IT-MANAGEMENT VOM FEINSTEN

CIO des Jahres

03.12.2005 von Riem Sarsam
Den von der COMPUTERWOCHE und CIO zu den Top-CIOs des Jahres 2005 gewählten Managern ist eines gemein: Technologie ist für sie Mittel zum Zweck. Entsprechend pragmatisch sind die Pläne für 2006.

TRENDS SIND NICHTS, was Michael Neff aus der Ruhe bringt. Was ihn eher aufregt, sind die Leute, die Trends blind folgen. Ein schönes Beispiel ist das Thema RFID: Sicher, es bewegt sich auf seinem Radarschirm -irgendwo am Rande. Aber: „Was passiert denn, wenn ich jetzt die Barcode-Identifizierung durch RFID-Tags ablöse?“, fragt der CIO der Heidelberger Druckmaschinen AG. Ist das interessanter als vorher, bringt es dem Unternehmen ein Mehr, das es vorher nicht hatte? Nein, lautet die klare Antwort. Noch nicht. „Wir sollten uns bei technologiegetriebenen Themen erst einmal zurücklehnen und einfach fragen: Na und?“, schlägt Neff vor. Er habe nichts gegen neue Technologien, betont er. Er selbst schafft moderne, State-of-the-Art-IT-Strukturen bei Heidelberg, aber er betont auch: „ Ich habe etwas dagegen, wenn sich Technologien in der IT verselbstständigen. Wir folgen dann irgendwelchen Wellen und vergessen, warum wir in der IT sind.“

Zwei konkrete Gründe hat der „CIO des Jahres“ für die Existenz von IT in Unternehmen: Entweder sie hilft dem Geschäft, die Produktivität zu steigern, oder sie ermöglicht es, ein Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Dass Neff über diese Kriterien nicht nur redet, sondern auch danach handelt, ist einer der Gründe, warum die Jury ihn zum diesjährigen CIO des Jahres kürte (siehe Kasten „CIO des Jahres – Der Wettbewerb“). Auf den Rängen zwei und drei landeten Friedrich Wöbking, CIO der Dresdner Bank, sowie Johannes Helbig von der Deutsche Post AG, Bereich Brief.

Wöbkings Arbeit zeichnete sich unter anderem dadurch aus, dass er die IT der Dresdner Bank nach der Übernahme durch die Allianz nahezu komplett auf den Kopf stellte. Er führte eine IT-Governance ein, baute eine zentral organisierte Struktur auf und senkte auch noch die Kosten der IT um mehr als ein Drittel auf unter eine Milliarde Euro. Dagegen zählt Johannes Helbig zu den wenigen IT-Managern, deren Budget in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Für seine Platzierung sprach sein frühes Engagement für Service-orientierte Architektur. Schon 1999 legte Helbig den Grundstein dafür. Wichtig war und ist für ihn, dass SOA kein Technik-, sondern ein Managementthema ist.

Wie die jüngste Umfrage zu „State of the CIO“ ergab, denken die meisten CIOs, dass sie sich eng an den Bedürfnissen des Geschäfts zu orientieren haben. Die Bewertung der fünf wichtigsten technischen Ziele für 2006 fiel entsprechend bodenständig aus: Den IT-Managern ist vor allem die Weiterführung ihrer Systeme wichtig (70 Prozent), die Rationalisierung der IT-Architektur sowie Datensicherheit und –integrität (siehe Grafik links). Neue Technologien wie Grid oder RFID interessieren im nächsten Jahr gerade mal gut 13 Prozent. Die anderen 87 Prozent dürften es wie Michael Neff sehen, der sagt: „Wenn RFID etwas zum Unternehmenserfolg beitragen kann und sich ein ROI von einem Jahr erreichen lässt, dann machen wir das.“

Vorerst gibt es andere Themen, mit denen Neff beschäftigt ist. Seit seinem Antritt im Jahr 2000 ist es ihm gelungen, die IT so umzuorganisieren, dass sie als globale Serviceeinheit fungiert. Die gesamte Client-Hardware und –Software wurde standardisiert. Ebenso die weltweite Daten- und Sprachkommunikation, die an wenige große Provider übertragen wurde. Neff lagerte auch den Betrieb der SAP-Anwendungen für 9000 Anwender an HP aus. Und unter dem Titel „Merge“ konsolidierte seine Abteilung gemeinsam mit SAP- und HP-Spezialisten drei SAP-Systeme zu einer der heute weltweit größten SAP-Anwendung. Erwähnenswert sind eine eigenentwickelte globale Mobile Solution für die weltweit 4000 Serviceingenieure, die die Maschinen vor Ort betreuen, und auch die Remote-Maintenance-Lösung, für die Neffs Mitarbeiter gerade mit dem „Anwender des Jahres“, einem Preis der COMPUTERWOCHE, ausgezeichnet wurden.

