Von Kleinfeld bis zum Saft-Blog

Blogs als Minenfeld - Wenn der Chef Tagebuch schreibt

17.12.2007 von Anja Tiedge
Ein eigenes Blog ist schick, birgt aber auch Risiken: Im Webtagebuch von Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld empörten sich etliche Mitarbeiter über die Erhöhung der Vorstandsbezüge. Wir zeigen, für wen CEO-Blogs geeignet sind und wie Unternehmen diese richtig einsetzen.
"Bloggen nicht um des Bloggens willen": Klaus Eck führt mit dem PR-Blogger ein eigenes Webtagebuch und ist Autor des Buchs "Corporate Blogs".

Ein Weblog ist ein Minenfeld. So oder ähnlich denken wohl zahlreiche Unternehmensberater über die Tagebücher im Internet - und raten ihren Kunden davon ab, ein Blog zu führen. Denn warum, um Himmels willen, sollte eine Firma freiwillig Details aus dem Unternehmensalltag ausplaudern? Wieso sollte sie den Schutzschild traditioneller Werbeformen aus freien Stücken fallen lassen und sich den Kommentaren weitgehend anonymer Leser ausliefern?

Wenn obendrein der Chef höchstpersönlich bloggt, kommt das nach Meinung einiger Experten PR-Kamikaze gleich. Denn schließlich ist im Blog die eigene Meinung gefragt, wodurch sich der Boss dem Beschuss durch die Öffentlichkeit aussetzt. Ein prominenter Fall gibt den Blog-Kritikern auf den ersten Blick recht: Das Internet-Tagebuch von Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld lief im vergangenen Jahr aus dem Ruder, weil Mitarbeiter ihn für harsche Kritik an der Chefetage nutzten. Grund für den Aufruhr in dem Dax-Konzern war eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent, die sich der Siemens-Vorstand genehmigt hatte.

"Ich frage mich schon lange, wohin Leute wie Sie unsere Gesellschaft treiben", ärgerte sich etwa ein Mitarbeiter über Kleinfeld. Das Pikante an den kritischen Äußerungen: Sie wurden wie das Blog im Intranet von Siemens veröffentlicht und sollten nicht ins Internet und somit an die breite Öffentlichkeit gelangen. Das war der Plan. Die Welle der Empörung war allerdings so hoch, dass sie über die Firmengrenzen hinwegschwappte. Die Einträge wurden den Medien zugespielt und für alle Welt lesbar; außerhalb der Intranet-Mauern richteten sie einen erheblichen Image-Schaden an.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
Foto: manager-magazin.de

"Das Problem des Kleinfeld-Blogs war, dass er nicht vernünftig moderiert wurde", meint der auf Weblogs spezialisierte Kommunikationsberater Klaus Eck. Dem Tagebuch des ehemaligen Siemens-Chefs fehlte es demnach an Kommunikationsbereitschaft. Was paradox klingt, ist bei CEO-Blogs ein weitverbreitetes Phänomen: "Für die Mitarbeiter gab es keinen anderen Kanal, ihrem Ärger über die Vorstandsgehälter Luft zu machen", erklärt Eck. Also thematisierten sie die Gehaltserhöhungen im Intranet, wo ihr Chef sie ursprünglich dazu aufgerufen hatte, zum Thema Kundenzufriedenheit zu kommentieren.

Seit Kleinfeld den Chefposten im Sommer dieses Jahres an Peter Löscher übergab, ist Siemens' CEO-Blog auf Eis gelegt. Im Moment sei kein neuer in Planung, wie ein Konzernsprecher erklärt. "Wir haben gerade andere Themen auf der Agenda." Bis dahin sei der Vorstand für die Mitarbeiter weiterhin erreichbar - per E-Mail.

