Über alle Unternehmensbereiche hinweg

Das Ende des Ad-Hoc-Prinzips

09.10.2007 von Christoph Lixenfeld
Die Drägerwerk AG stellt ihre IT neu auf, statt drei CIOs gibt es nur noch einen. Der krempelt die gesamte Organisation um und richtet die Strategie neu aus.
"Wir wollen eine möglichst hohe Integration erreichen. Und wir wissen, dass das ein schwieriger Transformationsprozess ist," sagt Michael von Smolonki, CIO der Drägerwerk AG.

Michael von Smolinski steht vor einer Herausforderung, die größer kaum sein könnte: "Unsere Systemlandschaft ist hoch komplex und historisch bedingt eher heterogen und redundant", erklärt der junge CIO des Lübecker Dräger-Konzerns. "Sowohl die Transparenz als auch die Durchgängigkeit müssen verbessert werden. In den einzelnen Unternehmensbereichen können wir vielleicht noch sagen, wo wir welche Daten haben, aber konzernübergreifend ist die Differenzierung nicht, wie wir es uns wünschen, und vor allem, wie wir es auch benötigen."

Der Konzern ist mittlerweile in der fünften Generation familiengeführt. Zu dem Unternehmen gehören neben kleineren Gesellschaften einerseits der Medizintechnikspezialist Dräger Medical und andererseits Dräger Safety, das Sicherheitstechnik wie Gasmessgeräte oder Schutzhelme produziert und vertreibt. Darüber thront eine Holding, die das Ganze steuert. Auf beiden Geschäftsfeldern ist das Traditionsunternehmen hochspezialisiert und hochprofitabel.

Im Labor der Drägerwerk AG.
Foto: Dräger

Aber Dräger ist - eben historisch bedingt - kein integrierter Konzern, sondern eine Holding. Hinzu kommt, dass auch die Teile des Ganzen lange in zahllose Unterorganisationen gegliedert waren und es teilweise noch sind. Dräger Medical beispielsweise bestand bis Anfang 2000 aus 40 Gesellschaften, die alle autonom agierten und lediglich über ihre Ergebnisse geführt wurden.

35 verschiedene ERP-Systeme

Bereits damals fing man an, zunächst die Teilkonzerne stärker zu integrieren, was in puncto IT eine absolute Mammutaufgabe ist. Thomas Holzgreve, ehemaliger CIO von Dräger Safety, hatte einst bekannt, dass allein sein Unternehmen an den verschiedenen internationalen Standorten 35 verschiedene ERP-Systeme betreibt.

Und disparat waren nicht nur die Anwendungen, sondern auch die Entscheidungsstrukturen: Es gab drei CIOs: je einen für das Sicherheits- und für das Medizintechnikunternehmen und schließlich einen für die Drägerwerk AG. Das war Michael von Smolinski, der keinen Hehl daraus macht, dass diese Strukturen nicht wirklich effizient waren: "Bisher gibt es bei uns kein Portfolio-Management, aber das ist dringend nötig. Wir brauchen eine strategische Planung, die vom Adhoc-Prinzip weggeht.“

In der Vergangenheit agierten die IT-Abteilungen der Teilunternehmen weitgehend unabhängig voneinander und stellten sich auch nach außen als völlig eigenständige E inheiten dar. In der Öffentlichkeit gab es keine Berichte über Projekte der Drägerwerk AG, sondern welche über eine neue Personalabrechnung bei Dräger Medical oder ein Supply-Chain-Management-Vorhaben bei Dräger Safety.

Das einzige große IT-Vorhaben der Drägerwerk AG in den vergangenen Jahren war eine radikale Auslagerung: Am 31. Januar 2004 unterschrieb das Unternehmen einen umfassenden Vertrag mit Cap Gemini Ernst & Young. Er beinhaltete das Auslagern der IT-Services sowie die Veräußerung der Dräger-Tochtergesellschaften Nordac (verantwortlich für den Rechenzentrumsbetrieb), Synematic (IT-Consulting) und Information Technologies (Krankenhausinformationssysteme, IT-Betreibermodelle).

Wann sich Outsourcing lohnt

"Wir haben dabei dieselben Erfahrungen gemacht wie alle anderen auch“, sagt Michael von Smolinski diplomatisch. Klarer wird seine Ansicht darüber allerdings, wenn er sich generell über Outsourcing äußert. "Die Steuerung des Partners ist immer ein hochkomplizierter Akt. Dazu muss ein Unternehmen sehr viel eigenes Know-how vorhalten. Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob man es nicht auch gleich selbst machen kann. Wenn man lediglich irgendwelche Infos über den Zaun wirft, dann kann man dem Outsourcing-Partner auch gleich einen Blankoscheck ausfüllen."

