Bitkom-Chef Rohleder im Interview

"Das Thema Digitalisierung erzeugt Ängste"

11.08.2016 von Jan-Bernd Meyer
Die Arbeitswelt ist geprägt von massiven Veränderungen, die sich durch die Digitalisierung von Geschäftsmodellen in den kommenden Jahren ergeben werden.

Gerade erst hat der Bitkom in seinem Bericht zur konjunkturellen Lage und digitalen Agenda unter anderem festgestellt: 64 Prozent der Unternehmen in Deutschland gehen davon aus, dass sich durch die Digitalisierung ihr Geschäftsmodell verändern wird. Der Hauptgeschäftsführer des Bitkom, Bernhard Rohleder, sieht da im Gespräch mit CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer die Pflicht nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei der Politik - trotz anstehender Bundestagswahl im Herbst 2017.

Industrien und Arbeitsplätze werden massiv verändert

Durch die Digitalisierung und Automatisierung der Arbeitsprozesse werden alle Industrien und deren Arbeitsplätze massiv verändert. Wie sehen Sie, wie sieht der Bitkom diese Entwicklung?

Bernhard Rohleder: Wir gehen davon aus, dass sich ganze Wirtschaftsbereiche komplett ändern werden. Dass sich Ausbildungs- und Jobprofile sowie Studienprofile komplett ändern. Es gibt heute Berufe, deren Tätigkeiten vollständig digitalisierbar, weil algorithmisierbar sind. Sie werden in den kommenden zehn, 20 Jahren weitgehend verschwinden. Es gab in Deutschland einmal 3.000 Schriftsetzer. Die sind heute entweder in Hartz IV oder sie haben einen neuen Job. Das wird viele andere Berufe auch betreffen. Und zwar nicht nur die sogenannten Blue-Collar-Jobs in der Werkhalle. Das wird auch die White-Collar-Jobs in den Büros berühren.

Der Hauptgeschäftsführer des Bitkom, Bernhard Rohleder, sieht gewaltige Veränderungen auf alle Industriezweige und Arbeitsplätze zukommen.
Foto: Bitkom

Das ist ja die Gretchen-Frage: Werden - wie in der Vergangenheit immer - genügend neue Tätigkeitsfelder entstehen, die im Saldo die Verluste an Arbeitsplätzen ausgleichen?

Bernhard Rohleder: Wir erleben ja nicht die erste Digitalisierungswelle. Frühere Digitalisierungswellen hatten immer auch Arbeitsplatzeffekte. Technologien machten und machen bestimmte Arbeitsplätze obsolet, andere Tätigkeiten werden durch Technologien neu geschaffen. Bislang waren die Effekte stets positiv. Insofern stellt sich für uns im Moment nicht die Frage, ob hier Beschäftigungsvolumen in Summe entfällt.

Wir sehen vielmehr die Chance, dass wir durch technologische Unterstützung zu mehr Qualität und mehr Effizienz in der Produktion und letztlich auch zu einer besseren Versorgung mit Verwaltungs-, Bildungs- oder auch Gesundheitsdiensten kommen. Denken Sie etwa an pflegerische Bereiche oder an die Medizin, wo wir Probleme wegen fehlender Spezialisten haben. Da haben wir zunehmend Engpässe im Arbeitsmarkt, die wir durch neue Technologien ausgleichen können.

