Themenkarrieren

Aufstieg und Niedergang

02.12.2002 von Patrick Goltzsch
Übersteigerte Erwartungen gehören in der IT-Branche zum Alltag. Immer wieder erweist es sich, dass neue Technologien lediglich von heißer Luft getragen werden. Woher kommt der Druck, mit dem Hypes aufgeblasen werden?

Diesmal, so versicherten die Experten, gehe es um eine tief greifende technische Revolution. Möglich mache dieses Wunder der Technik eine Innovation, die schon bald ihren Siegeszug um den Globus antreten werde. Die Vorhersage stammt aus einem Artikel der Financial Times Deutschland (7. November 2001) über den nächsten großen Hype - die Web-Services. Doch bis heute fehlen Geschäftsmodelle; die Web-Services-Revolution hat bisher nicht stattgefunden (siehe CIO 11/02 ab Seite 26).

Ähnlich sind die Verläufe anderer Hypes wie Wireless LAN, Biometrie oder Grid Computing. Während wohlmeinende Betrachter den Eindruck gewinnen können, die IT-Branche taumele von Revolution zu Revolution, sind die Hype-Zyklen für Skeptiker von wechselhaften Einschätzungen ein und derselben Innovation geprägt.

Schillernde Worthülsen

Die Technologiekarrieren führen von Versprechungen über sehr große Aufmerksamkeit bis zum ernüchternden Realitätsabgleich. Übersteigerte Erwartungen an unfertige Entwicklungen müssen sich am Ende der Wirklichkeit beugen. Und im Zuge dieser Desillusionierung schwindet auch das öffentliche Interesse. Der Zyklus ist durchlaufen.

Mit Schuldzuweisungen sind alle Beteiligten schnell bei der Hand. Journalisten berufen sich auf Experten. Diese revanchieren sich mit einem Verweis auf typische Medieneffekte. Bei den Herstellern betrachten Techniker das Treiben ihrer Marketing-Abteilungen mit Argwohn, wenn diese jedes technische Detail in schillernde Worthülsen kleiden.

An Erklärungsansätzen für das Phänomen mangelt es nicht. Elmar Hilgers, Managing Director von Identalink, englischer Hersteller für biometrische Identifikationssysteme, verweist auf den 11. September 2001. Durch die Anschläge habe das Sicherheitsthema Biometrie Oberwasser gewonnen. "Danach wurden kurzfristig viele entsprechende Unternehmen gegründet", so Hilgers. Ähnlich sieht es Michael von Foerster, Pressesprecher des Bochumer Gesichtserkennungsspezialisten ZN Vision: "Die Aktienkurse der Biometrie-Unternehmen schnellten nach dem 11. September in ungeahnte Höhen; und börsennotierte Unternehmen bellen häufig, um den Kurs oben zu halten."

Doch der Abschwung folgte unausweichlich. "Es tummeln sich viele schwarze Schafe im Markt", so von Foerster. Die versprächen zum Beispiel, einzelne Personen in einer Menschenmasse per Gesichtserkennung identifizieren zu können. "Das leistet die Technik aber noch nicht", erklärt Peter Bittner, der sich als Informatiker an der Humboldt-Universität Berlin mit Videoüberwachung beschäftigt. Das unseriöse Gebaren, in der Öffentlichkeit falsche Erwartungen an ein Produkt zu wecken, erweise sich schnell als kontraproduktiv für ganze Branchen. Meldungen wie die des britischen IT-Online-Dienstes The Register unter der Überschrift "Biometriesystem - mit Gummibärchen überlistet" sorgten in diesem Jahr für zusätzliche Verwirrung. Hintergrund hier: Ein Privattüftler hatte mit Gelatine-Abdrücken von Fingerprints diverse marktgängige Erkennungssysteme ausgetrickst. "Die Kunden lassen sich durch so etwas verunsichern", klagt von Foerster. ZN Vision musste viel Marketing-Energie darauf verwenden, Fingerabdrucksysteme von der eigenen Technik der Gesichtserkennung abzugrenzen.

Während bei der Erklärung bestimmter Hypes Einigkeit unter den Fachleuten herrscht, gehen die Ansichten bei der Frage nach der Anfälligkeit der IT-Branche insgesamt weit auseinander. "Mit dem Internet hat sich eine grundlegende Offenheit für alles Neue etabliert", meint Oellers. Dagegen verweist Hilgers auf den Dot-Com-Boom, der zu viel Geld ins Marketing gespült habe. Und während Lehr die Medien für voreingenommen hält, bedauert von Foerster den Mangel an sachlichen Informationen.

Übersetzungsfehler produzieren Hypes mit

Darin schwingt die Aufforderung mit, Journalisten möchten ihre Rolle doch überdenken. Der Anknüpfungspunkt ist klar: Der Hype ergreift meist neue Themen, mit denen sich naturgemäß auch die Medien befassen. "Im schlimmsten Fall lassen sie sich dabei als Multiplikatoren einsetzen, die Vorabinformationen mit positiven Berichten erkaufen", so von Foerster. Allerdings seien Journalisten bei der Darstellungen technischer Visionen oft auf kargen Input angewiesen. Die Folge: Übersetzungsfehler. "Die in der technischen Fachsprache durch Definitionen ausgeklammerte Mehrdeutigkeit hält Einzug und eröffnet Interpretationsspielräume", diagnostiziert von Foerster.

Auf einer anderen Ebene setzt Alexander Linden an. Der Research Director kartiert jährlich den Hype-Cycle von Gartner. Dazu stellt er den Zyklus in Beziehung zum Potenzial einer Technik, sowohl in geschäftlicher Hinsicht als auch mit Blick auf ihren Gestaltungsraum. "Je mehr Möglichkeiten die Technik zu eröffnen verspricht, desto eher greift der Hype." Zudem trage der Mangel an Verständnis für die Implikationen einer Technik zu ihrem vermeintlichen Aufschwung bei.

Die Grenzen des Hypes zeigt Franz Liebl auf, Professor für Strategisches Marketing an der Universität Witten-Herdecke: "Vollständig Neues irritiert, weil es nicht verständlich ist." Themen und Techniken müssten an Bekanntes anschließen, um akzeptiert zu werden. Dabei spielten nicht unbedingt IT-spezifische Determinanten die entscheidende Rolle. Liebl illustriert das am Beispiel SMS: Die Beschränkung auf Kurzmitteilungen hätte bei Jugendlichen an deren Vorliebe für Geheim-Codes appelliert.

"Letztlich reicht es nicht für einen Hype, wenn nur ein Milieu ein Thema verhandelt", relativiert Liebl das Beispiel. Es sei notwendig, dass eine Neuerung aus den technischen Zirkeln in andere Kreise durchsickere. Erst wenn eine Technik auch in den Augen von Analysten und Journalisten Bestand habe, könnten diese ihren Beitrag zu einem neuen Hype leisten. Womöglich schaukeln sich die Parteien dabei gegenseitig auf. Und letztlich sind's dann alle gewesen.