SAP oder Microsoft – sonst nichts

Bionorica digitalisiert Mitarbeitergespräche

11.06.2015 von Karin Quack
Die alljährlichen Personalgespräche sind für viele Führungskräfte ein notwendiges Übel - nicht weil sie sich drücken wollten, sondern weil sie viel Papierkram bewältigen müssen. Der auf pflanzliche Wirkstoffe spezialisierte Heilmittelhersteller Bionorica hat diesen Prozess digitalisiert und so die Konzentration auf das Wesentliche erleichtert.

Zweimal im Jahr setzen sich bei Bionorica in der Oberpfalz die Führungskräfte mit ihren direkt unterstellten Mitarbeitern zu einem strukturierten Mitarbeitergespräch zusammen. Es gilt zu klären: Stimmt die Stellenbeschreibung noch mit der Tätigkeit überein? Inwieweit wurden die zum Jahresbeginn vereinbarten Ziele erreicht? Und welche Ziele sind für das kommende Jahr sinnvoll?

Bislang bedeuteten sowohl diese Personal- und Zielvereinbarungsgespräche als auch die Stellenbeschreibungen vor allem für den HR-Bereich eine Menge Arbeit. Für insgesamt 1500 Mitarbeiter, davon 900 am Standort Deutschland (Neumarkt/Oberpfalz und Außendienst), waren individuell vorausgefüllte Formulare zu erstellen, zu verschicken und wieder einzusammeln, so berichtet Personalchefin Andrea Schels. Verwaltet wurden diese Formulare mit einer Excel-Anwendung.

Die Führungskräfte empfanden die Ablage in Papierform, das Nachhalten und Wiederauffinden der Informationen zum jeweiligen Mitarbeiter und die sichere Aufbewahrung der Dokumente als zu aufwendig, ergänzt IT-Leiter Christian Kunzelmann. Das galt vor allem für Führungskräfte ohne eigenes Büro.

CIO Christian Kunzelmann: "Eine solche Individualanwendung ist aufwendig zu testen, weil erst einmal alles durchgespielt werden muss."
Foto: Bionorica SE

Projektsteckbrief

SAP oder Microsoft - sonst nichts

Vor knapp zwei Jahren reichte der HR-Bereich bei der IT eine User Requirement Specification ein, also eine detaillierte Anforderung für die Digitalisierung zweier Prozesse: zum einen den der Stellenbeschreibungen, zum anderen den der Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche. Die Idee: Alle Informationen, die einen Mitarbeiter betreffen, sollten an einem zentralen Ort gespeichert werden - zum automatischen Erzeugen der jeweils benötigten Formulare und zur Verwendung im Mitarbeitergespräch.

Etwa ein halbes Jahr dauerte es, bis die IT "mit der Realisierung richtig loslegte", so IT-Leiter Kunzelmann. Im Einklang mit der IT-Strategie ("So wenige Systeme wie möglich") war zuvor überprüft worden, ob sich eine solche Lösung eher im SAP- oder im Microsoft-Umfeld realisieren ließ. Für Letzteres sprach vor allem eine Forderung des Fachbereichs: Die Formulare sollten exakt so aussehen, wie die Führungskräfte und Mitarbeiter sie kannten.

SAP-Software muss bei Bionorica wie bei den meisten anderen Unternehmen möglichst nahe am Standard bleiben, weil sonst die Vorteile der Standardsoftware hinfällig würden. Für individuelle Entwicklungen eignet sich laut Kunzelmann ohnehin eine Sharepoint-Umgebung besser. Um die Formulare zu erzeugen und den Workflow nachzubilden, kamen die darauf aufsetzenden Softwareprodukte Nintex Forms und Nintex Workflow zum Einsatz. Die notwendige Verbindung zu SAP wird über das Add-on-Produkt "org.manager" von Ingentis hergestellt. Damit ist die Aufbauorganisation des Unternehmens SAP-konform abbildbar. Die Software ist mit einer Schnittstelle zum Active Directory ausgestattet, so dass sich die Berechtigungen automatisch vergeben lassen. Schließlich gehen die Informationen aus den Personalgesprächen nur den Mitarbeiter, seinen Vorgesetzten und die HR etwas an.

Kurzfristig habe er auch mit dem Team diskutiert, die Dokumente in die digitale Personalakte im SAP-System zurückzuspielen, sagt Kunzelmann. Aber davon habe der HR-Bereich keinen "Mehrwert", und die IT bekomme es mit einer doppelten Datenhaltung zu tun, die per se fehleranfällig sei. Deshalb habe man sich dann doch für eine Sharepoint-Lösung ohne weitere Schnittstellen entschieden.

Ein Viertel des Aufwands gespart

Seit dem Oktober vergangenen Jahres arbeiten einige Bereiche mit der neuen Lösung: die Personalabteilung selbst, die interne IT sowie die Abteilungen Controlling und Finanzbuchhaltung. Dazu HR-Chefin Schels: "Keine lange Suche, keine Kopien, keine manuelle Archivierung - ich möchte das nie wieder auf Papier machen." Und Kunzelmann bestätigt: "Ich habe 25 bis 30 Prozent des Aufwands in den eigenen Mitarbeitergesprächen eingespart."

