Hamburgs CIO über E-Government

Das Ende der Stempelherrschaft

07.04.2003 von Johannes Klostermeier
Jörn Riedel ist seit fünfeinhalb Jahren für die IT-Strategie der Hamburger Stadtverwaltung zuständig. Der 43-Jährige trägt zudem die Verantwortung für die Steuerung der Budgetierung, das strategische Projekt-Controlling und die Rekrutierung von IT-Personal.

CIO: Die Länder schaffen häufig isolierte Lösungen im E-Government. Warum gibt es nicht viel mehr Zusammenarbeit?

Jörn Riedel: Historisch gewachsene Strukturen führen dazu, dass an unterschiedlichen Stellen gleiche Aktivitäten stattfinden. Die 16 Länder sind zu einer Kooperation bereit, und aufgrund der überschaubaren Zahl besteht hier auch die Chance auf Erfolg. Viel dramatischer ist es bei den Gemeinden, von denen es viele tausend gibt. Nach dem Grundgesetz bestimmen sie über sich selbst. Das heißt, jede kann ihre eigene IT-Struktur aufbauen. Gerade kleine Kommunen haben dabei Vorbehalte, sich an etwas Größeres anzuschließen und die eigenen Geschäftsprozesse daran anzupassen, da sie um ihre Souveränität fürchten. Es mag auch mit der Generationenentwicklung zu tun haben, denn wer heute politisch tätig ist, hat oft nicht das EDV-Wissen, um zu unterscheiden: Hier habe ich politisch etwas zu sagen hat, und hier geht es um eine reine Dienstleistungsstruktur, die ich unter Kostengesichtspunkten verteilen muss.

Niemand versteht, warum es etwa so viele verschiedene Melderegisterverfahren in Deutschland gibt.

Wie viele verschiedene Verfahren es sind, weiß tatsächlich niemand genau. Nur das Flächenland Bayern hat im Gesetz festgeschrieben, dass alle Gemeinden dasselbe benutzen müssen. Ansonsten gibt es in diesem Bereich einen bunten Flickenteppich; die Gemeinden haben sich am Markt verschiedene Programme besorgt. Dabei wäre es heute problemlos möglich, 80 Millionen Datensätze in einer Datenbank zu verwalten. Es gibt keinen Grund dafür, dass wir 1000 unterschiedliche Installationen von Meldewesen haben. Es existieren Datenschutzmechanismen, die es unproblematisch machen, mehrere Datenbestände im Zusammenhang zu betreiben. Nur die Software-Häuser wären nicht begeistert, wenn sich die deutsche Verwaltung auf eine einzige Lösung einigen würde. Und es bedarf großer politischer Anstrengung, um einen Konsens für eine solche Lösung zu erreichen.

Zwischen Bund und Ländern gibt es Spannungen. Spürbar wurde dies im Streit um die Vergabeplattform des Bundes. Wie ist das Verhältnis derzeit?

Kooperationsprojekte sind immer dann erfolgreich, wenn man sich bereits in der Planungsphase verständigt - also bevor man etwas fertig hat. Im Vergabegeschäft macht es einen Unterschied, ob der Bund für die Bundeswehr Panzer einkauft oder eine Kommune Bleistifte für die Schulen. Wenn ich die anderen in diesen Prozess nicht einbeziehe und etwas konstruiere, was die Anforderungen einer Großstadt nicht erfüllt, gibt es Ressentiments. Der Bund hat bei seiner Vergabeplattform individuell programmiert, obwohl es viele Großunternehmen gibt, die auch Beschaffungsprozesse durchführen. Wir hingegen haben gefragt, welche Firma ihr Produkt an die Regeln des öffentlichen Dienstes anpassen will, und haben so eine Lösung zu überschaubaren Kosten erhalten. Im Moment läuft ein Abstimmungsprozess zu der Frage, wo Gesetze bestehen, die Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam vollziehen müssen. Das ist, denke ich, ein sinnvoller Weg, um gemeinsame Aufgaben zu erkennen, im Dialog Anforderungen zu formulieren und zusammen Software zu kaufen oder - wenn nötig - zu entwickeln.

Die Bereitschaft ist mittlerweile da, die finanzielle Notwendigkeit auch; doch alle möglichen Vorschriften stehen dem noch im Weg. Beispiel Meldewesen: Hat demnächst der Hamburger Verwaltungsbeamte die Stempel aller Umlandgemeinden auf seinem Schreibtisch? Oder erträgt es die deutsche Gesellschaft, dass der Personalausweis eines Bürgers aus Bad Segeberg mit einem Hamburger Stempel versehen ist? Ein großer Fortschritt ist es, dass sich seit anderthalb Jahren die zuständigen Staatssekretäre der Länder und des Bundes sowie die kommunalen Spitzenorganisationen regelmäßig treffen, um diese Fragen gemeinsam zu diskutieren. So eine politische Führung quer zu den Gliederungen hat es bisher nicht gegeben.

Wie versteht die Stadt Hamburg E-Government?

Der Hamburger Senat hat im vergangenen Sommer einen Aktionsfahrplan E-Government beschlossen, der jährlich flexibel fortgeschrieben wird. Basis ist eine moderne und einheitliche Infrastruktur der gesamten Hamburger Verwaltung mit mehr als 30000 Büroarbeitsplätzen. Für Bürger und Gelegenheitskunden aus der Wirtschaft bauen wir als standardisierte Schnittstelle ein E-Government-Gateway auf. Hier bündeln wir den Zugang für alle möglichen Arten von Anwendungen: Notaren bieten wir Einblick ins Grundbuch, Firmen und Bürgern Zugriff auf das Melderegister; man kann Standesamtsurkunden beantragen und an elektronischen Ausschreibungen teilnehmen.

Was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir eine wahrnehmbare, aber kooperative Führungsrolle des Bundes. Sich zu trauen, bei bestimmten Sachen zu sagen: "Ja, das machen wir so!", sich dabei aber der Mühe des Dialogs zu stellen.