Paradigmenwechsel im Procurement fordert SAP heraus

Dem strategischen Einkauf fehlen die IT-Tools

16.05.2007 von Christine Ulrich
Das Ende eines Hypes: Transaktionale Prozesse wie E-Sourcing und E-Procurement sind kalter Kaffee. Der Einkauf, der für den Gesamterfolg eines Unternehmens immer wichtiger wird, konzentriert sich stattdessen auf strategische Themen: Sourcing Governance, Supplier Relationship Management (SRM) und Compliance Monitoring. Allerdings kommen Lösungsanbieter wie SAP dem neuen Trend noch nicht hinterher. Das fand das Beratungshaus Brainnet in einer Studie heraus.

Brainnet spricht gar von einem "Paradigmenwechsel“ in der Welt des Einkaufs. Auf das Procurement kommen neue Herausforderungen zu: Wert schaffen statt nur Kosten senken, die Aufmerksamkeit der oberen Etagen für sich gewinnen, als Risiko-Manager auftreten und sich auf strategische Themen konzentrieren. Als Indikator für den Wandel sehen die Autoren an, dass die indirekten Ausgaben - etwa für Marketing und Service - steigen und dass dies überhaupt als Angelegenheit für den Einkauf gilt.

Der Einkauf wandelt sich grundlegend

Laut der Studie gehört die Zukunft Unternehmen, die SRM-Lösungen in ihre Systeme und den Einkauf in die Geschäftsprozesse integrieren. Doch es hakt nicht nur am Willen der Top-Manager, sondern auch am Angebot der Software-Provider. Um zu verstehen, wo genau, müssen zunächst die Veränderungen beim Einkauf betrachtet werden.

Beim Einkauf bekommen Performance-Prozesse die größte Aufmerksamkeit. Arm dran sind die grundlegenden Prozesse, für die zudem wenig Ressourcen bereitgestellt werden.

Die Beschaffungsstrategie verändert sich schrittweise: von administrativen Aufgaben über operative und taktische hin zu einer strategischen Funktion. In jedem zweiten befragten Unternehmen arbeitet der Einkauf bereits auf Augenhöhe mit anderen strategischen Abteilungen. Dabei ist das Procurement direkt dem Firmenvorstand unterstellt und wirtschaftet mit wesentlich höheren Budgets als vor fünf Jahren. Nur ein Viertel der Unternehmen halten ihr Procurement immer noch auf einer administrativen Ebene.

So kommt auf den Einkauf mehr Verantwortung zu - und trotzdem muss er um Anerkennung kämpfen. Auch heute betrachtet nur jedes dritte Unternehmen die Beschaffungsstrategie als Wertschöpfer. Seine wachsende Bedeutung hat sich noch nicht in entsprechend veränderten Unternehmensstrukturen manifestiert.

Bei den strategischen Subprozessen steht die Entwicklung von Sourcing-Strategien am besten da.

Klar, dass die Einkaufs-Entscheider ihre Position verbessern wollen. 80 Prozent der befragten CPOs glauben, dass die größte Herausforderung darin besteht, die Auswirkung der Einkaufsprozesse auf die Unternehmensergebnisse zu demonstrieren und das Procurement ins Blickfeld des Top-Managements zu rücken. Fast genauso viele sind der Meinung, der Einkauf müsse früh in Sourcing-Initiativen einbezogen werden, und es müssten ausreichende Ressourcen bereitgestellt werden.

Den IT-Lösungen fehlt noch der strategische Fokus

Ressourcenallokation, vom Management entgegengebrachte Aufmerksamkeit und Auswirkung aufs Geschäft: Anhand dieser drei Kriterien analysiert Brainnet, wie weit die Procurement-Strategien gediehen sind und ob die Kriterien mit der Prozessbedeutung korrelieren. Daneben unterscheiden die Berater fünf Einkaufs-Prozesskategorien: strategisch, operativ, taktisch, Performance und grundlegende Prozesse.

Bei den taktischen Subprozessen klaffen Wahrnehmung und Wirklichkeit weit auseinander. Alle wirken sich stark aufs Geschäft aus - doch die Menge an bereitgestellten Ressourcen und Aufmerksamkeit schwankt beträchtlich.

Um die wachsenden Aufgaben zu bewältigen, sind effiziente und effektive Prozesse essentiell. Im Zuge des Hypes jedoch, der in den vergangenen fünf Jahren um E-Procurement und E-Sourcing stattfand, ist der Einkauf oft effizienter, aber nicht effektiver geworden. Operative und taktische Prozesse dominierten die Diskussion. Jetzt ist der Hype vorbei, meinen die Brainnet-Berater, und es wird augenfällig, dass der Einkauf hauptsächlich eine strategische Funktion erfüllt.