Bloggen ist häufig kontraproduktiv

Offensichtlich überlegen es sich die PR-Strategen von Siemens dieses Mal genauer, ob sie erneut ein Chefblog ins Leben rufen wollen. Damit fahren sie gut, denn nicht allen Managern liegt das Bloggen. Für viele erweist es sich im Gegenteil sogar als kontraproduktiv. "Führungskräfte sollten nicht um des Bloggens willen bloggen", sagt Experte Eck. Sprich: Wer nichts zu sagen hat und ein Blog nur deshalb initiiert, weil der Konkurrent auch einen hat, wird in den Weiten der Blog-Welt, der sogenannten Blogosphäre, höchstwahrscheinlich scheitern. Ein brachliegendes Portal, das einmal im Monat mit aufgepeppten Pressemitteilungen bestückt wird, ist eher peinlich denn förderlich.

Trockene Werbebotschaften haben im CEO-Blog deshalb nichts zu suchen. Um den Leser zu animieren, einen Kommentar zu schreiben, bedarf es nach Meinung des Blog-Experten Eck einer Mischung aus Information und Entertainment. Dabei sollte allerdings tunlichst vermieden werden, auf das Niveau von Heftchenromanen abzurutschen: "Klatsch und Tratsch wird zwar gern gelesen, schadet dem Unternehmen aber auf Dauer mehr, als dass es ihm nutzt", sagt Eck.

Ralf Däinghaus verzichtet auf Tratscherei. Der Gründer und Vorstandschef der Versandapotheke DocMorris hat eine einfache, aber wirksame Methode gefunden, Leser für sein Blog zu gewinnen: Er polarisiert. Der 40-Jährige schreibt in seinem DocMorris-Blog regelmäßig über die neuen Entwicklungen der Branche und seines Unternehmens, das in Deutschland mittlerweile mehr als 50 Apotheken eröffnet hat. Bis zu 428 Kommentare erntete Däinghaus bislang für seine überwiegend kurzen Einträge - wobei er von vornherein ausschloss, regelmäßig zu schreiben.

"Das Geschriebene muss authentisch sein", sagt Däinghaus. Eine allgemeine Empfehlung, ob und in welchen Fällen Manager bloggen sollten, hat er zwar nicht. "Das Unternehmen sollte allerdings aus einer Branche kommen, in der gewisse Themen heiß diskutiert werden", meint Däinghaus. Das bieten die Versandapotheken allemal: Da sich traditionelle Apotheken von dem Arzneimittelversand in ihrer Existenz bedroht fühlen, stößt DocMorris mit seinem Geschäftsmodell in Deutschland auf heftige Kritik.

Mit kritischen Kommentaren, die Däinghaus deshalb häufig bekommt, geht er auf seine eigene Weise um: Er reagiert nicht darauf. So wie er auf keine der Diskussionen antwortet, die er in seinen Einträgen lostritt. "Wenn ich damit anfangen würde, wäre ich von Hauptberuf Blogger", erklärt der Unternehmer. Wobei er zugibt, dass ihm diese Art von Stillhalten schwerfällt: "Manchmal kribbelt's mir schon in den Fingern, auf die Kommentare zu reagieren. Dann muss ich meine Sucht beherrschen", sagt der Blogger mit einem Augenzwinkern.

"Ist der Rotz bald mal alle!"

Kommunikationsberater Eck rät Managern dagegen, auf Kritik im Blog zu reagieren. Deshalb sollten sich die Chefs auch gut überlegen, ob sie und ihre Unternehmen offen und transparent genug sind - und sein wollen - bevor sie in die Tasten hauen. "Es nützt nichts, im Blog eine Fassade aufzubauen. Sie wird schnell bröckeln", meint Eck.

Alltag und Anekdoten: In ihrem Saftblog nimmt Chefin Walther kein Blatt vor den Mund.

Mangelnde Offenheit ist Kirstin Walther, Geschäftsführerin der sächsischen Kelterei Walther's, indes nicht vorzuwerfen. Unter dem Motto "Trinkt mehr Obst" schreibt sie in ihrem "Saftblog" regelmäßig über den Alltag in der Kelterei, aber auch über Privates wie etwa einen Ausflug in die Sächsische Schweiz. Walther duzt ihre Leser, nennt ihre Mitarbeiter Saftnasen und schreibt über Pannen, die im Arbeitsablauf passieren.

Zum Beispiel von der Reklamation eines Kunden, der beim Mülltrennen auf einer Walther's-Safttüte einen Aufkleber mit der Aufschrift "Ich bin der 475. Beutel! Ist der Rotz bald mal alle!" entdeckte. Wohl nahezu jeder Unternehmer würde alles tun, um solch einen Vorfall zu kaschieren; für den Mitarbeiter hätte die Angelegenheit wahrscheinlich ernsthafte Konsequenzen.

Walther tut das Gegenteil: Sie fotografiert den Aufkleber, veröffentlicht des Bild in ihrem Blog und erklärt, wie es dazu kam. Der Mitarbeiter, so schreibt sie, habe sich entschuldigt und zur weiteren Aufklärung des Falls beigetragen. Die Leser honorieren Walthers offene und ehrliche Art mit positiven Kommentaren à la "Wo gearbeitet wird, da menschelt es."

"Anfangs bekam mein Geschäftspartner regelmäßig einen Schock, wenn er meine Blog-Einträge las", blickt die 36-Jährige zurück. Anfangs, das war im Januar 2006. Und einen Schock bekam der Kompagnon beispielsweise, weil Walther im Internet kaputte Saftboxen abbildete. Der Geschäftspartner war davon überzeugt, dass ein Unternehmen in der Öffentlichkeit perfekt dargestellt werden müsse.

"Ich blogge so wie ich bin"

Doch die positiven Kommentare - selbst zu vermeintlich peinlichen Texten und Bildern - überzeugten ihn. "Ich möchte aus dem Leben erzählen; habe Lust, mit Kunden ins Gespräch zu kommen und von ihnen zu lernen", erzählt Walther. Für einen Blogeintrag brauche sie mittlerweile in der Regel nicht länger als eine Viertelstunde: "Ich muss mit meinen Texten ja keinen Literaturnobelpreis gewinnen."

Auch wenn es nicht für den Nobelpreis reicht - in der aktuellen Liste der 100 wichtigsten deutschsprachigen Blogs mit Wirtschaftsbezug rangiert das Saftblog an 25. Stelle. "Keine allzu große Leistung, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland nicht sehr viele Wirtschaftsblogs gibt - zumindest nicht so viele wie in den USA", sagt Walther.

Damit stapelt die Unternehmerin tief, hat aber Recht. Nur die wenigsten deutschen Unternehmen betreiben beispielsweise Mitarbeiterblogs, also Online-Tagebücher, in denen die Kollegen im Internet ihren Arbeitsalltag beschreiben. Drei der raren Exemplare sind die Beschäftigtenblogs des Putzmittelherstellers Frosch, des Tiefkühlproduzenten Frosta und seit Neuestem auch des Autokonzerns Daimler.

CEO-Blogs sind noch seltener: Während in den USA Größen wie General-Motors-Vizechef Bob Lutz, Boeings Marketingchef Randy Baseler oder Sun-Microsystems-Chef Jonathan Schwartz bloggen, traut sich hierzulande seit Klaus Kleinfeld kein Vorstandschef eines Dax-30-Konzerns an ein eigenes Web-Tagebuch.

Für Bewegung in der Blogosphäre sorgen bislang vor allem die Chefs kleiner und mittelständischer Unternehmen. So wie Saftproduzentin Walther, die dank ihres Blogs nun deutschlandweit verkauft und deren Webseite täglich bis zu 2.000 Besucher ansteuern. Gegen den Branchentrend steigerte sie ihren Gewinn im vergangenen Jahr um ein Vielfaches und nimmt an Veranstaltungen teil, bei denen sie anderen Unternehmern Tipps zum Bloggen gibt.

Bei allem wirtschaftlichen Erfolg bleibt das Schreiben für Walther in erster Linie eine Passion: "Ich blogge so wie ich bin."