Auf der nun geschaffenen globalen Basis kann Neff aufsetzen und weitere Anwendungen entwickeln. Ein letzter Brocken steht ihm und seinen Mitarbeitern allerdings noch bevor: Im Sommer 2006 schalten sie eine 20 Jahre alte IBM-Landschaft ab, eine Eigenentwicklung, die Heidelberg auf Basis der damaligen IBM-Technologie gebaut hatte. Sie ist Kern des Computer Integrated Manufacturing unter anderem mit Anbindung an die Robotik der Produktion. Im Sommer 2006 wird sie von einer modernen SAP-Lösung abgelöst. „Das ist eine deutliche Herausforderung, die sich dem gesamten Engineering- und Montagebereich stellt“, erklärt Neff. Sie trifft den Nerv des Unternehmens, wo Stücklisten, Arbeitspläne, neue Produkte entwickelt, Teile gefertigt und Maschinen montiert werden. „Aber damit heben wir einen geschäftskritischen Bereich auf einen tatsächlich innovativen Stand.“

Neff beschleunigt die Prozesse mit Hilfe von IT. Auch hier belegt die Umfrage „State of the CIO“, dass dies für viele seiner Kollegen das mit Abstand wichtigste Managementziel im nächsten Jahr sein wird. Mehr als zwei Drittel der teilnehmenden IT-Manager gaben dieser Aufgabe die höchste Priorität.

Das Extrem, nämlich wie existenziell wichtig schnelle Prozesse sind, lässt sich in der Chipindustrie beobachten. Hier kann nur überleben, wer seine Fabriken ständig auf den neuesten Stand bringt. Wie bei seinem Kollegen Neff dreht sich auch für Infineons CIO Karl Pomschar ein Großteil seiner Arbeit um weitere Verbesserungen der Applikationen im Produktionsumfeld.

Mitte nächsten Jahres soll die bereits begonnene weltweite Implementierung einer Demand-to-Cash-Anwendung sämtlicher Infineon-Fabriken abgeschlossen sein. Insgesamt 28 Altsysteme ersetzt Pomschar dadurch. „Das bedeutet, dass wir in Zukunft unser gesamtes weltweites Geschäft auf einer logischen Instanz abwickeln. Egal, ob in Singapur, München oder San José“, erklärt er. Demand–to-Cash geht über die Prozesse von der Bestellung bis zur Lieferung hinaus, es integriert die komplette Auftragsabwicklung. Mit der Bestellbestätigung wird dann zeitgleich feststehen, wann und wo die Chips gefertigt werden. Zusätzlich kommt auf Pomschar eine neue Herausforderung zu: die erst kürzlich getroffene Entscheidung, Infineon in zwei Unternehmen aufzuteilen.

An seinem mittelfristigen Ziel wird das jedoch nichts ändern. Pomschar wird 2006 einen großen Schritt getan haben zu dem, was er die „komplette Konvergenz“ oder „das virtuelle Unternehmen“ nennt. Eine EAI-Schicht über sämtlichen Anwendungen soll es dem Management künftig erlauben, jederzeit und auf Knopfdruck alle relevanten Informationen einzusehen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Von zentraler Bedeutung ist dies beispielsweise, um Kapazitäten zwischen den weltweit positionierten Fabriken zu verteilen.

