Mit IBM Smarter Analytics

Big-Data-Projekt von AOK und IBM

25.09.2012 von Hartmut Wiehr
Bei einer Abfrage von über 24 Millionen Versichertenkonten blieben die Antwortzeiten unter einer Minute.

Über Big Data und Business Analytics wird inzwischen viel geredet. Vor allem die Hersteller werden nicht müde, die Vorteile der neuen Technologien zu propagieren. Konkrete Ergebnisse fehlen bislang. IBM kann nun mit dem Partner AOK besondere Vorteile für das Gesundheitswesen in Deutschland vorweisen.

Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), schwört auf Big Data und besonders auf Smarter Analytics von IBM.
Foto: AOK

Der Philosoph Arthur Schopenhauer soll einmal gesagt haben, dass einer, der nur Zahlen und Zeichen im Kopf habe, nicht dem Kausalzusammenhang auf die Spur kommen könne. Dem würden die Wissenschaftler des WIdO, des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, entschieden widersprechen. Ihre tägliche Arbeit besteht darin, Datenmassen unter anderem zum Arzneimittelmarkt, zur stationären oder zur ambulanten Versorgung und vielen anderen Gesundheitsthemen aufzubereiten und zu analysieren. Ihr Ziel dabei ist genau das: Kausale Zusammenhänge sichtbar zu machen. Unterstützt werden sie dabei von der Technologie Smarter Analytics, die IBM zur Verfügung stellt.

Beispiel Antibiotika

Zur Verdeutlichung: Die Wahrscheinlichkeit, dass man innerhalb eines Jahres Antibiotika verschrieben bekommt, liegt bei etwa 30 Prozent. Vorausgesetzt, man ist älter als fünf Jahre. Ist man jünger, steigt die Häufigkeit der Verschreibung eklatant – 2010 wurden 70 Prozent der unter Fünfjährigen Antibiotika verabreicht. Das legt den Verdacht nahe, dass die Medikamente auch in Fällen ausgegeben wurden, bei denen sie gar nicht helfen können, wie zum Beispiel viralen Grippeinfektionen.

Hinzu kommt, dass fast die Hälfte davon – 48,2 Prozent – sogenannte Reserveantibiotika waren. Diese sollen nur verschrieben werden, wenn Patienten eine Resistenz gegen die Standardtherapeutika entwickelt haben. Die Goldene Regel für die Verschreibung von Antibiotika "So wenig wie nötig, aber so gezielt wie möglich“ scheint hier mehrfach missachtet worden zu sein.

Zusammenhänge wie diese sind für die Gesundheit der Bevölkerung extrem wichtig, sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Sie ließen sich nur gewinnen, wenn man statistisch ausreichendes und aussagekräftiges Datenmaterial zur Verfügung hat und dieses mit modernen Analysetechnologien durchdringen kann.

AOK betreibt das wissenschaftliche Institut WIdO

Für eine große Versorgerkasse wie die AOK mit ihren 24 Millionen Versicherten trifft dies im Besonderen zu. Für die Forschung und Entwicklungsarbeit mit diesen Daten unterhält die größte Krankenkasse Deutschlands ein eigenes wissenschaftliches Institut, das WIdO. Seit 1976 unterstützt es die AOK-Gemeinschaft bei der Optimierung der Gesundheitsversorgung.

Die AOK kann auf Daten von 24 Millionen Versicherten zurückgreifen.
Foto: IBM

Bevor das WIdO die Versorgungsleistungen in unterschiedlichen Bereichen wie stationäre Versorgung, Vorsorge, Kuren, stationäre Rehabilitation, Arbeitsunfähigkeit oder Heilmittelversorgung analysieren kann, müssen die umfangreichen medizinischen, pharmakologischen und abrechnungsrelevanten Klassifikationen und Kataloge wie ICD-10-GM, ATC-Klassifikation mit Tagesdosenangaben oder Abrechnungsziffern im ambulanten Geschehen kontinuierlich gesammelt und historisiert vorgehalten werden.

Die Datenmengen, die bei diesen Arbeiten anfallen, sind enorm. Gesammelt werden Zahlen u.a. zu jährlich sechs Millionen Behandlungsfällen in 2000 Krankenhäusern, sowie die jeweils dazugehörigen 55 Millionen Diagnosen, 18 Millionen Prozeduren und 55 Millionen Entgeltinformationen. Hinzu kommen 370 Millionen Behandlungsfälle bei über 140.000 ambulant tätigen Ärzten sowie 400 Millionen Arzneimittelverordnungen aus einem Produktsortiment von 50.000 verschiedenen Arzneimitteln, die in 20.000 Apotheken abgegeben werden. Nicht zu vergessen sind die mehr als zwölf Millionen Arbeitsunfähigkeitsfälle und 140 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage der 10,8 Millionen AOK-Mitglieder in mehr als 1,3 Millionen Unternehmen.

Zusammenhänge bei Patientendaten erkennen

Diese breite anonymisierte Datenbasis bietet für die Wissenschaftler Möglichkeiten, Zusammenhänge aufzudecken, die für die Gesundheitsversorgung von großer Wichtigkeit sind. Schon relativ einfache Analysen innerhalb eines Sektors geben wichtige Antworten auf Fragen der Grundversorgung: In welchen Kliniken müssen zum Beispiel Patienten häufiger wiederholt behandelt werden? Wie viele Versicherte tragen ein erhöhtes Risiko, in naher Zukunft ins Krankenhaus zu müssen? Wie viele Praxiskontakte hat ein chronisch Kranker im Vergleich zu einem Gesunden?

