Interview mit Richard David Precht

"Da hat Moral keinen Platz"

11.02.2013 von Sven Ohnstedt
Am Rande der Hamburger IT-Strategietage sprachen wir mit dem Philosophen Richard David Precht über die Sehnsucht nach Computern und deren Einfluss auf die Gesellschaft.
Prof. Dr. Richard Precht sprach auf den Hamburger IT-Strategietagen über Fairness in Ökonomie und Gesellschaft.
Foto: Foto Vogt

Sie lesen Ihrem Sohn aus einem Kinderbuch von Tove Jansson vor. Das Trollwesen wünscht sich darin beim Zauberer eine Maschine.

Richard David Precht: Eine besondere Maschine, ja. Sie soll dem Troll stets sagen, was gerecht ist und was nicht.

Woher stammt die Sehnsucht nach einer solchen Maschine?

Also das Trollwesen verkörpert in diesem Buch den Rationalisten, also gewissermaßen den heutigen IT-Mitarbeiter. Und wie so viele hofft er, eine technische Lösung für ein soziales Problem zu finden. Das heißt: Es gibt bestimmte Daseinsbereiche, die uns überfordern. Wir hätten dann gerne einen Kompass oder zumindest Orientierung.

Solche Maschinen gibt es aber nicht.

Es wird sie auch in 100 Jahren nicht geben. Schon Platon forschte, wie man die ganzen menschlichen Eigenschaften mithilfe einer Maschine gewichten könnte – also in wichtigere und unwichtigere. Menschliches Verhalten ist aber derart kontingent, dass wir diese Art der Systematisierung nicht vornehmen können. Deswegen können wir auch keine Maschinen entsprechend kodieren.

Wir machen uns dennoch von Computern abhängig, oder?

Ja. Ein Beispiel aus der Finanzwelt stellen Computer dar, die binnen Millisekunden miteinander handeln. Da hat Moral keinen Platz. Oder anders gesagt: Das lässt sich gar nicht unter Gesichtspunkten wir Fairness und Moral überprüfen.

Wie kam es überhaupt dazu?

Computer können natürlich bestimmte Algorithmen weitaus besser ausrechnen als jedes menschliche Gehirn.

Sie stören sich offensichtlich dennoch an ihnen.

Nun ja, Computer sind ja innerhalb des Systems effektiv, aber sie können das System selbst nicht infrage stellen. Sie machen also etwas, was gut funktioniert und machen das kontinuierlich. Und irgendwann ist die Sache plötzlich kaputt. In einer solchen Situation können sie demjenigen, der immer das Gleiche gemacht hat, aber keinen Vorwurf machen.

Wieso nicht?

Weil er zwischendurch den Blick von außen gebraucht hätte.

Was meinen Sie damit?

Wie schon erwähnt: Wir müssen uns doch überlegen, ob es bestimmte Bereiche gibt, wo wir uns nicht von der Systemlogik der Maschinen abhängig machen wollen.

Wir können aber nicht auf Computer verzichten. Wo also ziehen wir die Grenze?

In Bezug auf den Finanzbereich: Eine Möglichkeit wäre, dass wir Geschäfte zwischen Computern unattraktiv machen, indem wir sie besteuern.

Prof. Dr. Richard Precht: "Sparen können Staaten sowieso nicht."
Foto: Foto Vogt

Stichwort: Finanztransaktionssteuer.

Eine solche Steuer benötigen wir dringend und wir werden sie auch bekommen.

Wieso benötigen wir sie dringend?

Sie ist ungemein wichtig, um Schulden zurückzuzahlen. Berechnungen zeigen auf, dass, wenn aufgrund der Finanztransaktionssteuer etwa 75 Prozent des Börsenhandels zum Erlöschen kommt, noch immer Steuern in Höhe von 300 Milliarden Euro anfallen - alleine in Deutschland. Wir würden folglich den Bereich, in dem das meiste Geld ohne Leistung erbracht wird, ein klein wenig zur Kasse bitten, damit diese Gesellschaft gesund in die Zukunft gehen kann. Wie gesagt: Dazu wird es kommen, aber eben langsam.

"Die Verlierer sind die Kleinen"

Wieso sind Sie sicher, dass es so kommen wird?

Weil es dazu keine Alternative gibt. Alle anderen Möglichkeiten, die wir in der europäischen Schuldenkrise in Betracht ziehen, würden soziale Unruhen nach sich ziehen.

Das müssen Sie erklären.

Nun, wir können die Schulden nicht streichen, da es zu Banken-Crashs führt. Das ist beispielweise ein Riesenproblem für alle, die private Altersvorsorgen haben. Wir können die Schulden auch nicht abschmelzen, indem wir die Inflation erhöhen. Das ist ein gefährliches Geschäft. Die Verlierer sind die Kleinen. Und sparen können Staaten sowieso nicht.

Wieso nicht?

Die kapitalistische Wirtschaft sieht Sparen nicht vor. Mögliche Folgen von Austerität stellen ebenfalls soziale Unruhen dar.

"Die Steuern waren ja alle schon einmal da"

Prof. Dr. Richard Precht: "Mit der Einführung des Euro hätte man die Finanzsteuern homogenisieren müssen, damit man sich nicht erpressbar macht."
Foto: Foto Vogt

Eine Finanztransaktionssteuer ist Ihres Erachtens demnach die einzige Lösung des Problems.

In Ergänzung zu Kapitalertragsteuern, Mindestkörperschaftsteuern und Vermögensteuern.

Ist das politisch umsetzbar?

Ja, wenn der Wille da wäre, dann wäre das umsetzbar.

Wie groß ist der Wille?

Das ist tatsächlich die Frage. Die Steuern waren ja alle schon einmal da. England machte die Finanztransaktionssteuer rückgängig, um sich Vorteile zu schaffen. Daraufhin wurde die Steuer auch von anderen europäischen Staaten zurückgezogen. Es fand ein Unterbietungswettbewerb statt. Mit der Einführung des Euro hätte man die Finanzsteuern homogenisieren müssen, damit man sich nicht erpressbar macht.

Sie möchten demnach zu den Standards der Achtzigerjahre zurückkehren?

Damals hat ja eigentlich alles wunderbar funktioniert: Die Staaten waren nicht so haushoch überschuldet und der Börsenhandel ist nicht außer Kontrolle geraten.

Können wir überhaupt wieder dahin zurück?

Ich glaube, dass wir das schon schaffen, solange wir keinen nationalen Alleingang unternehmen. Ich glaube dies aus einem Grund: Es hat noch nie einen Fortschritt der Menschheit dadurch gegeben, dass sich 30 Regierungschefs getroffen und sich moralisch auf irgendetwas verständigt haben. So wurde weder die Sklaverei noch die Kinderarbeit abgeschafft. Und so erhielten die Frauen auch nicht das Wahlrecht. Vielmehr fängt einer an, wodurch Druck in den anderen Ländern entsteht. Auf diese Weise sind alle wichtigen sozialen Revolutionen erfolgt. Und das wird auch hier so sein.

Wissen das unsere Politiker?

Die Politik findet die gerade vorgeschlagenen Steuern zwar alle gut, aber die anderen sollen eben auch mitmachen. Es geht aber darum, damit anzufangen. Und wenn wir es nicht tun, dann machen es eben die Franzosen. Und dann wird hoffentlich der Druck so groß, dass wir nachziehen.