IT-Stratege Hans Brechbühl im Interview

"CIOs müssen in Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren"

16.10.2008 von Nicolas Zeitler
In vielen IT-Abteilungen wird noch zu technikorientiert gedacht. Laut Professor Hans Brechbühl vom Center for Digital Strategies der US-amerikanischen Tuck School of Business sollten die IT-Chefs ihre Angestellten statt auf SAP-Schulungen häufiger in Wirtschaftsseminare schicken. Am Rande eines runden Tisches mit amerikanischen und deutschen Firmen in München sprach Brechbühl mit CIO Online auch über Globalisierung, Virtualisierung und Consumerization.

CIO Online: Ihr runder Tisch zu digitalen Strategien fand diesmal bei BMW statt und stand dort unter dem Titel "Global Mindset, Virtual Organization: The Changing Nature of Corporations". Welchen Veränderungen stehen mittlere und große Firmen derzeit gegenüber?

Prof. Hans Brechbühl: Sie werden immer globaler. Noch vor zehn Jahren waren die meisten eher multi-regional, aber nicht wirklich global. Damit einher geht eine zunehmende Virtualisierung. Damit meine ich nicht speziell Virtualisierung in der IT sondern generell die Tendenz, dass sich die bisherigen Strukturen verändern: Leute, die zusammenarbeiten, sitzen an ganz unterschiedlichen Plätzen auf dem Globus, oder ein Unternehmen vergibt Aufgaben nach außen, die es bisher innerhalb seiner eigenen vier Wände erledigt hat.

Welche Herausforderungen bringt das mit sich?

"CIOs müssen stärker proaktiv tätig werden", fordert Hans Brechbühl. Der Wirtschaftsforscher beschäftigt sich an der Tuck School of Business im US-Bundesstaat New Hampshire mit der Rolle der IT für die Strategie von Unternehmen.
Foto: Tuck

Die interkulturelle Verständigung ist sicher eine der größten. Auch in einem Unternehmen mit Standorten auf verschiedenen Kontinenten müssen die Mitarbeiter ein gemeinsames Verständnis von ihrem Tun haben. Ein großes Thema ist auch die Frage, wie sich die Arbeit über verschiedene Zeitzonen hinweg organisieren lässt. Allerdings sollten Firmen darin nicht nur Probleme sehen. Im Gegenteil: Das bietet auch Chancen, wie etwa den Zugriff auf Ressourcen rund um die Uhr im Sinne einer "Follow-the-sun-Strategie".

Wie hat man sich das konkret vorzustellen?

Für die IT könnte das zum Beispiel heißen, dass man verschiedene Schritte der Softwareentwicklung auf Standorte in unterschiedlichen Zeitzonen verteilt und so fast 24 Stunden effektiv an der Programmierung arbeitet. Ein weiteres Beispiel: Beschäftigt ein Unternehmen über die ganze Welt verteilt Juristen, so kann es sich sicher sein, dass im Falle von Vertragsverhandlungen zu fast jeder Zeit jemand zur Rechtsberatung verfügbar ist.

Welche Auswirkungen haben die geschilderten Entwicklungen speziell auf Aufgaben und Rolle des CIOs?

Die Zeiten, in denen ein CIO eben dann ins Gespräch einbezogen wurde, wenn er bestimmte Prozesse automatisieren oder Softwarelösungen für einzelne Anforderungen erstellen sollte, sind zwar schon lange vorbei. Allerdings trifft man selbst in großen Firmen manchmal noch auf CIOs und IT-Abteilungen, die weit weniger ins Gesamtunternehmen integriert sind als sie es sein sollten, und die bei strategischen Diskussionen viel zu spät mit an den Tisch geholt werden. Das liegt manchmal auch an den CIOs selbst. Einige reagieren noch eher statt proaktiv tätig zu werden, sehen sich eher als Dienstleister denn als Partner.

Woran liegt das und wie lässt es sich ändern?

Das hat viel mit der Denkweise und Ausbildung der Leute zu tun. Selbst in Firmen mit einem strategisch denkenden CIO finden sich zwei Ebenen weiter unten oft Mitarbeiter, die vor allem einen technischen Hintergrund haben. Die verstehen die Spielregeln der Branche gar nicht, in der ihr Unternehmen zuhause ist, und sie haben auch wenig Interesse daran. Deshalb wünsche ich mir, dass IT-Fachleute mehr Grundwissen haben, wie die Wirtschaft funktioniert - und dann beispielsweise auch verstehen, was der CFO meint, wenn er vom Return on Investment spricht.

Eine aktuelle Studie der Beratungsfirma PPI scheint ihnen zu widersprechen. Darin heißt es, dass zumindest für Stellen für Berufsanfänger der klassische Informatik-Experte wieder stärker gesucht wird.

Ich sage ja nicht, dass solche Leute nicht gebraucht werden. Experten sind nach wie vor wichtig. Nur reicht Expertenwissen längst nicht mehr aus. Das heißt nicht, dass jeder Informatiker noch einen MBA machen muss. Aber er muss verstehen, was typisch für seine Branche ist und Neugier dafür mitbringen.

Wenn wir den CIO selbst in den Blick nehmen: Welche Eigenschaften und Fähigkeiten muss er mitbringen?

Zum einen ebenfalls ein grundlegendes Verständnis dafür, wie das Geschäft in seiner Branche läuft. Darüber hinaus muss er sich speziell mit Virtualisierung und der zunehmenden Consumerization in der IT auskennen. Und er muss bereit sein, in die Weiterbildung seiner Mitarbeiter zu investieren. Gerade die Angestellten mit technischem Hintergrund sind oft nicht die Geschicktesten in Verhandlungen, wenn es etwa darum geht, sich durchzusetzen. Aber das kann man den Leuten beibringen. Darin muss ein CIO seine Leute schulen lassen, und sie nicht nur auf SAP-Weiterbildungen oder ähnliches schicken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Runde Tische mit europäischen und amerikanischen Firmen

Die Tuck School of Business at Dartmouth im Bundesstaat New Hampshire an der amerikanischen Ostküste veranstaltet seit 2002 vier mal jährlich einen runden Tisch mit großen Firmen verschiedener Branchen, auf dem aktuelle Themen diskutiert werden. Der letzte runde Tisch in diesem Jahr fand bei BMW in München statt. Teilnehmer waren neben dem Autobauer unter anderem Vertreter von Cisco, IBM, Nestlé und Novartis.

Hans Brechbühl leitet an der Tuck School das Center for Digital Strategies. Vorher arbeitete er als Senior Vice President Global Partnerships bei der zur Immobilienbank Bluestone Capital gehörenden Plattform Trade.com.