Doch damit ist das Potenzial der Daten bei weitem nicht ausgereizt. Noch tiefer greifende Ergebnisse werden möglich, wenn es gelingt, die Daten aus den unterschiedlichen Leistungsbereichen integriert zu analysieren. Die Herausforderung hier: Die Arbeitsbereiche des WIdO werden nach bestimmten Sektoren aufgeteilt. Dazu zählen etwa die Arzneimittelversorgung, Krankenhäuser, ambulante Behandlungen oder Arbeitsunfähigkeit. In jedem Sektor werden die Daten eigenständig verwaltet, was den Vergleich von Datenpools zwischen den Sektoren technisch aufwändig gestaltete, berichtet Schröder. Doch gerade aus Korrelationen zwischen den Sektoren erhoffen sich er und seine Mitarbeiter noch mehr Erkenntnisse über den Gesundheitszustand unserer Gesellschaft.

Stadt-Land-Gefälle bei ADHS-Diagnosen

Zum Beispiel zeigen die Analysen des WIdO, in welchen Regionen bestimmte Präparate unverhältnismäßig häufig verschrieben werden. Das kann ein Hinweis auf lokale Risiken sein oder auf mangelndes Wissen seitens der Versorger. So ließ sich beispielsweise feststellen, dass es bei den 3,8 Prozent ADHS-Diagnostizierten der AOK-Versicherten ein starkes Stadt-Land-Gefälle gibt. Im ländlichen Raum wird häufiger ADHS diagnostiziert und medikamentös behandelt, was ein Ergebnis der fachspezifischen Versorgung auf dem Land sein kann. Einmal erkannt, kann diesem Trend etwa durch Fortbildungsangebote für die Ärzte auf dem Land gegengesteuert werden.

Burnout - eines der größten Gesundheitsrisiken. Umfassende Vorbeugung tut not, und Big-Data-Analysen können dabei helfen.
Foto: IBM

Komplexe Analysen dieser Art will das WIdO in Zukunft vermehrt anbieten. Unter anderem bauen die Wissenschaftler des Instituts eine umfassende Bibliothek an Regelwerken auf, mit dem sich die unterschiedlichen Behandlungspfade der Versicherten analysieren und zu bestimmten Profilen gruppieren lassen. Diese ergeben dann auch eine wertvolle Basis für die wirtschaftliche Einplanung von qualitativ hochwertigen Versorgungsleistungen.

Voraussetzung für Analysen dieser Art sind moderne Datenbank- und Analytik-Technologien. Das System des WIdO reichte bislang aus, Daten innerhalb eines Sektors zu analysieren und dabei zu guten Ergebnissen zu kommen. Jetzt suchte es nach einer neuen, leistungsstarken Analyselösung, die große Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen schneller und sicherer verarbeiten konnte.

Data Warehousing - neu aufgepeppt von IBM

Nach umfangreichen Performance-Tests entschied sich das WIdO für ein Smart Analytics System von IBM. Dabei handelt es sich um eine vorkonfigurierte Lösung, deren verschiedene Elemente genau auf Datenanalysen wie die geforderten abgestimmt sind. Laut Jens Uwe Kretzschmar, Leading Technical Sales Professional bei der IBM Software Group, geht es bei dem System um eine Data-Warehousing-Plattform, die auch für die Zusammenführung der Daten aus unterschiedlichen Systemen – also zum Beispiel aus verschiedenen Quellen der unterschiedlichen Sektoren – genutzt wird.

Diese optimierten Systeme sind mehr als reine Pakete aus Hardware und Software; ihr Geheimnis liegt Kretzschmar zufolge in der gekonnten Zusammenstellung der Komponenten. Integrierte Technologien werden speziell für die jeweilige Arbeitslast individuell kombiniert. Anwendungen, wie zum Beispiel die beim WIdO, nutzen die richtige Mischung aus Systemressourcen (Verarbeitungskapazität, Arbeits- und Datenspeicher u. a.), um ein Maß an Optimierung zu erreichen, das der gewünschten Größe und Leistung, der Servicequalität und Benutzeranforderung entspricht.

Mit einem für die Arbeitslast optimierten System kann das WIdO so auf einfachere Weise Data-Warehouse- und Business-Intelligence-Lösungen generieren, verwalten und erweitern. So entsteht dann eine effiziente Umgebung, in der fundierte Entscheidungen getroffen werden können. Ein weiterer Vorteil: Da heute die Fragen, die morgen gestellt werden, nicht bekannt sind, können zukünftige Anforderungen mit dem skalierbaren Smart Analytics System von IBM sukzessive bearbeitet werden.

Das vielfältige Datenmaterial der AOK hilft auch bei der Erstellung von Prognosen.
Foto: IBM

Vor allem überzeugte das System mit seinen schnellen Antwortzeiten, die der massiven Parallelverarbeitung in den eingesetzten Servern zu verdanken sind: Die mit einem IBM Smart Analytics System mitgelieferte Datenbank-Software unterstützt Verfahren der Datenbank-Partitionierung (Verteilung der Aufgaben) – ein wichtiger Innovationsschritt zur Verbesserung des Datenmanagements und der Informationsverfügbarkeit und zentraler Bestandteil für sehr schnelle Abfragegeschwindigkeit bei großen Datenmengen.

Durch diese Partionierung können große Datenmengen in einer Weise organisiert werden, die den individuellen Geschäftsanforderungen am besten entsprechen. Im Ergebnis wird das gesamte System in der Weise optimiert, dass entsprechend den Bedürfnissen und geschäftlichen Anforderungen Informationen sehr performant zur Verfügung gestellt werden können.

Antworten unter einer Minute

Das Ergebnis im Test: Bei der Abfrage von über 24 Millionen anonymisierten AOK-Versichertenkonten blieben die Antwortzeiten unter einer Minute. Das ermöglicht es dem WIdO, den AOKs in der gesamten Bunderepublik neue und sehr schnelle Datenservices anzubieten.