Sind das Rückenmark des Einkaufs: die Performance-Prozesse. Und Ressourcenallokation und Manager-Aufmerksamkeit entsprechen ganz gut dieser Bedeutung.

Der wichtigste strategische Unterprozess ist laut der Studie, Sourcing-Strategien zu entwickeln. Was neue Probleme mit sich bringt: Denn die IT-Lösungsanbieter haben ihren Fokus noch nicht von operativen auf strategische Prozesse umgelenkt. Die Mehrheit der CPOs beklagt, dass den IT-Lösungen eine strategische Ausrichtung fehlt.

SRM-Anbieter erkennen Bedürfnisse nicht

Als "zentrales Nervensystem" des Einkaufs bezeichnen die Autoren die Performance-Prozesse. Die Auswirkung aufs Geschäft, die Aufmerksamkeit der oberen Etagen und die Ressourcenallokation entsprechen beim Performance-Management seiner Bedeutung. Dies spiegeln die verfügbaren IT-Lösungen wider: Die IT-Tools fürs Ausgaben-Management gelten als gut - auch wenn die CPOs finden, dass die Anbieter bei ihren Software-Lösungen mehr Best Practices mitliefern sollten.

Das schlimmste Missverhältnis herrscht bei den grundlegenden Einkaufsprozessen: Sie wirken sich stark aufs Geschäft aus, aber mit Anerkennung und Ressourcen klappt es nicht.

Dagegen entsprechen bei der Compliance-Überwachung und dem Risiko-Management die bereitgestellten Mittel bei weitem nicht der Bedeutung dieser Sub-Prozesse. Das gleiche gilt für die IT-Lösungen: CPOs wünschen sich bessere IT-Tools für diese Bereiche.

Am schlimmsten ist das Missverhältnis bei den grundlegenden Einkaufsprozessen. Die Auswirkung aufs Geschäft ist enorm, doch die Ressourcen sind kärglich und die Aufmerksamkeit gering. So werden etwa die Stammdatenverwaltung und das Wissens-Management kaum beachtet. Gerade hier werden SRM-Lösungsanbieter gebraucht: CPOs kennen nicht genügend IT-Tools für Wissens- und internes Kunden-Management.

Künftig werden einige zentrale Prozesse noch viel wichtiger werden, insbesondere das Supply Risk Management.

Kein gutes Prozess-Management und keine Transparenz beim Einkauf laufen ohne eine starke IT. Allerdings meinen CPOs, dass die SRM-Lösungen ihren Bedürfnissen auf der strategischen Prozessebene nicht gerecht werden. Dies gilt besonders für Lieferanten-, Risiko-, internes Kunden- und Wissens-Management. Um die neuen Entwicklungen im Procurement zu erkennen, benötigen SRM-Lösungsanbieter ein besseres Verständnis des Einkaufsgeschäfts, so die Autoren. Dazu müssen sie eine konstante und enge Beziehung zu den CPOs aufbauen.

SAP sollte Best Practices mitliefern

CPOs erwarten zudem, dass Best Practices mitgeliefert werden. Dazu gehören eine schnelle Implementierung, offene Schnittstellen, Prozessorientierung, eine flexible Architektur und weltweite Anwendbarkeit. Laut der Studie sind sogar die Triumvirats-Player SAP, Ariba und Emptoris nicht in der Lage, dieser Nachfrage vollständig nachzukommen.

"Aus technologischer Sicht arbeitet SAP gut, aber sie verstehen die Anforderungen des Einkaufsgeschäfts nicht“, sagt der CPO der Arzneimittel-Firma Boehringer Ingelheim. "Sie sollten mit ihrer Software Best Practices verkaufen.“ Und der CPO des Faserherstellers Invista meint: "SAP muss eine Software mit SRM liefern, mit der wir unsere Effizienz verbessern können.“

Themen wie Procure2pay und RfX werden gut angenommen und können keine strategischen Vorteile erzeugen. Dagegen dürfte das Management von Risiko, Wissen, Lieferanten und internen Kunden die Zukunft bestimmen.

CPOs blicken drei Herausforderungen entgegen: Sie müssen Transparenz und Wert schaffen sowie effiziente Risiko-Management-Strukturen aufbauen. Dazu gehört, dass Informationen einheitlich bereitgestellt werden, dass Innovationen eingeführt werden und dass die Lieferkette sicher funktioniert. Offenbar bleibt für die IT-Lösungsanbieter noch genug zu tun.

Für die Studie befragte Brainnet im Auftrag von SAP mehr als 60 Chief Procurement Officers (CPOs) weltweit führender Unternehmen.