Ernst&Young über Digitalisierung: Chance oder Jobkiller?
Digitalisierung und ihre Auswirkungen
Die Berater von Ernst&Young üben sich in Dramatik: ob die digitale Arbeitswelt Chance sei oder „Jobkiller“, stellen sie ihrer Befragung von mehr als 1.000 deutschen Arbeitnehmern voran. Teilgenommen haben sowohl Abteilungs- und Teamleiter als auch Sachbearbeiter.
Definition
Nur knapp jeder Vierte (23 Prozent) weiß mit dem Begriff Industrie 4.0 etwas anzufangen.
Bedeutung
Diese 23 Prozent verbinden mit Industrie 4.0 vor allem Digitalisierung/Informatisierung sowie Vernetzung von Maschinen und Anlagen und intelligente, selbstlernende Systeme beziehungsweise computergesteuerte Produktion und Prozesse.
Attraktiverer Job
Die Frage, ob die Digitalisierung den Arbeitsplatz attraktiver macht, hängt vom Alter ab.
Mehr Stress - oder weniger
Die Einschätzung der Auswirkungen von Digitalisierung weichen deutlich voneinander ab. Manche Befragte verspüren mehr Stress, andere dagegen weniger.
Information
Die Befragten fühlen sich innerhalb der Unternehmen nicht gut über die anstehenden Veränderungen informiert.
Qualifizierung
Nicht alle Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen für die Digitalisierung bereit.

Wir befassen uns mit dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen

Anfang des Jahres hat das World Economic Forum in Davos über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Wenn führende Politiker und Unternehmenslenker aus der ganzen Welt sich über solche Dinge Gedanken machen, wird man aufmerksam. Wie sieht der Bitkom das?

Bernhard Rohleder: Wir im Bitkom setzen uns erstmals mit dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen auseinander. Das ist ein Instrument, mit dem man auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren kann. Am besten aber ist es natürlich, wenn man ein solches Instrument gar nicht erst einsetzen muss. Wir beschäftigen uns deshalb auch mit der Veränderung von Ausbildungsprofilen. Wir sind der festen Überzeugung, dass junge Menschen, die in Berufe der dualen Ausbildung gehen und die sich damit auf ein 50 Jahre dauerndes Berufsleben in diesen Qualifikationsprofilen vorbereiten, dass man ihnen jetzt Entscheidungshilfen an die Hand geben muss, die sie noch nicht haben.

Wird es in zehn Jahren noch Zahntechniker geben? Vielleicht ja, vielleicht nein. Vielleicht werden sie komplett ersetzt durch 3D-Drucker. Aber es wird andere Qualifikationen beim Fachpersonal in Zahnarztpraxen geben müssen. Darauf müssen wir junge Menschen vorbereiten. Mit solchen Fragen setzen wir uns auseinander. Wir werden dazu eigene Studien und eigene Forschungen machen, um diese Lücke in der Berufsberatung zu schließen und so jungen Menschen bei ihrer Berufsentscheidung zu helfen.

Wir haben da fast ein Luxusproblem

Es wird immer gern kritisiert, dass Deutschland bezüglich der digitalen Ausbildung ins Hintertreffen geraten ist. Wer ist denn jetzt gefordert, um hier Abhilfe zu schaffen? Die Unternehmen? Die Politik? Ist das eine Bringschuld? Oder gibt es auch eine Holschuld?

Bernhard Rohleder: Es gibt auch eine Holschuld. Etwa bei Mitarbeitern. Die sind zwar in vielen, aber eben nicht in allen Fällen sehr weiterbildungsbereit. Wir sehen das an Schulen, wo 20 Prozent der Lehrer in den vergangenen fünf Jahren keine Weiterbildung mehr besucht hat und hierzu auch nicht willens ist. Hier gibt es durchaus eine Verpflichtung jedes Einzelnen, sein Wissen aktuell zu halten. Ansonsten sind aber sowohl die Politik als auch die Wirtschaft gefordert. Die Unternehmen sollten dabei nicht nur auf ihre Auftragsberge sehen, die sie momentan haben und die sie abarbeiten müssen. Sie müssen sich auch mit Geschäftsentwicklung und Unternehmensstrategie befassen und eben auch mit ihren Beschäftigten. Die sollen ja nicht nur das aktuelle Geschäft betreiben können, sondern auch das künftige.

