First Look

Das bringt SharePoint 2010

06.02.2010 von Boris Ovcak
Der neue SharePoint Server wird als strategische IT-Plattform für die Zusammenarbeit positioniert. Wird er diesem Anspruch gerecht?
Die Entwicklung der SharePoint-Technik.

Im Oktober des vergangenen Jahres wurde "SharePoint 2010" auf der SharePoint Conference in Las Vegas von Steve Ballmer der Öffentlichkeit vorgestellt und die Markteinführung für das erste Halbjahr 2010 angekündigt. Dieser Zeitpunkt rückt näher, denn seit wenigen Wochen ist die Betaversion öffentlich verfügbar. Die ersten Reaktionen auf eine neue Microsoft-Software für Geschäftskunden waren selten so überwältigend. Auf der Konferenz löste SharePoint 2010 bei den über 7000 Teilnehmern eine wahre Euphorie aus, die mittlerweile auch in Europa angekommen ist. Das ist umso erstaunlicher, als SharePoint 2010 mehr Evolution als Revolution darstellt.

Brachte der Release-Wechsel von SharePoint Portal Server 2003 auf Microsoft Office SharePoint Server 2007 (zur Vermeidung des Zungenbrechers kurz MOSS genannt) noch zahlreiche grundsätzlich neue Funktions- und Einsatzbereiche wie Business Intelligence und Workflows mit sich, ist das beim aktuellen Release-Wechsel nicht der Fall. SharePoint 2010 - wie auch schon die Vorgängerversion - bietet Unternehmen eine IT-Plattform, um:

Worin liegen also die Gründe für die Euphorie? Ist sie gerechtfertigt oder vielleicht nur das Ergebnis der mächtigen Marketing-Maschinerie von Microsoft? Aufgrund erster Erfahrungen bei Campana & Schott mit den verschiedenen, seit Frühjahr 2009 verfügbaren Release-Ständen von SharePoint 2010 lässt sich so viel schon im Voraus sagen: Die richtigen Hausaufgaben wurden zur richtigen Zeit gemacht. In dem stimmigen Zusammenspiel vieler Verbesserungen steckt die eigentliche Überraschung.

Überraschend konsequente Weiterentwicklung

Skizzierte Bill Gates bereits im Jahr 2005 das Bild von SharePoint im Zentrum der Zusammenarbeit der so genannten Information Worker, so fehlte in der 2007er Version noch der in der Praxis an verschiedenen Stellen erforderliche Reifegrad - weniger hinsichtlich der Stabilität der Lösung, sondern vielmehr in zahlreichen funktionellen Details. Beispielsweise war bereits eine durchaus mächtige Volltextsuche vorhanden - die Anpassung von Suchparametern wie dem Dokumententyp sowie die Aufbereitung der Suchergebnisse wurden aber nur durch programmierte Erweiterung möglich.

Diese Schwächen hat man nun aufgegriffen. Wie überraschend konsequent Microsoft dabei bestehende Ideen umsetzt, zeigt der Blick auf die Akquisitionen der letzten Jahre, deren Produkte nun in SharePoint 2010 erstmals vollständig und für ein stimmiges Zusammenspiel integriert sind. Dabei wurden die stärksten Komponenten der zugekauften Techniken erst aus- und anschließend in die SharePoint-Plattform wieder eingebaut. Hier einige Beispiele:

Bedienkomfort und Standardkonformität

Die zunächst sichtbarste Neuerung von SharePoint 2010 ist die neue Benutzeroberfläche. So zieht die bereits aus Office 2007 bekannte Oberfläche des "Ribbon UI" nun auch ins Web ein. Funktionen und Programmbefehle werden ab jetzt immer nur kontextabhängig angezeigt. Der eigentlich große Effekt wird aber bei einem Blick über den SharePoint-Rand ersichtlich: Für den Endanwender ergibt sich ein einheitliches Nutzungserlebnis. Unterschiede zwischen Client- und Web-Anwendungen sind fast nicht mehr sichtbar. Für die Anwenderakzeptanz ist dies besonders interessant, da im neuen SharePoint 2010 auch Daten zum Beispiel aus SAP- oder Siebels-Software verarbeitet werden können, ohne dass der Nutzer hierfür seine gewohnte Office-Optik verlassen muss. Die durchgehende Verwendung von Ajax- und Silverlight-Techniken ermöglicht ein flüssigeres Arbeiten. Eine Integration von Audio- und Videoelementen (zum Beispiel aus YouTube) ist leicht möglich.

