Die wöchentliche CIO-Kolumne

Aussichten ungewiss

28.07.2003 von Holger Eriksdotter
Offshore-Auslagerung und Abbau von IT-Arbeitsplätzen verunsichern den Informatiker-Nachwuchs. Universitäten und Fachhochschulen beklagen einen Rückgang an Erstsemestern bei den Ingenieurs- und Informatik-Studiengängen. Ob die Zurückhaltung des Nachwuchses beim erhofften konjunkturellen Aufschwung erneut zu einem Mangel an IT-Fachkräften führen wird, ist kaum absehbar.

Die Deutsche Bank will bis zu 5500 IT-Arbeitsplätze an externe Dienstleister abgeben oder in Niedrig-Lohn-Länder verlagern, meldet "Die Welt" in ihrer heutigen Ausgabe (28.07.2003) unter Berufung auf Bankenkreise. Ein weiterer Schlag für den deutschen IT-Arbeitsmarkt - aber nicht nur ein deutsches Problem. Eine Studie der amerikanischen Analysten von Foote Partners vom Anfang dieses Jahres kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2005 etwa 35 bis 45 Prozent der Vollzeit-IT-Arbeitsplätze in Amerika und Kanada wegfallen und durch Freiberufler, Teilzeitarbeiter und Offshore-Auslagerung ersetzt werden könnten. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf den Informatiker-Nachwuchs.

Nirav Dave, Präsident der amerikanischen Carnegie Mellon beklagte jüngst, dass die Immatrikulationen für IT-Studiengänge gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent zurück gegangen sind. Selbst das berühmte MIT (Massachussetts Institute of Technology) verzeichnete gut 20 Prozent weniger Erstsemester. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch die deutschen Universitäten und Fachhochschulen zum nächsten Semesterbeginn, wie auch schon im letzten Jahr, einen Rückgang der Immatrikulationen bei den Ingenieurs- und Informatikstudiengängen vermelden.

Aber mal Hand aufs Herz: Würden Sie Ihren Kindern heute noch zu einem Informatik-Studium raten? Auf dem IT-Arbeitsmarkt herrscht Gedränge. Es gibt heute wieder junge Informatiker, die, obwohl gut ausgebildet und hochmotiviert, arbeitslos sind. Und auch das seit Jahren übliche Klagen der Personalabteilungen, dass wirkliche High-Potentials auf dem Arbeitsmarkt nicht zu finden sind, ist deutlich leiser geworden.

Andererseits ist bekannt, dass der akademische Arbeitsmarkt dem Schweinezyklus folgt: Etwa in vier- bis fünfjährigen Intervallen - der durchschnittlichen Dauer der akademischen Ausbildung - müsste nach der Schwemme an Informatikern zwangsweise ein Mangel folgen. Der Boom der New-Economy brachte den Schweinezyklus erst richtig in Schwung, die Erstsemesterzahlen nach oben und produzierte über Jahre eine nicht zu stillende Nachfrage nach Informatikern. Und eben die, die in der Boomphase ihr Studium begannen, treffen jetzt auf einen gesättigten Arbeitsmarkt.

Carnegie-Mellon-Präsident Nirav Dave weiß einen weiteren Grund für die Zurückhaltung der jungen Leute: "Früher umwehte die Computerwissenschaften der Nimbus, man könnte sehr schnell steinreich damit werden - heute sehen die jungen Leute keine großen Karrieremöglichkeiten mehr", gab er der New York Times zu Protokoll. Auch die deutschen IT-Fachleute, jahrelang an kräftige Gehaltsaufschläge gewöhnt, müssen sich jetzt mit sehr moderaten Zuwachsraten begnügen. Die Einstiegsgehälter für Informatik-Berufsanfänger sind in den letzten Jahren sogar deutlich gesunken. Oder, wie man aus den Personalabteilungen hört: Sie sind von einst absurden Höhen auf ein realistisches Maß zurückgegangen.

Zudem ist mit dem Niedergang der New Economy auch der ehemalige Glanz der IT-Berufe verblasst. Und so wie die New-Economy sind auch die einst umworbenen Stars unter den Bewerbern auf dem Boden der Tatsachen angelangt: Keine Partys, Bootsausfahrten oder Wochenendtrips zum Kennen lernen nach London oder New York, wie sie für Absolventen von Informatik-Studiengängen vor wenigen Jahren noch zur Recruiting-Praxis großer Unternehmen gehörten.

Zwar rechnen fast alle Auguren damit, dass die Anzahl der Jobs in der IT- und TK-Branche langfristig zunehmen wird. Andererseits stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß sich ein steigender Bedarf auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirken wird. Unübersehbar ist der derzeitige Trend zum Offshore-Outsourcing - siehe Deutsche Bank. Unter Kostendruck lassen viele Unternehmen bereits im Ausland programmieren, andere denken laut darüber nach. Angesichts des hohen Lohnniveaus in Deutschland kann sich selbst für Mittelständler das Auslagern von IT-Aufgaben ins Ausland rechnen. Und es muss ja nicht gleich Indien sein - auch im kulturell näher liegenden Polen, in Tschechien oder im Baltikum haben sich kompetente IT-Anbieter etabliert.

Und eben diese rücken immer näher: Mit der EU-Erweiterung steht den gut ausgebildeten, Experten der Beitrittsländer mittelfristig auch der deutsche Arbeitsmarkt offen. Und während die Einschränkungen der Greencard in Bezug auf Aufenthaltsdauer und Familiennachzug noch so manchen Interessenten abschreckten, werden die Kandidaten aus den Beitrittsländer Freizügigkeit innerhalb der EU genießen. Das deutliche Gehaltsgefälle zwischen West- und Osteuropa wird eine gewaltige Sogwirkung ausüben. Stephan Pfisterer, Arbeitsmarktexperte beim ITK-Branchenverband Bitkom, glaubt jedoch nicht an einen Massenzustrom: "Dafür sind die sprachlichen und kulturellen Barrieren zu hoch. Zudem werden die IT-Experten auch in ihren Heimatländern gebraucht und erzielen dort schon heute überdurchschnittliche Gehälter."

Der kalte Wind der Globalisierung hat auch den deutschen IT-Arbeitsmarkt erreicht. Wie wird er im Jahre 2008 aussehen, wenn die jetzigen Erstsemester ihr Examen ablegen? Wenn Sie an den Schweinzyklus glauben, müssten Sie Ihren Kindern unweigerlich zu einem Informatik-Studium raten. Denn antizyklisches Verhalten führt fast zwangsweise zu besten Jobaussichten und Karrieremöglichkeiten. Das unterstreicht auch Pfisterer: "Als Querschnittstechnologie ist die Informationstechnologie in allen Branchen vertreten; Informatiker sind deshalb weniger von der Konjunktur abhängig als andere Berufsgruppen". Er rechnet schon im nächsten Jahr mit einem Anstieg des Bedarfs an Informatikern und Ingenieuren, mittelfristig mit einem deutlichen Mangel, zumal Deutschland im internationalen Vergleich bei den technischen Berufen deutlich geringere Absolventenzahlen aufweist. Ein Ingenieurs- oder Informatik-Studium, Flexibilität und der inzwischen unverzichtbare Willen zum lebenslangen Lernen, davon ist der Arbeitsmarktexperte überzeugt, ist auch heute noch eine gute Basis für den Start ins Berufsleben.