Diesbezüglich haben wir hierzulande momentan fast ein Luxusproblem: Dadurch, dass die Wirtschaft momentan so gut läuft, fehlt oft die Aufmerksamkeit im Management für neue Geschäftsstrategien und Weiterbildung. Für diese vollen Auftragsbücher beneidet uns zwar einerseits die ganze Welt. Andererseits aber ist es fast schon ein Nachteil, weil uns so Kapazität zur Beschäftigung mit den langfristig wichtigen Themen fehlt.

Die Politik hat erkannt, was da auf die Volkswirtschaft zukommt

Der Bitkom steht im regen Austausch mit der Politik. Haben Sie das Gefühl, dass die Politik klar im Blick hat, was da für eklatante Veränderungen auf die Arbeitswelten und die Gesellschaften zukommen - eben wegen der Digitalisierung, Automatisierung, Robotik etc.?

Bernhard Rohleder: Die Politik hat erkannt, was da auf die Unternehmen und damit auf die Volkswirtschaft insgesamt zukommt. Und dass hier dringend Handlungsbedarf besteht. Die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen werden, sind allerdings aus unserer Sicht nicht immer die richtigen. Zum Teil werden politisch Verteidigungskämpfe gefochten, wo man alte Geschäftsmodellen zum Beispiel durch ein Leistungsschutzrecht zu erhalten versucht, obwohl sie auf Dauer nicht tragbar sein werden. Ähnliches sehen wir auf Urheberrechtsfeldern, wo im Moment gekämpft wird.

Wir erleben das auch bei der grundsätzlichen Diskussion um die föderale Hoheit in den Ländern bezüglich der Kultur und damit auch der Bildung. Die Frage könnte sein, ob Bildungspolitik Kirchturmpolitik bleiben darf und die richtige Antwort auf die Globalisierung ist. Wahrscheinlich nein. Die Antworten sind also nicht immer richtig, aber die Dimension der Aufgabe ist erkannt.

Wir haben natürlich die Herausforderung, dass Politik in Vierjahres-Zyklen tickt. In den Legislaturperioden lassen dabei ohnehin nur die ersten zwei Jahre echten Gestaltungsspielraum. Nur in denen kann auch mal eine unpopuläre aber notwendige Entscheidung getroffen werden. Jetzt aber gilt es, mit einem Blick auf die kommenden zehn, zwanzig Jahre die Weichen richtig zu stellen. Und diese beiden Zeiträume passen nicht zueinander. Das führt dazu, dass man in der Politik weitgehend die Augen davor verschließt, dass jedes zweite Arbeitsverhältnis hier in Deutschland durch die Digitalisierung ganz neu definiert werden muss.

Ganz konkret Ross und Reiter zu nennen, scheut man sich

Aber würde denn eine Partei, die jetzt die Themen Digitalisierung, Automatisierung und die damit verbundenen Folgen für Arbeitsplätze in ihr Programm aufnimmt - würde solch eine Partei damit nicht beweisen, dass sie auf der Höhe der technischen Diskussion ist und sich damit als kompetent darstellen?

Bernhard Rohleder: Das Thema Digitalisierung bietet sicher auch Profilierungsmöglichkeiten. Aber dieses Thema ist auch eines, das die Leute erschrickt. Es erzeugt Ängste, und das ist nur allzu menschlich. Denn damit ist ein tiefgreifender Wandel verbunden, der jeden von uns betrifft. Da scheut die Politik vor klaren Worten zurück. Nehmen Sie die Fragen "Welche Beschäftigungen gibt es noch? Welche werden wegfallen? Welche werden neu entstehen?"

Über neu entstehende Beschäftigungen redet man sicher gerne. Aber ganz konkret Ross und Reiter zu benennen, wo es um den Wegfall von Qualifikationen und Beschäftigungsmerkmalen geht, da scheut man sich. Dabei müssten wir einen ganz klaren Ton wählen und eine klare Sprache, damit junge Menschen, aber auch Ältere die richtigen Entscheidungen für sich treffen können. Immer den einfachsten Weg zu gehen, nach dem Motto "Die Renten sind sicher!" - damit ist niemandem geholfen.