Social Business

Continental: Die interne Kulturrevolution

23.05.2013 von Alexander Freimark
Die Continental AG spannt ein internes soziales Netz. Für Silobauer und Abteilungsabgrenzer brechen schwere Zeiten an. Martina Girkens als Gesamtverantwortliche und ihre Projektleiter aus HR, PR und IT berichten.
Das interdisziplinäre Team von Conti: Harald Schirmer, Monika Andrae, Martina Girkens und Oliver Fröhlich (von links)
Foto: Continental AG

Was bisher geschah: Der Technologiekonzern Continental AG entwickelt seit 2010 ein internes Social Network (siehe CIO-Magazin vom Juni 2011). "ConNext" soll vorerst rund 80.000 Mitarbeiter verbinden und eine "Netzwerkkultur" entstehen lassen. Letzteres hatte der Vorstand eingefordert. Seine Erkenntnis: Mehr Arbeit, mehr Meetings, mehr Planung und mehr Zeit bringen den Konzern nicht entscheidend weiter. Als Ideal gilt der Fischschwarm - organisch und flexibel mit einem gemeinsamen Ziel.

Die Organisationsform ist keineswegs selbstverständlich, und auch der Wandel zu einem sozial vernetzten Unternehmen erfordert einen gewissen Reifegrad, berichtet die Münchener IT-Beratung Beck et al. Services, einer der IT-Zulieferer bei Continental. In einer Umfrage der Consultants bei Unternehmen im deutschsprachigen Raum kam unter anderem ans Licht, dass vier von fünf Beschäftigten die kontinuierliche intensive Kommunikation und Zusammenarbeit mit Kollegen für wichtig halten, um die eigenen Aufgaben erledigen zu können.

Gleichzeitig glauben aber nur 37 Prozent der Befragten, dass in ihren Unternehmen eine Kultur vorherrscht, die den Informationsaustausch fördert. Eine offene Kommunikation über hierarchische Grenzen hinweg sei nur bei rund 40 Prozent der Firmen bereits Realität, heißt es bei Beck et al. Services. Somit steht eine Art "interne Kulturrevolution" an: "Alles muss raus aus den Köpfen und auf den Tisch", forderte Conti-CEO Elmar Degenhart in der "FAZ".

Der Tisch wird im interdisziplinären ConNext-Projekt unter der Leitung von Martina Girkens errichtet, Vice President und Head of Corporate Function IT bei Continental. Sie steuert vier Projektleiter für die Bereiche HR, Kommunikation, IT und Knowledge-Management. Seit 2012 steht die Plattform, doch nun beginnt die eigentliche Arbeit: die Mitarbeiter an Bord holen. Doch die Nachfrage der Nutzer kann sich nur bilden, wenn alle Abteilungen mitziehen. "Wir haben das Ziel dieser Reise im Team gemeinsam bestimmt", berichtet Projektleiterin Girkens - durch den Rahmen und die Werkzeuge, aus denen eine Kultur der übergreifenden Zusammenarbeit und Vernetzung entstehen kann. Diese Kultur hat sich auch in der Projektleitung etablieren müssen. Und allein mit den klassischen IT-Methoden kommt man bei Social Media nicht vom Fleck. "Es ist ja auch kein IT-Projekt", sagt Girkens.

Aus Sicht der IT: Oliver Fröhlich

Oliver Fröhlich, Leiter Global Application Solutions: "Wenn wir diese Kerngruppe erreichen, gehe ich davon aus, dass sich die Plattform viral ausbreiten wird."
Foto: Continental

Oliver Fröhlich leitet die Abteilung, die für die technische Umsetzung der Plattform verantwortlich ist. "ConNext war keine außergewöhnliche Aufgabe", sagt der IT-Experte rückblickend. Die Auswahl der Werkzeuge und Implementierungspartner habe die Abteilung zwar "intensiv begleitet", die eigentliche Umsetzung sei aber ein "Routinegeschäft der IT, das nur schwer scheitern kann". Allerdings hätten Projektphasen länger gedauert als geplant, "aber nie zu lange", erinnert sich der Manager. Dabei will Fröhlich das Licht der IT nicht unter den Scheffel stellen: "Die Umsetzung ist eine erhebliche Leistung gewesen, und dafür war die Mitarbeit der gesamten IT-Organisation nötig."

Neuland seien hingegen seine Rolle in der übergreifenden Projektorganisation und das damit verbundene Umlernen in der Kommunikation. "Schließlich verkündet man am liebsten den Abschluss einer Arbeit." Das sei jedoch kaum möglich gewesen - "wir haben vielfach versprochen, wann wir fertig sind, und waren immer sehr froh, wenn wir dann tatsächlich fertig waren". Ein Lerneffekt? "Die Kommunikation musste trotzdem immer selbstbewusst und zuversichtlich erfolgen", sagt Fröhlich.

