeitswelt wirken sich auch auf ihre bevorzugten Bewerbungsverfahren aus. "Viele wollen sich nicht einem standardisierten Assessment-Center unterwerfen, sich in eine solche Stresssituation begeben, um dann auch noch ausgesiebt zu werden. Sie mögen es individueller, ziehen Bewerbungsgespräche vor", sagt Müller.

Workshops oder Online-Tests sind eine Alternative

Auch Manager wollen persönlicher begutachtet werden. Auf dieser Karrierestufe ist die Ablehnung gegenüber Assessment-Centern besonders hoch. Fast 34 Prozent lehnen ein solches Auswahlverfahren ab. Ähnlich hohe Werte gibt es nur bei den Geschäftsführern. "Manager sehen es oft nicht ein, sich mit ihrer Erfahrung einem Assessment-Center zu unterziehen. Interessiert sich ein Unternehmen für sie, erwarten sie eine individuellere Behandlung", sagt Müller.

Der Personalexperte empfiehlt bei der Besetzung von Managementpositionen zum Beispiel gezielte Online-Tests im Vorfeld eines persönlichen Gesprächs.

Assessment-Center sollten auch laut Marktforschungsplattform Crosspro-Research vor allem bei Bewerbergruppen abgehalten werden, die solche Methoden akzeptieren. Berufseinsteiger sind die Zielgruppe, die am ehesten ein Assessment-Center über sich ergehen lassen. Dennoch lehnen auch hier 21 Prozent die Auswahltage ab - potentielle Mitarbeiter, auf die die Unternehmen von Anfang an verzichten müssen.

Aufklärungsarbeit

Eine Möglichkeit, die Skeptiker zukünftig dennoch zu erreichen, sei, Vorurteile gegenüber Assessment-Centern abzubauen. Die Personalabteilungen müssten "potentiellen Bewerbern darlegen, welche Vorteile ein Assessment-Center mit sich bringt", heißt es bei Crosspro-Research.

Auch Jan Müller von Futurestep empfiehlt eine gezielte Kommunikation. "Spreche ich von einem Assessment-Center, lassen sich die Bewerber eher abschrecken, als wenn ich von einem Infotag mit Auswahlworkshops spreche".

Und genau solche Mischveranstaltungen seien für die Bewerber nützlich, denn so müssten sich die Kandidaten auf der einen Seite zwar präsentieren, könnten aber gelichzeitig viel mehr über das Unternehmen erfahren. Ein Zugeständnis auch an die Generation Y, die bei der Auswahl ihrer potentiellen Arbeitgeber als besonders kritisch gilt.

(Quelle: Wirtschaftswoche)