Yield-Management lässt Last-Minute-Idee abstürzen

Bis zum Abflug steigen die Preise

08.03.2004 von Michael Gneuss
Billig-Dienstleistungen werden durch ein Internet-basiertes Yield-Management profitabler. Die Fluglinie Hapag-Lloyd Express und die Autovermietung Interrent sichern sich damit ihre Margen.

Nicht nur Äpfel, Birnen und Bananen sind verderbliche Ware. Bleibt ein Sitzplatz während eines Fluges leer, ist er ebenso verfallen wie ein Hotelzimmer, das eine Woche leer steht, oder ein Mietwagen, der einen Tag lang von keinem Kunden bewegt wird. Bei immer mehr Touristikunternehmen achten deshalb spezialisierte Manager auf den Auslastungsgrad - so genannte Yield-Manager.

Frank Böttcher ist einer von ihnen. Seit mehr als acht Jahren beschäftigt er sich mit Yield-Management. Heute leitet er den Billig-Autovermieter Interrent. Seit fast einem Jahr bietet Böttchers Firma ihre Dienste nach folgendem Prinzip an: Je früher der Kunde bucht, desto weniger muss er zahlen. Am Anfang werden die preissensiblen Kunden zu Schnäppchen-Konditionen bedient, zum Schluss bucht die zeitsensible Klientel zu höheren Preisen. Drei Server mit Load Balancing sind dafür im Einsatz. 100 Prozent der Buchungen werden über das Internet abgewickelt. Anders geht es nicht - eine Marge, die den Vertrieb über andere Kanäle erlaubt, gibt es im Geschäft der Low-Cost-Vermieter nicht. "Ohne ein gutes, automatisiertes Preissystem und ohne gute Prognosen wären wir nicht wettbewerbsfähig", sagt Böttcher.

Kein Mensch denkt fünfdimensional

Das inhouse entwickelte Programm lernt ständig dazu. Einzeldatensätze werden über SQL-Abfragen in Gruppen abgelegt. Anschließend analysiert die Software die aggregierten Daten und entwickelt eine Prognose. Die Bedürfnisse von verschiedenen Kundensegmenten müssen über diverse Zeithorizonte hinweg für verschiedene Fahrzeugkategorien vorhergesehen werden. "Ohne IT ist unser Geschäft gar nicht steuerbar", sagt Böttcher. "Ein Mensch kann nicht fünf- oder sechsdimensional denken." Nach der Analyse senkt das System bei Angebotsüberhängen den Preis, bei höherer Nachfrage setzt es ihn herauf. Im Prinzip ist bei der dynamischen Preisanpassung jederzeit eine Reaktion auf den Buchungsstand möglich. Routinemäßig wird aber nur jede Nacht aus der Oracle-Datenbank ein Extrakt errechnet und in die Prognosesysteme integriert.

Die ersten Bemühungen im Yield-Management fanden Ende der siebziger Jahre statt, als die Deregulierungsbemühungen auf den US-amerikanischen Transportgütermärkten zum Einstieg der Billigfluglinien führten. Schon damals realisierten die Anwender mit Hilfe der Ertragssteuerung massive Gewinnzuwächse. Heute hat das Yield-Management durch moderne IT eine völlig neue Bedeutung erlangt. "Der Aufstieg der Billigflieger wäre ohne ein Web-basiertes Yield-Management nicht möglich gewesen", sagt Matthias Schrader, Vorstand des E-Business-Dienstleisters Sinner-Schrader.

Softwarelizenz für eine Million Dollar

Die Hamburger betreuen mehrere Yield-Management-Projekte, unter anderem für Interrent und Hapag-Lloyd Express. Anders als bei Interrent kommt bei HLX eine Standardsoftware zum Einsatz: "OpenSkies" von Navitaire ist mit etwa 22 Einsätzen die weltweit meistgenutzte Standardbuchungsoftware von Fluggesellschaften. Sie enthält alle notwendigen Yield-Management-Funktionen und gilt als gut und zuverlässig. Eine Lizenz ist ab einer Million Dollar zu haben.