Für IT-Verantwortliche ist von zentraler Bedeutung, dass in SharePoint 2010 wichtige Standards umgesetzt wurden: so etwa die Barrierefreiheit gemäß WCAG 2.0 oder XHTML als Industriestandard für Web-Entwicklungen. Microsoft hat akzeptiert, dass es neben dem Internet Explorer auch andere Web-Browser gibt wie zum Beispiel Firefox 3.x oder Safari - sie werden (nahezu) vollständig unterstützt. Die parallele Pflege von mehrsprachigen Inhalten wurde stark vereinfacht und - besonders erfreulich - auf alle relevanten Bereiche (Benutzeroberfläche, Navigation, Menüeinträge, Listen- und Bibliotheksfelder) ausgeweitet.

Ein völlig neuer Weg wurde in Bezug auf die Offline-Fähigkeit eingeschlagen. Mit dem "SharePoint Workspace" besteht die Möglichkeit, sämtliche Inhalte einer SharePoint-Seite auf Knopfdruck offline mitzunehmen. Ebenfalls neu in SharePoint 2010 ist die Unterstützung eines Online-Szenarios, in dem der Anwender nicht von seinem Rechner und mit den entsprechenden Office-Client-Applikationen aus arbeitet. Über die Office Web Applications für Word, Excel, PowerPoint und OneNote wird deren Funktionalität im Browser bereitgestellt, um entsprechende Dateien im Web anzusehen oder direkt online zu bearbeiten. Zusätzlich unterstützt das Office im Web die gleichzeitige, kontrollierte Bearbeitung einer Datei durch mehrere Personen. Dabei ist wichtig, dass die Office Web Applications nicht als vollwertiger Ersatz für die Office-Clients zu verstehen sind, da sie lediglich die notwendigsten Bearbeitungsfunktionen bieten.

Endlich Web-2.0-Funktionen

Ein großer Kritikpunkt an der Vorgängerversion waren die nicht beziehungsweise unzureichend vorhandenen Funktionen, die Internet-Nutzer aus Anwendungen wie Facebook oder Xing gewohnt sind. Hier wurden nun die Hausaufgaben gemacht. Einerseits werden Grundfunktionen wie Verschlagwortung und Bewertung von Inhalten (so genanntes Tagging und Rating) bereitgestellt. Andererseits wirkt sich die gesteigerte Benutzerfreundlichkeit von SharePoint 2010 positiv auf entsprechende Einsatzszenarien aus. Einträge in Blogs und Wikis lassen sich dank des neuen Rich-Text-Editor nahezu intuitiv vornehmen. Bilder sind ohne vorherigen Upload direkt in SharePoint integrierbar. Das Auffinden von Einträgen wird durch die Einbindung von Metadaten in die Navigation vereinfacht. Diese muss auch nicht mehr manuell gepflegt werden.

SharePoint bietet verbesserte Überarbeitungsfunktionen in Wikis.

Für Wikis wurde die Versionsverwaltung stark verbessert, so dass nun eine adäquate Unterstützung des verteilten beziehungsweise arbeitsteiligen Erstellens von Inhalten gegeben ist: Versionen lassen sich untereinander vergleichen, Textänderungen heben sich farblich hervor. Bei Bedarf kann eine ältere Version auf Knopfdruck wiederhergestellt werden.

Auch die MySite wurde konsequent weiterentwickelt und dürfte in SharePoint 2010 an Bedeutung gewinnen. Im Zentrum steht dabei ein Benutzerprofil, das um "Activity Feeds" erweitert wurde. Damit wird sichtbar, mit welchen Themen, Inhalten oder Personen sich der Benutzer aktuell beschäftigt. Die Vernetzung von Mitarbeitern und Themen wird hierdurch transparenter, und im Netz gespeichertes Wissen lässt sich schneller ermitteln. Der bereits aus der Vorversion bekannte Organization Browser zur Darstellung der Organisationshierarchie erscheint nun im schicken Silverlight-Gewand: Profilfotos und Organisationsdaten werden auf einen Blick angezeigt; ein recht intuitives "Surfen" durch die Organisation führt schnell zum richtigen Ansprechpartner.

Das Ende der Ordnerstruktur?

Eine Metadaten-basierende Navigation führt in SharePoint zu den Inhalten.

Das Konzept, mit Metadaten (zum Beispiel Autor, Kunde oder Abteilung) Inhalte unterschiedlich zu sortieren beziehungsweise multidimensional zu ordnen, ist insbesondere im Bereich Dokumenten-Management inzwischen gängiger Standard. Dennoch halten sich vom Filesystem abstammende Ordnerstrukturen hartnäckig, trotz ihrer Eindimensionalität und der damit verbundenen Nachteile in der Praxis. Dies dürfte sich mit SharePoint 2010 ändern, da nun nicht nur die Beschreibung von Inhalten mit Metadaten möglich ist, sondern vielmehr auch die Navigation zu den Inhalten über eben diese beschreibenden Metadaten. Der Endanwender navigiert also weiterhin wie gewohnt über eine Baumstruktur zu den Inhalten - allerdings basiert diese nicht mehr auf einer eindimensionalen Ordnerstruktur, sondern auf den multidimensionalen Metadaten. Da im Rahmen der verbesserten Suchfunktion eine schrittweise Verfeinerung der Suchergebnisse ebenfalls über die Metadaten der Inhalte möglich ist, kann der Benutzer seinen Zugangsweg selbst bestimmen: Sowohl eine Suche auf der Portal-Startseite als auch der Einstieg über eine Dokumentenbibliothek wird ihn zum Ziel führen.

Bei der Verwaltung solcher Metadaten reichen die Verbesserungen ebenfalls weit. Über eine neue Komponente, den "Term Store", wird ein zentraler Verwaltungsort bereitgestellt. Eine hierarchische Klassifikation von Begriffen (Taxonomie) kann ebenso verwaltet werden wie eine freie Verschlagwortung (Folksonomie), die durch Tagging von Inhalten durch die Benutzer entsteht. Taxonomie und Folksonomie lassen sich miteinander verbinden, indem Begriffe aus der freien Verschlagwortung zentral gesteuert und in die Taxonomie überführt werden. Der Term Store bietet also die Grundlage, dass in der Organisation mit einheitlichen Metadaten beziehungsweise Einordnungen gearbeitet wird. Weiterhin können Synonyme und Beschreibungen für jeden Begriff bereitgestellt werden, auch in verschiedenen Sprachen.

Für eine effiziente Erstellung und Übersicht über den Term Store ist eine Import- und Exportfunktion zu Excel vorhanden. Die fachliche Arbeit, also die Formulierung einer einheitlichen Begrifflichkeit für eine Organisation, kann somit getrennt von der technischen Implementierung erfolgen. SharePoint 2010 bietet die Technik, nun liegt die Herausforderung bei den Unternehmen, für eine einheitliche Begriffswelt zu sorgen und so das Auffinden von Dokumenten und Informationen zu erleichtern, also die Voraussetzungen für ein wirksames Wissens-Management zu schaffen.

Das Potenzial zum universellen ERP-Frontend

Bereits in der 2007er Version war die einfache Bereitstellung von "No-Code"-Applikationen zur Automatisierung von Geschäftsprozessen (etwa Ideen- und Innovations-Management, HR-Abläufe, IT-Demand-Management etc.) eine der herausragenden Stärken von SharePoint. Kernelement ist hierbei häufig ein Browser-basierendes Formular auf Basis von "InfoPath" zur Erfassung und Verarbeitung der Daten. Wie sieht es nun in Sachen Einfachheit, Performance und Ressourcenbedarf aus?

Hier ein Beispiel: Mittels der jetzt verfügbaren parametergestützten Filterung von Daten wird der Lade- und Speicherbedarf deutlich verringert, denn es werden nur die benötigten Datenteilmengen geladen. Die Bereitstellung von kaskadierenden Auswahllisten (Region = Europa / Land = DE, ES, FR usw.) wird ermöglicht.

Wirklich spannend sind die neuen Formen der Integration von externen Datenquellen. Der frühere Business Data Catalog erlaubte nur eine lesende (rudimentäre) Anbindung von Daten. Mit den neuen Business Connectivity Services können jetzt Daten direkt etwa aus SAP-Software angezeigt und in SharePoint editiert werden. Bereits ohne Erweiterungen bietet SharePoint 2010 Methoden wie Read, Create, Update und Delete zur Anbindung einfacher Systeme, beispielsweise SQL-Datenbanken. Für komplexere Anwendungen lassen sich auf Basis von Visual Studio weitere Methoden hinzuprogrammieren. Ist so die Verbindung erst einmal hergestellt, stehen Standardfunktionen wie der Export nach Excel oder die Verwendung in Word auch für externe Daten zur Verfügung. Office-Business- Applikationen (OBA), mit denen der Endanwender aus seiner gewohnten Benutzeroberfläche von Microsoft Office Geschäftsdaten aus ERP-Systemen bearbeiten kann, werden so zur Realität. Für mobile Zahlenjongleure wird dann ein Traum wahr: Sie können etwa SAP-Daten offline mit auf Reisen nehmen, da sich externe Daten und relevante Formulare oder Word-Vorlagen standardmäßig über den Sharepoint Workspace synchronisieren lassen.