Einen Erfolgsfaktor der Plattform ConNext sieht er im persönlichen Vorteil der Power-User. Seiner Erfahrung nach seien rund zehn Prozent der Mitarbeiter für 30 bis 40 Prozent der versendeten E-Mails verantwortlich. "Wenn wir diese Kerngruppe erreichen, gehe ich davon aus, dass sich die Plattform viral ausbreiten wird." Der Benefit liege in erster Linie in der Entlastung der Anwender, die Informationen künftig einfacher und schneller verteilen könnten. Allerdings warnt Fröhlich vor der Erwartung, "dass nun alle Mitarbeiter im Gleichschritt in die Spontaneität marschieren".

Dabei hat er ConNext inzwischen selbst im Einsatz: "Wir wenden den Social-Media-Gedanken auf die Entwicklung der Plattform selbst an und nutzen sie, um die Erwartungen der Mitarbeiter aufzunehmen und zu verwalten." Denn im Gegensatz zu anderen typischen IT-Themen habe die IT in diesem Projekt keine Fachabteilung, die definieren kann, wie Social Media aussehen soll, sagt Fröhlich: "Es müssen eigentlich alle Mitarbeiter darüber diskutieren." Daher arbeite seine Abteilung daran, parallel zum Zyklus des Herstellers in der Produktentwicklung einen Demand-Zyklus zu entwickeln. "Wir sammeln die Anforderungen, filtern sie und stellen sie zur Abstimmung - dann bekommen wir ein Bild von dem, was sich die Anwender von diesem Werkzeug erwarten."

Aus Sicht der HR: Harald Schirmer

Harald Schirmer Corporate HR Development & Organizational Development: "Zwang wäre ein sehr fragliches Mittel, Social Business einzuführen."
Foto: Continental

Harald Schirmer ist ein Experte für globales Change-Management und Organisationsentwicklung bei Continental. Zudem kennt er sich mit Web-Design und Social Media aus - eine Art Allrounder in diesem Projekt, der von sich selbst sagt: "Ich könnte nicht mehr arbeiten ohne Social Business." Schirmer hat ein "Guide"-Konzept entwickelt, bei dem sich rund 400 ausgewählte Mitarbeiter weltweit in allen Positionen, Regionen und Funktionen beteiligen.

Diese Multiplikatoren sollen ihren Kollegen vorleben, was die ConNext-Tools bieten und wie man diese optimal nutzt. "Fast zwei Drittel der Guides haben sich freiwillig gemeldet", sagt Schirmer. Dass Guides und Mitarbeiter auf ConNext in ihren Landessprachen aktiv werden, sei wichtig: "Die verschiedenen regionalen Vorgehensweisen kann man nicht zentral definieren, vorgeben und steuern."

Im laufenden Jahr ist es sein Ziel, die Motivation im Guide-Netzwerk hochzuhalten und die Akzeptanz der Multiplikatoren in den Fachbereichen und Regionen zu verankern. Zudem wird die Plattform in bestehende Tools und Prozesse des Konzerns integriert. Vor zwei klassischen Fehlern warnt Schirmer: "Von allzu großen Versprechen werden die Mitarbeiter schnell enttäuscht, und Zwang wäre ein sehr fragliches Mittel, um Social Business einzuführen." Nicht zuletzt deshalb habe das Projekt speziell für die IT deutlich mehr Aufwand verursacht als eine klassische Implementierung.

"Die Mitarbeiter sollen freiwillig an Bord kommen, und folglich müssen wir mehrere Runden drehen", sagt der HR-Manager. Dadurch sei zwar die Durchschnittsgeschwindigkeit gesunken, "aber wir sind dafür aus heutiger Sicht wesentlich erfolgreicher unterwegs". Es seien kleine Erfolge, die man sich im Social Business erarbeiten müsse, um schließlich produktiver zu arbeiten. Als weitere wichtige Grundlage für die erfolgreiche Einführung von Social Business nennt Schirmer "eine ernst gemeinte Kulturentwicklung, ohne die ein Umstieg in die transparente Netzwerkkultur schwer möglich ist".

Aus Sicht der PR: Monika Andrae

Monika Andrae Leiterin Online Relations: "Wir haben niemals explizit gefragt, ob die Mitarbeiter Twitter, ein Wiki oder ein soziales Netzwerk brauchen."
Foto: Continental

Monika Andrae leitet in der Unternehmenskommunikation von Continental den Bereich Online Relations. Neben der Projektkommunikation und dem Projekt-Marketing hat sie sich vordringlich um Usability, Trainings und Nutzer-Feedback gekümmert. Für ihre eigenen Aufgaben ist "die Plattform ein Segen". Allerdings hat das Projektteam schon vor dem Start mit der Evaluation angefangen: "Wir haben 100 Interviews geführt, zahlreiche Online-Fragebögen ausgewertet und konkrete Use Cases der Mitarbeiter mit Verbesserungsbedarf analysiert", berichtet Andrae.

Die Fragen nach Lücken und Hindernissen in der konkreten Arbeitssituation hätten klar gezeigt, dass bei den Mitarbeitern der Bedarf an einem umfassenderen Austausch auch über Abteilungs- und Bereichsgrenzen hinweg vorhanden war. "Und wir haben niemals explizit gefragt, ob sie Twitter, ein Wiki oder ein soziales Netzwerk brauchen."