Doch der Mann für Blankoschecks ist von Smolinski sicher nicht. Er will dem Unternehmen eine straff geführte, schlagkräftige IT-Organisation verpassen, die dem Wildwuchs mit klaren Vorgaben ein Ende setzt. Den Aufbau bezeichnet er als "horizontales Schichtenmodell", dessen Flöze den Kunden - die Drägerwerk AG - auf der einen mit den externen Dienstleistern auf der anderen Seite verbinden.

Wichtig sind dem neuen CIO dabei vor allem die Schnittstellen zwischen IT und Business; ein sogenannter Business Liaison Manager soll in Zukunft vergleichbare Anforderungen in unterschiedlichen Unternehmensteilen miteinander verzahnen. "Wer sich dann beispielsweise um das Kundensegment Logistik kümmert, spricht sowohl mit dem entsprechenden Mitarbeiter im Bereich Medical als auch mit dem Zuständigen im Bereich Safety," so Michael von Smolinski. Zudem wird es ein Vendor-Management geben, Schnittstelle zwischen dem CIO und den externen Dienstleistern. Innerhalb der IT-Organisation wiederum managt das Development-Management die Entwicklung der Systeme. Das Operations-Management hingegen ist zuständig für ihren Betrieb.

Welche Systeme und Anwendungen er sich in welcher Reihenfolge vornehmen will, verrät von Smolinski noch nicht. Klar ist aber, das es strategisch eine Abkehr vom bisher gefahrenen Kurs geben wird. Thomas Holzgreve, ehemaliger CIO von Dräger Safety, hatte noch im Dezember 2004 in der Computerwoche verkündet: "Unserer Erfahrungen haben gezeigt, dass die hergebrachte Forderung nach einer vollständigen Integration aller Systeme nicht mehr zeitgemäß ist."

Michael von Smolinski sagt heute mit Hinweis auf die Erkenntnisse der vergangenen Jahre: "Wir wollen eine möglichst hohe Integration erreichen. Und wir wissen, dass das ein schwieriger Transformationsprozess ist." Systeme, bei denen man ganz auf eine Integration verzichten könnte, gibt es aus seiner Sicht nicht: "Wenn wir uns fragen, ob ein System unwichtig ist, dann müssen wir uns natürlich auch fragen, warum wir es nicht einfach abschalten."

Trotz der Größe der Aufgabe will er "signifikante Fortschritte innerhalb von zwei Jahren erreichen". Entscheidend ist dabei aus seiner Sicht, dass die Mitarbeiter mitziehen: "Es ist bei all dem nicht unser Ziel, durch Personalabbau Kosten zu sparen. Sondern wir wollen unser Team neu aufstellen, um für die Zukunft eine schlagkräftige Truppe zu haben."

Keine Schnellschüsse erwünscht

Eigenständige CIOs der Teilunternehmen wird es nicht mehr geben. Thomas Holzgreve, der im Vorstand von Dräger Safety sitzt, hatte seinen CIO-Stab schon 2006 aus der Hand gegeben, bleibt aber Teil der Corporate- IT. Bertram König dagegen, ehemaliger CIO von Dräger Medical, ist heute nicht mehr im Unternehmen.

Die Drägerwerk AG - ein Familienunternehmen.

Bei der Frage, warum ausgerechnet er den Job des Konzern-CIOs bekommen hat, überlegt Michael von Smolinski nur kurz. Dann sagt er: "Für die anstehenden IT-Aufgaben im Konzern habe ich ein schlüssiges Lösungskonzept vorgelegt. Wichtig ist dabei, das Ziel unserer IT-Strategie im Auge zu behalten. Unser Handeln ist langfristig, unternehmerisch und international ausgerichtet." Schnellschüsse seien für die Lübecker nicht erstrebenswert.

An Selbstbewusstsein mangelt es dem erst 35-Jährigen also nicht, und die erste Hürde hat er auch bereits genommen. Nach nur vier Monaten Vorlauf geht die neue Struktur am ersten Juli an den Start, und dabei hatte Michael von Smolinski gleich zwei zusätzliche Hürden zu nehmen: Erstens musste aus organisatorischen Gründen alles noch einen Monat früher fertig sein als ursprünglich geplant. Und zweitens kam mitten in der heißesten Phase des Projekts seine Tochter zur Welt, seitdem muss er mit maximal vier Stunden Nachtschlaf zufrieden sein. "Manchmal hat das sogar Vorteile. Dann kann ich mir zum Beispiel sofort Dinge aufschreiben, die mir nachts noch eingefallen sind."