IT-Systeme für Börsen

Das Sekundengeschäft

03.03.2003 von Rolf Röwekamp
Der elektronische Handel zwingt Börsen zu neuen, IT-gestützten Angeboten für Händler. Um im Wettbewerb zu bestehen, setzt die Berliner Börse auf selbst entwickelte, offene Orderbücher. Darüber hinaus kooperiert sie mit der US-Börse Nasdaq.

Drei Makler verlieren sich an diesem Nachmittag im Saal der Berliner Börse. Auch an anderen Tagen und zu anderen Zeiten halten sich hier nur wenige Menschen auf; Hektik ist weit und breit nicht zu spüren. Käufe und Verkäufe tätigen die Makler elektronisch von ihren Büros aus: IT-Systeme sorgen dafür, dass kaum noch jemand die Börse persönlich betreten muss.

Doch Wertpapiergeschäfte über das Maklerhandelssystem Xontro oder das vollelektronische Handelssystem Xetra allein reicht nicht mehr aus. Gerade wenn sich die Börsen in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Hannover, Hamburg, München und Stuttgart erfolgreich gegen die Deutsche Börse in Frankfurt behaupten wollen, müssen sie sich auf Nischenmärkte wie Zertifikate oder Optionsscheine spezialisieren und dafür IT-gestützte Dienste entwickeln. "Der IT-Einsatz ist mit entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit der Börsen", sagt Thomas Ruppelt, Vorstand der Berliner Börse und seit vergangenem Dezember auch Geschäftsführer der Berliner Wertpapierbörse.

So bindet die Berliner Börse derzeit das Handelssystem Supermontage der Börse Nasdaq Europe ein. Im Sommer 2002 hatten Berliner und Bremer Börse angekündigt zu fusionieren und Anfang 2003 gemeinsam mit der US-Tochter Nasdaq Europe den Aktienmarkt Nasdaq Deutschland anzubieten. Darüber hinaus beteiligen sich bislang Commerzbank, Comdirect und Dresdner Bank an dem neuen Markt. Nun soll der Nasdaq-Handel voraussichtlich Ende März beginnen.

Nasdaq-Handelssystem wird integriert

Das fertige Handelssystem Supermontage steht in der Londoner Zentrale von Nasdaq Europe. "Wir schneiden praktisch den Handelsteil aus unserem Handelssystem Xontro heraus und ersetzen ihn durch Supermontage", sagt Ruppelt. Für Banken, Makler und Privatanleger bleibt so äußerlich alles beim Alten: Sie arbeiten weiter an den Front- und Backends von Xontro, haben aber Zugang zum Nasdaq-Markt. "Nichts mögen Banker weniger, als eine neue Infrastruktur", begründet Ruppelt diesen Weg.

So hat die Düsseldorfer Börse im Oktober 2001 das Handelssystem Quotrix eingeführt; die Stuttgarter Börse entwickelte Tiqs (Trading Information and Quote System) für den Derivate-Handel; und die Bayerische Börse will sich von Xontro trennen und Anfang Mai mit dem selbst aufgesetzten Handelssystem Max One starten. Hinzu kommen neue Marktmodelle: Internalisierung heißt das Reizwort für viele Börsen. Dabei wickeln Banken an der Börse vorbei aus den eigenen Aktienbeständen Aufträge für Kunden ab. Plattformen dafür bieten die Frankfurter Börse mit Xetra Best, die Deutsche Bank mit PIP (Price Improvement Service) und bald auch Nasdaq mit Best Ex.

Börse in Berlin mit eigenem System

Mit Supermontage hat die Berliner Börse ohne eigene Entwicklungskosten ein neues Handelssystem erhalten. Ein vollständig selbst entwickeltes Handelssystem hätte den Etat gesprengt. "Das würde uns einen nicht unerheblichen zweistelligen Millionenbetrag kosten", so Ruppelt. Zudem hat sich die Börse für Eigenentwicklungen entschieden, die auf Basis von Xontro laufen. Dabei haben Ruppelt und seine fünf IT-Mitarbeiter mit bis zu 20 externen Programmierern und Testern einige unerfreuliche Erfahrungen gemacht. "Aber jetzt sind wir Herr unseres Systems und können schnell neue Funktionen einbauen."

Eine der größten Schwierigkeiten bestand darin, Fairness für alle Anleger zu garantieren - ein in der Öffentlichkeit kaum diskutiertes Thema. Jeder Markt-teilnehmer muss zu jedem Zeitpunkt dieselben Chancen haben, den Handel auszuführen. Börse ist ein Sekundengeschäft. "An diesem Punkt war die Börsen-IT für mich eine echte Herausforderung", sagt Ruppelt.

Dagegen ist die Verfügbarkeit eines Handelssystems weniger anspruchsvoll. "Diese Probleme sind erkannt und gelöst. Das ist schon fast eine Ingenieurwissenschaft", so Ruppelt. Je nach Anforderung lässt sich Verfügbarkeit mit einem Tool-Set wie ein Getriebe zusammenbauen. "Es darf nicht passieren, dass eine Komponente das ganze System lahm legt", betont Ruppelt. "Da kann man viel machen - aber das kostet auch viel Geld."