HR-Chefin Andrea Schels: "Wir hatten unsere Anforderungen im Kopf, aber die IT hatte teilweise erst einmal eine ganz andere Wahrnehmung."
Foto: Bionorica SE

Sukzessive werden nun auch die anderen Bereiche die Lösung verwenden - erstmals bei den jetzt anstehenden Halbjahresgesprächen. "Wir haben uns bewusst dafür entschieden, weil sie nicht ganz so aufwendig sind wie die Jahresendgespräche", so Kunzelmann. Deshalb könnten die Führungskräfte jetzt relativ entspannt die aktuellen Stellenbeschreibungen und die für 2015 festgelegten Ziele aufnehmen. Ältere Personalgesprächsbögen zu erfassen hält er wie auch Schels für unnötig. Ohnehin gebe es die Zielvereinbarungen in der heutigen Form erst seit 2011. Und dieser Zeitraum sei noch relativ gut überschaubar.

Weiche Kriterien mit harten Merkmalen

In der Endstufe soll die Anwendung auch für Ausschreibungen verwendet werden, so dass sich die Kriterien aus der Suchanzeige nahtlos in die Zielvereinbarungen übertragen lassen. Besonderen Wert legt das Unternehmen dabei auf den "Cultural Fit", also auf nichtfachliche Eignungskriterien der Mitarbeiter. Diese weichen Kriterien - pro Mitarbeiter bis zu zehn - werden vom System mit überprüfbaren Verhaltensmerkmalen hinterlegt und abgefragt.

Im Mitarbeitergespräch können Führungskraft und Angestellte diese Informationen gemeinsam anschauen, denn die Lösung ist mobil und iPad-tauglich. Außerdem lassen sich die Daten auch über einen Beamer visualisieren. Und wer immer noch einen Ausdruck verwenden möchte, kann das tun - sofern er die Informationen im Nachgang überträgt.

Die Gesprächspartner können sofort gemeinsam überprüfen und dokumentieren, ob die Stellenbeschreibung noch aktuell ist, inwieweit die Ziele bereits erfüllt sind und welche Weiterbildungsmaßnahmen sinnvoll erscheinen. Letztere werden dann gleich in einem Bogen für das kommende Jahr erfasst. Für den HR-Bereich erleichtert das die Organisation von Inhouse-Schulungen: Die Personaler sehen quasi auf Knopfdruck, wie viele Mitarbeiter ein bestimmtes Training benötigen.

Zwang zu verbindlichen Abläufen

Der Aufwand dafür hielt sich im Rahmen: Etwa neun Monate lang war das Kernteam aus zwei Bionorica-Mitarbeitern (einer aus HR, einer aus IT) und einem externen Berater mit dem Projekt beschäftigt - zeitweilig ergänzt durch weitere Spezialisten aus dem Unternehmen.

Nach den größten Herausforderungen befragt, sagt Kunzelmann: "Die lagen sowohl auf der organisatorischen als auch auf der IT-Seite. Letztere hatte damit zu kämpfen, dass sie hinsichtlich der Formulargestaltung keine Kompromisse eingehen durfte; das war anspruchsvoll in der Realisierung und aufwendig zu testen, denn es handelte sich ja um eine Individualentwicklung, wo - anders als bei einer Standardapplikation - erst einmal alles durchgespielt werden muss."

Organisatorisch galt es, die Balance zwischen der gewünschten Transparenz und einem gefühlten Zwang zur Standardisierung zu bewältigen: "Wenn so lange Abläufe nur auf dem Papier existieren, kann jeder den Prozess ein bisschen anders auslegen. Mit der Digitalisierung muss man sich auf einen verbindlichen Ablauf einigen."

Wie Schels aus der HR-Sicht ergänzt, war es am Anfang auch nicht leicht, den ITlern genau klarzumachen, was die Personaler tatsächlich wollten - trotz Pflichtenheft und detaillierter Spezifikation: "Wir hatten unsere Anforderungen im Kopf, aber die IT hatte teilweise eine ganz andere Wahrnehmung. Letztlich haben wir uns dann immer verstanden, aber vorher kam es zu so manchem Aha-Erlebnis."

Ob diese Anwendung den HR-Bereich teilweise überflüssig macht? "Im Gegenteil", lacht Schels: "Sie versetzt uns erst in die Lage, unsere Aufgabe zu erfüllen." Vorher sei es beinahe unmöglich gewesen, zweimal im Jahr rund 1500 Formulare "vollumfänglich" zu prüfen. Routineprüfungen nimmt das System der Personalabteilung jetzt ab. Über eine "Ampelfunktion" hält es sogar nach, ob alle Gespräche wirklich stattfinden. Wer sich das Halbjahresgespräch sparen will, hat schlechte Karten: Will er dann ein Jahresendgespräch führen, wird ihm die rote Ampel gezeigt. Die springt erst auf grün, wenn der Mitarbeiter das Resultat des Halbjahresgesprächs bestätigt hat.

Die Charakteristika und Highlights des Systems

Das Wesentliche auf einen Blick: