Realitätsverlust der Chefetage

Change-Projekte scheitern ganz oben

26.04.2012 von Thomas Pelkmann
Keine Zeit, unzureichende Planung: Was Projektleiter beklagen, beurteilen Topmanager viel optimistischer - Grund für das Scheitern vieler Projekte, so Kienbaum.
Wenn Change-Projekte scheitern, dann oft deswegen, weil die obersten Chefs zu wenig über ihre Fehler kommunizieren, um sie zu ändern. Das ist das Ergebnis eines aktuellen Kienbaum-Reports.
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Der Fisch, sagt der Volksmund, fängt immer am Kopf an zu stinken. Weniger rustikal, im Grunde genommen aber mit derselben Botschaft, wartet der Report "Change. Points of View" von Kienbaum Management Consultants auf: "Topmanager in deutschen Unternehmen", heißt es dort, "sind häufig der Grund, warum Veränderungsprojekte scheitern." Sie schätzten ihren Beitrag für das Gelingen solcher Projekte zu optimistisch ein und seien gleichzeitig "nur in geringem Maße" zu Selbstkritik fähig.

Offenbar mangelt es aber auch an der Bereitschaft, sich Hilfe von außen zu holen, um Veränderungsprojekte erfolgreich zu bewältigen: "In den Augen von mehr als einem Drittel der Befragten" holen sich die Chefs "im Veränderungsprozess kaum oder kein Feedback ein und (analysieren) Risiken nicht ausreichend".

Scheitern umso wahrscheinlicher, je höher Konflikte angesiedelt sind

Für die Studie hat Kienbaum mehr als 350 Topmanager, Führungskräfte und Projektleiter zu ihren Erfahrungen und Vorstellungen in Change-Vorhaben befragt. Zentrale Fragestellung der Untersuchung ist, welche Faktoren für den Erfolg von Veränderungsprozessen entscheidend sind und wie diese Faktoren von unterschiedlichen Gruppen von Managern in einem Unternehmen wahrgenommen werden. Zudem beleuchtet die Studie die unterschiedlichen Rollen und gegenseitigen Erwartungen der Protagonisten.

Wenn es bei Change-Projekten zu Unstimmigkeiten kommt, ist ein Scheitern umso wahrscheinlicher, je höher der Konflikt angesiedelt ist. Gibt es einen Streit innerhalb des Top-Managements eines Unternehmens oder zwischen Top-Managern und den Führungskräften der Linie, besteht für satte 93 Prozent der Befragten ein "großes Risiko", dass das Projekt scheitern könnte. Sind nur die Führungskräfte der Linien und Projektleiter uneins, ist das Scheitern unwahrscheinlicher (86 Prozent).

Egal, auf welcher Ebene: Unterschiedliche Vorstellungen, Meinungen und Einschätzungen über Projektziele und -verläufe scheinen grundsätzlich die wichtigste Ursache für das Scheitern von Change-Projekten zu sein. Da liegt der Schluss nahe, dass dem Überwinden dieser Probleme auch die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte: " durch Dialog und Kommunikation, durch Information oder durch Workshops". "Von solchen gemeinsamen Vorstellungen", heißt es im Report, "kann jedoch nicht beziehungsweise nicht immer ausgegangen werden".

Fast alle Befragten (99 Prozent) geben an, dass Projektleiter bei Change-Vorhaben über "genügend zeitliche Kapazitäten" verfügen sollten, um Veränderungen erfolgreich durchzusetzen. Damit, folgert Kienbaum, dürfte ein Erfolgsfaktor von Veränderungsprojekten in der besseren Planung für Zeitkapazitäten und Ressourcen für Projektleiter liegen: "Veränderungsprojekte - so die eindeutige Einschätzung - lassen sich nicht nebenher leiten."

Anspruch und Wirklichkeit liegen weit auseinander

Die Einsicht kann mit der Realität offenbar aber nicht Schritt halten: Mehr als jeder zweite Teilnehmer an der Umfrage (55 Prozent) hat die Erfahrung gemacht, "dass Projektleiter in bisherigen Change-Vorhaben über ungenügend zeitliche Kapazitäten verfügten". Eines der Misserfolgsgeheimnisse scheint zu sein, dass sich diese Einschätzung verändert, je höher man in der Unternehmenshierarchie fragt: So glauben etwa 61 Prozent der Topmanager, dass genügend Zeit für Change-Projekte vorhanden ist, während Projektleiter und Führungskräfte mehrheitlich genau das bestreiten.

Eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es auch bei einem ausreichenden Vorlauf der Planung von Veränderungen. Fast alle (94 Prozent) plädieren für hinreichendes Zeitbudget, zwei Drittel der Befragten haben in der Praxis aber andere Erfahrungen gemacht. Auch hier urteilt das Topmanagement deutlich wohlwollender: In der Analyse einig, in der Bewertung weit auseinander - das scheint die Realität bei Change-Projekten in deutschen Unternehmen zu sein.

Für die Bewertung des Erfolgs von Change-Projekten kann man die oberste Führungsetage eines Unternehmens problemlos außer Acht lassen. Für den Erfolg der Vorhaben ist nämlich eher die Kommunikation und Koordination zwischen dem Projektteam und den von den Veränderungen betroffenen Führungskräften aus der Linie entscheidend.

Wer in geschlossenen Zirkeln über Change nachdenkt und seine Gedanken überdies nicht mit anderen teilt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern, schlussfolgert der Kienbaum-Report. Auch hier gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung: Projektleiter sehen diesen Aspekt eher kritisch, Topleute und Linien-Führungskräfte halten die enge Kooperation und Kommunikation eher für realisiert.

Die Diskrepanz zwischen der Rezeption des Veränderungsprozesses auf den unterschiedlichen Ebenen eines Unternehmens wirft aus Sicht von Kienbaum eine Frage auf: Wie kommt "insbesondere das Topmanagement zu einem realistischen Bild über die Vorgänge und Entwicklungen während des Veränderungsprojektes"? Die meisten Antworten entfallen auf den Wunsch, die oberste Etage möge sich regelmäßig Feedback aus der Organisation einholen, um zu sehen, wo das Projekt steht.

Risiken analysieren und kommunizieren

Dahinter folgt die Aufforderung, die Risiken regelmäßig zu analysieren, die ein Change-Projekt zum Scheitern bringen könnten. Dazu gehöre auch das kontinuierliche Monitoring des Veränderungsprozesses und relevanter Entwicklungen im Umfeld des Projekts. Nachfragen nach dem Stand der Dinge ergeben, dass auch hier Anspruch und Wirklichkeit in den Unternehmen weit auseinander liegen. Schlimmer noch: Während Projektleiter angeben, ihre Chefs würden sich dieses Feedback nicht einholen, glauben die Führungskräfte, dass sie genau das getan haben. Hier wird die unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Führungs- und Projektkräften, von denen Kienbaum als Hauptursache für das Scheitern von Change-Projekten spricht, sehr deutlich.

Kurz gesagt, raten die Kienbaum-Experten dazu, mehr miteinander zu reden. In der Diktion des Reports klingt das etwas komplizierter, meint aber dasselbe: "In der Planung und Durchführung müssen Plattformen und Foren geschaffen werden, in denen gemeinsame Vorstellungen, Sichtweisen und Wertungen innerhalb und zwischen den Führungsebenen sowie zwischen Verantwortlichen der Projektorganisation und der Linienorganisation erzeugt und erarbeitet werden."

Die Kienbaum-Studie zeigt, dass der Weg hin zu einer "erfolgreich gelebten Umsetzung des geteilten Rollenverständnisses der einzelnen Managergruppen" noch lang ist. Besonders das Topmanagement weiche in der Realität von den Rollenerwartungen ab. Zu den "dringenden Entwicklungsfeldern dieser Gruppe" zählen daher "vorbildliches Verhalten im Change, Kommunikation der Vision und starker Kontakt zu Mitarbeitern".