SinnerSchrader bindet für HLX die Preise und Buchungsfunktionalitäten in die Website ein und macht sie für den Kunden handhabbar. Vor allem ist der Dienstleister aber damit beschäftigt, die sehr begrenzten und bei allen Gesellschaften zum Einsatz kommenden Standardfunktionen von OpenSkies für HLX aufzubohren, um so Alleinstellungsmerkmale zu erzielen. Sinner-Schrader hat aber auch schon eine komplette Eigenentwicklung zum Einsatz gebracht. Sie basiert auf Java 1.4.1, die Datenbank ist Oracle 8i. Die Applikation läuft in einem Servlet-Container Jakarta Tomcat 4.1.x. Sie bildet die Preise nach einem internen Algorithmus prinzipiell automatisch.

Ziel ist, ein manuelles Eingreifen immer entbehrlicher zu machen. Der Yield-Manager kann - sozusagen - auf Autopilot stellen. Im Prinzip passt das System jederzeit eigenständig die Preise an Angebot und Nachfrage an. Jederzeit kann der Yield-Manager aber den automatischen Prozess unterbrechen und die Preise manuell verändern. Ist die Nachfrage besonders hoch, setzt er die Preise herauf, um mit den letzen Sitzplatzverkäufen noch den Durchschnittserlös zu steigern. Fix ist bei HLX sowie auch bei Interrent nur der Einstiegspreis.

35 Mitarbeiter am Boden für zehn Flugzeuge

Bei Hapag-Lloyd Express (HLX) sind bereits 30 Prozent der Fluggäste Geschäftsreisende. Vor gut einem Jahr hat die Low-Cost-Linie begonnen. Mit 35 Bodenmitarbeitern betreibt HLX zehn Flugzeuge. 80 Prozent der Flüge werden vom Kunden direkt über das Internet gebucht, weitere 15 Prozent der Tickets werden zwar im Reisebüro verkauft, allerdings exakt über die gleiche Website und die gleichen Prozesse, als wenn die Kunden selbst klicken würden. Die restlichen fünf Prozent kommen über ein Call-Center. "Eine Buchungstransaktion kostet uns deutlich weniger als einen Euro", erzählt Roland Keppler, kaufmännischer Geschäftsführer bei HLX. Bei etwa 3,50 Euro liegt dieser Wert bei etablierten Linien - für eine Linie, die Flüge von Hannover nach Neapel ab 19,99 Euro anbietet, ein beträchtlicher Unterschied.

Auslastungsgrad auf 70 Prozent gestiegen

Das Yield-Management bei HLX erzielt kontinuierlich Erfolge. Im ersten Jahr ist der Auslastungsgrad von 50 auf 70 Prozent gestiegen. Auf 80 bis 85 Prozent will Keppler kommen. Der Durchschnittspreis klettert ebenfalls. Auch Keppler glaubt an einen Konsolidierungsprozess unter den Low-Cost-Airlines. "Neben den einfachen und transparenten Prozessen ist die IT für das Yield-Management das entscheidende Medium", sagt Keppler. "Daher legt niemand gern die Zahlen offen." Aus Gründen der Sicherheit und Flexibilität liegen auch die Daten zum Kundenverhalten auf dem HLX-Server. Den Rest der Software für den Buchungsprozess stellt ein Lieferant als ASP-Lösung bereit.

Die große Herausforderung ist für Keppler, mit dem System wettbewerbsfähig zu bleiben. Permanent werden neue Daten zum Kundenverhalten eingearbeitet. Gleichzeitig warnt Keppler davor, das System zu komplex werden zu lassen. "Wenn jeder Sonderwunsch programmiert wird, behalten nur noch zwei oder drei Leute den Überblick."

Aber was sagen die Kunden zum Yield-Management? Empfinden sie es nicht als ungerecht, wenn der Nachbar für 19,99 Euro gebucht hat, das eigene Ticket aber sehr viel teurer war? Nein, ist die klare Antwort. 90 Prozent der HLX-Kunden sind zufrieden, erklärt Keppler. Und Interrent-Leiter Böttcher sieht den großen Vorteil des Yield-Managements sogar darin, den Wünschen der Kunden viel besser entsprechen zu können: "Der Kunde entscheidet den Preis, sonst niemand."