Andrae kennt die Arbeit mit User-Feedback-Gruppen. "Frühzeitig in der Implementierung haben wir Fragebögen eingesetzt, mit denen sich die Nutzer durch die Funktionalitäten gearbeitet haben." Das waren keine klassischen IT-Tests, sondern die Abfrage von funktionalem und emotionalem Feedback. Anwender nannten Verbesserungsbedarf und engagierten sich zudem als Multiplikatoren - ein positiver Nebeneffekt für Andrae: "Es spricht sich schnell herum, wenn ein Projekt nicht von oben getrieben wird, sondern von den Vorschlägen der Mitarbeiter lebt."

Verbesserungsbedarf gab es auch im Projektteam, da eine derartige Zusammenarbeit nicht alltäglich war. "Am Anfang hat es Zeit gekostet, uns aufeinander einzustellen", so die Kommunikationsexpertin. Schließlich kenne man sich nicht gut genug, um die Arbeitsweise und Geschwindigkeit der Kollegen bis ins Detail zu verstehen. "Wir mussten also dem jeweiligen Projektpartner vertrauen, dass er weiß, wovon er spricht."

Eine enge Abstimmung sei Pflicht, aber nicht gleichbedeutend mit dem Mikro-Management der übrigen Projektleiter, sagt Andrae: "Wir lassen dann auch mal laufen." Zudem waren Phasen eingeplant, um Mitarbeiter einzubeziehen und die Kommunikation vorzubereiten - damit waren typische IT-Implementierungs-Zeitpläne hinfällig. "Da mussten wir uns auch erst einmal zusammenraufen." Als die Reibungsverluste ausgeschaltet waren, nahm das Projekt Fahrt auf.

Aus Gesamtsicht: Martina Girkens

Martina Girkens Leiterin Corporate Function IT: "Wir setzen einen zweistelligen Millionenbetrag ein und haben rund 50 Vollzeitäquivalente, die daran arbeiten, dass ConNext in Schwung kommt."
Foto: Continental

Das Geschäftsmodell von Continental basiert - wie auch moderne Komponenten für das Produkt "Auto" - auf Vernetzung. Die Netzwerkkultur ist daher heute das substanzielle Erfolgskriterium für Innovationen. ConNext-Projektleiterin Martina Girkens verweist angesichts der Bedeutung auf den Umfang der Veränderungen und den Ressourceneinsatz: "Wir sind mit einer großen Ernsthaftigkeit an das Projekt rangegangen, setzen einen zweistelligen Millionenbetrag ein und haben durch das Guide-Konzept auch rund 50 Vollzeitäquivalente, die daran arbeiten, dass ConNext in Schwung kommt." Social Media als IT-Projekt im stillen Kämmerlein "mit ein bisschen Softwareinstallation" funktioniere einfach nicht.

Orientierung findet das Projektteam durch gemeinsame Wegmarken: "Anfangs ging es um Zeitpunkte auf der Roadmap, doch für 2013 haben wir uns quantitative Nutzungsziele gesetzt", erklärt Girkens. So ist geplant, 50 000 Anwender auf die Plattform zu bekommen, die ein gewisses Aktivitätsniveau zeigen. Zudem sollen alle Funktionen wie Finanzen, Marketing oder HR auf ConNext vertreten sein - sowohl in Deutschland als auch in den Regionen.

Trotz der Fortschritte gibt es noch viel zu tun - etwa das Konzept des Information Lifecycle der Plattform ("auch mal Inhalte löschen") oder die "intensive Abstimmung mit dem Betriebsrat". Zudem steht 2013 die Nutzung im Vordergrund, berichtet Projektleiterin Girkens: "Noch mehr Trainings für Mitarbeiter und Vorführungen der Plattform sowie die verstärkte Nutzenkommunikation". Grundlage sei ein stabil laufendes Tool mit Support-Konzept und Service-Management-Prozessen: "Die Mitarbeiter müssen sich jederzeit auf Performance und Funktionalität verlassen können."

Und am Ende des Jahres will Girkens sagen können: "Wir haben Social Media bei Continental eingeführt." Im Gegensatz zu klassischen IT-Projekten, bei denen verbindliche Prozesse unterstützt werden, müssten hier die Mitarbeiter hineinwachsen. "Wir leisten Überzeugungsarbeit und zwingen die Menschen nicht, sondern bieten es an." Alle Mitarbeiter müssten wissen, dass es gewünscht und erlaubt ist, mit ConNext zu arbeiten. Allerdings müssten sie auch begreifen, dass Social Media kein Hobby und keine Ablenkung neben der Arbeit sei, sagt Girkens: "Es ist die Arbeit."

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Das CIO-Magazin berichtete erstmals im Juni 2011 über
das Facebook-Verbot des damaligen CIO Ralf Brunken.

"Facebook verboten" (Social Media bei Continental)