Dass sich Pomschar dabei in einem hochsensiblen Umfeld bewegt, wo auch nur die geringste Störung riesige Schäden verursachen kann, ist ihm bewusst. Man gewinnt den Eindruck, dass es genau das ist, was ihn fasziniert. „IT ist kein Geheimnis“, winkt er ab. „Es geht vor allem darum, systematisch und konsequent vorzugehen, das ist vielleicht manchmal mühsamer, aber es führt zum Ziel.“

Szenenwechsel: Nicht (nur) um die Fabrik, sondern um Forschung geht es beim Chemie- und Pharmakonzern Bayer. Als „Erfinder-Unternehmen“ bezeichnen sich die Leverkusener. Forschung und Innovation sind Kern ihres Geschäftes. CIO Andreas Resch, gleichzeitig Geschäftsführer der Bayer Business Services GmbH, hat sich fest vorgenommen, mehr von dem industrialisierten Erfindertum für die IT zu etablieren. Mit drei „I“s beantwortet er die Frage nach seinen Plänen: Innovation, Integrierte Services und Internationalisierung. Hinter Innovation steht für Resch weniger die Frage nach konkreten Techniken, sondern der systematische Umgang damit. Ähnlich wie Neff stellt auch Resch die Frage, was die Innovation dem Unternehmen nutzt. Darüber hinaus will er jedoch das Thema für die IT systematisieren. Reschs Rezeptur klingt allgemein gesprochen simpel, ihre Umsetzung bedarf jedoch einer guten Portion Feingefühls: „Der Trick liegt darin, kontrolliertes Risiko, technische Faszination und Wirtschaftlichkeit in eine Balance zu bringen.“

Zu willkürlich und zu wenig nachvollziehbar war ihm die bisherige Vorgehensweise. Zwar wurde die Frage nach dem vermeintlichen Business Case gestellt, doch die Berechnungen fielen dann doch mehr nach Gusto und weniger nach objektiven Kriterien aus. Mit Hilfe eines Zirkels von Mitarbeitern - so genannten Innovationsmentoren – sollen nun Systematik und Methodik in die Auswahl kommen. Orientieren will sich Resch dabei am Innovationsmanagement, wie es auch in den Laboren von Bayer praktiziert wird.

Auch die integrierten Services, der andere Punkt auf der Agenda betreffen die Organsiation des Unternehmens. BBS muss sich zunehmend ihren Aufgaben als Rundum-Dienstleister des Chemiekonzerns stellen. IT ist schließlich nur ein Teil der Services, die das Unternehmen seinem Mutterkonzern liefert. „Sie können ein komplettes Labor bei uns bestellen“, erzählt Resch. Sein Unternehmen übernimmt sämtliche Schritte, von der Ausschreibung über die Beschaffung bis hin zur Logistik. Auch weniger exotische Aufgaben stehen auf dem Programm. BBS wickelt Lohn- und Gehaltsabrechnungen ab, erledigt die Buchhaltung oder kümmert sich um die Altersvorsorge der Bayer-Mitarbeiter. Bereits beschlossen ist etwa die Übernahme einiger Accounting-Services für sämtliche Bayer-Niederlassungen in Nordamerika ab 2006. Bislang waren diese auf die einzelnen dortigen Niederlassungen verteilt.

Fehlt noch das dritte „I“: die Internationalisierung. Allein weltweit präsent zu sein wird dem Begriff der Internationalität, so wie Resch ihn verstanden wissen will, nicht gerecht. „Wir müssen von einem multinationalen zu einem internationalen Unternehmen werden“, sagt er. Entscheidend ist, das Zusammenspiel zwischen den Mitarbeitern in den einzelnen Regionen verbessern und die unterschiedlichen Kompetenzen flexibler einsetzen zu können. Beispielsweise wenn die SAP-Spezialisten aus Hongkong die SAP-Einführung in Indien betreuen. Das spart nicht nur Kosten, sondern gewinnt die Mitarbeiter für das große Ganze. „Die Kollegen haben dann nicht mehr nur ihren eigenen Absatzmarkt im Blick.“

Resch persönlich hat sich außerdem vorgenommen, die Beziehung zu den Kunden an erster Stelle zu positionieren. Im Fall der BBS sind Kunden gleichzeitig auch Kollegen. Das erleichtert einiges, kann aber auch manches komplizierter machen. „K&K-Monarchie“, nennt Resch es scherzhaft. Und er ist zuversichtlich: „Wenn das Jahr 2006 so läuft wie 2004 und 2005, bin ich optimistisch.“