Die Business-Intelligence-Funktionen in SharePoint verteilen sich bedarfsgerecht je nach Einsatzgebiet.

Kommen wir noch einmal auf das Thema OBA zurück: Für die Automatisierung von Geschäftsprozessen bedarf es einer Workflow-Komponente. Früher musste sich der Anwender entscheiden, Workflows entweder selbst über den SharePoint Designer per Drag and Drop zu erstellen oder bei komplexeren Anforderungen eine Programmierung in Visual Studio in Auftrag zu geben. Neu ist jetzt, dass beide Welten verbunden werden können. Workflows lassen sich in SharePoint 2010 zunächst mit Visio fachlich modellieren und dann in SharePoint Designer importieren. Besteht ein Bedarf an anspruchsvolleren technischen Operationen, ist der Export und die Weiterbearbeitung in Visual Studio möglich. Erste Kundenerfahrungen zeigen, dass damit die Rollen- und Arbeitsteilung zwischen Prozess-Manager im Fachbereich, IT-Architekt und Programmierer deutlich vereinfacht wird.

Deutlich mehr Business Intelligence

In Verbindung mit Microsoft Office bildet SharePoint 2010 eine Plattform, um Daten ganz unterschiedlich grafisch aufzubereiten und auszuwerten. Hervorzuheben im neuen Release sind besonders die verbesserten Funktionen für eine interaktive und grafische Datenanalyse: Visio-Diagramme können im Web dargestellt werden und bieten die Möglichkeit einer Datenvisualisierung in Echtzeit - beispielsweise um den Zustand von Servern in einem Rechenzentrum zu veranschaulichen. Die neuen Excel-Funktionen zur grafischen Visualisierung von Pivot-Filtern sowie der Darstellung von Trendverläufen in einer Zelle (Slicers und Sparklines) stehen ebenfalls im Web zur Verfügung. Mächtige interaktive Dashboards lassen sich so zentral bereitstellen. Dabei ermöglicht die neue PowerPivot-Funktion, dass bei Bedarf selbst sehr große Datenmengen direkt in Excel gespeichert und in angemessener Geschwindigkeit verarbeitet werden.

Das interaktive SharePoint-Dashboard mit seinen Excel Services.

Die PerformancePoint Services, früher ein eigenes Produkt, sind in SharePoint 2010 vollständig integriert und bilden die Highend-Anwendung für Business Intelligence. So lassen sich beispielsweise Key Performance Indicators (KPIs) über mehrere Aggregationsstufen (Zwischensummen) hinweg beliebig berechnen und grafisch darstellen. Damit ist Sharepoint zu einem mächtigen BI-Werkzeug herangewachsen.

Die Folgen für Unternehmen

SharePoint 2010 ist ein ordentlicher Wurf. Es ist eine in sich sehr mächtige IT-Plattform entstanden, auf der zahlreiche, heute noch nicht absehbare Einsatzszenarien entstehen werden. Damit erhöht sich allerdings auch der Bedarf einer entsprechenden IT-Strategie sowie einer eigenen Governance. Auf CIO-Ebene, so die Empfehlung, muss eine mittelfristige Definition und Einsatzplanung erarbeitet werden, die für das eigene Unternehmen Office- und ERP-Anwendungen sowie Inter-, Intra- und Extranet-Anwendungen absteckt. Das heute noch oft anzutreffende Vorgehen, zunächst eine SharePoint-Infrastruktur bereitzustellen und hierauf relativ unkoordiniert Anforderungen aus den Fachbereichen zu realisieren, ist mit großer Vorsicht zu sehen. Im günstigeren Fall werden Potenziale nicht vollständig erschlossen, im schlimmeren Fall führt der unkoordinierte Einsatz zu teuren Informationssilos und Widerstand im Unternehmen. (ue)