Folgen der Coronavirus-Krise

Der Beratermarkt formiert sich neu

11.05.2020 von Sabine  Prohaska
Die Coronavirus-Pandemie trifft die Anbieter im Bildungs- und Beratungsmarkt unterschiedlich hart. Manche haben schon die nötigen Schlüsse aus der digitalen Transformation für ihre Produktentwicklung gezogen, andere müssen diesbezüglich noch die ersten Schritte gehen.
Der Beratermarkt formiert sich angesichts der Coronavirus-Krise neu.
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Wer hätte gedacht, dass sich der Markt so schnell dreht? Noch zur Jahreswende waren die Berater für das Jahr 2020 sehr zuversichtlich. Der Präsident des Verbands der Unternehmensberater (BDU) in Deutschland Ralf Strehlau sagte der Branche für 2020 ein Wachstum von über fünf Prozent voraus. Zudem verkündete er: "Besonders die mittelgroßen Marktteilnehmer erwarten im ersten Halbjahr 2020 gute Rahmenbedingungen für weiteres Wachstum."

Mitte März klang dies in einer Pressemitteilung des BDU schon deutlich nüchterner. Ihr zufolge hielten in einer BDU-Blitzumfrage zwar - "trotz der bereits spürbaren Coronavirus-Auswirkungen" - noch 72 Prozent der Unternehmensberatungen an ihren ursprünglichen Umsatzprognosen für 2020 fest. "Doch gut ein Viertel der Marktteilnehmer erwarten schon einen Umsatzrückgang."

Dessen ungeachtet verbreitet der BDU-Präsident in der Pressemitteilung noch Zuversicht und rechnet sogar zum Beispiel bei solchen Beratungsthemen wie Supply Chain Management und Sanierungsberatung mit einer "Sonderkonjunktur" - was nachvollziehbar ist, wenn die Lieferketten der Unternehmen zusammenbrechen und nicht wenigen aufgrund von Liquiditätsengpässen eine Insolvenz droht.

Berater ist nicht gleich Coach

Dass der BDU-Präsident bezüglich der Auswirkungen der Coronavirus-Krise noch so gelassen ist (oder sich gibt), liegt vermutlich daran: In seinem Verband sind weitgehend die klassischen Unternehmensberatungen zuhause. Und ob zum Beispiel eine Prozessberatung unter der Überschrift "Wachstum und Innovation" oder "Cost-Cutting", also Kosten- und Personaleinsparung, oder gar "Sanierung" ihr Geld verdient, ist für deren Inhaber meist sekundär, denn: "pecunia non olet."

Anders sähen die Befragungsergebnisse vermutlich aus, wenn ein Verband wie der Berufsverband für Training, Beratung und Coaching (BDVT), der Speaker-Verband GSA oder die Vereinigung der Businesstrainer Österreich (VBT), deren Vorstand ich angehöre, ihre Mitglieder befragen würde, die Trainer, Coaches oder Speaker sind. Dann wäre das Stimmungsbild düsterer. Zumindest hatte ich bei meinen zahlreichen Telefonaten in den zurückliegenden zwei Wochen mit Trainern in Österreich, Deutschland und der Schweiz diesen Eindruck. In ihnen berichteten meine Gesprächspartner durchgängig von Auftragsstornierungen und Trainingsverschiebungen - vermutlich auf den "Sankt-Nimmerleins-Tag".

Dabei gewann ich den Eindruck: Je überregionaler die Anbieter agieren und je stärker diese davon leben, dass Menschen sich persönlich treffen und miteinander kommunizieren, umso größer sind die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf ihr Geschäft. So klagten zum Beispiel die Coaches, deren Business primär ein lokales oder regionales ist, eher selten über Auftragsstornierungen. Und wenn doch? Dann primär weil ihr Coachees aktuell Dringlicheres zu tun haben, als sich mit ihrem Coach zu treffen - was nachvollziehbar ist, wenn die Gefahr besteht, dass ihr Unternehmen in eine finanzielle Schieflage gerät.

Trainer spüren die Krise stark

Anders sieht die Situation bei den Trainern und Speakern aus. Sie berichten reihenweise von der Absage von Veranstaltungen und Events. Dies ist ebenfalls nachvollziehbar, denn wenn die Mitarbeiter der Unternehmen, um die Infektionsgefahr zu reduzieren, weitgehend aus dem Homeoffice arbeiten, wäre es geradezu absurd, sie für ein Training zusammenzutrommeln, bei dem sie zum Beispiel professionell zu präsentieren lernen. Ähnlich verhält es sich bei den Vortragsrednern. Wenn keine Veranstaltungen wie Tagungen und Kongresse, Kick-offs und Kundenevents mehr stattfinden, braucht man auch keine Keynote-Speaker.

Besonders hart scheint es jedoch die Beratungs- und Trainingsunternehmen zu treffen, die international agieren. So berichtete mir ein namhaftes Trainingsunternehmen, dessen Spezialität internationale Rollouts von Trainingskonzepten zum Beispiel im Bereich Führung und Vertrieb sind: "Unsere Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen wurden - soweit sie nicht online stattfinden - ausnahmslos storniert. Nicht nur wegen des erhöhten Infektionsrisikos, das mit Fernreisen verbunden ist, sondern auch wegen der (Ein-)Reisebeschränkungen, die inzwischen für viele Länder gelten."

Online-Trainings boomen

Dessen ungeachtet sind die Aussagen des Inhabers des Trainingsinstituts typisch für die aktuelle Situation im Trainings- und Beratungsmarkt: Fast alle Anbieter berichten von einer verstärkten Nachfrage, inwieweit sie ihre Leistung auch netzgestützt erbringen könnten - zum Beispiel in Form von Webinaren, Video- und Telefonkonferenzen oder Online Coachings.

Die geringsten Umsatzeinbußen und geringste Zukunftsangst haben denn auch die Anbieter, die in der Vergangenheit bei ihrer Produktentwicklung bereits recht stark auf Online-Beratungen und Blended-Learning-Angebote setzten, die Präsenzveranstaltungen mit digitalem Lernen verknüpfen. Sie können, wenn ein Kunde einen Auftragsstorno ins Spiel bringt, sagen: "Dann lassen Sie uns die Trainingsmaßnahme doch als Webinar mit einem anschließenden Online-Coaching durchführen. Die nötige Infrastruktur und Erfahrung hierfür haben wir ja schon."

COVID-19-Krise als Chance

Diese Anbieter sehen in der Coronavirus-Krise sogar eine Chance zu wachsen, also bei neuen Kunden einen Fuß in die Tür zu bekommen und mittelfristig deren angestammte Trainingspartner zu verdrängen, denn klar ist für sie: Zwar galt auch schon in den zurückliegenden Jahren die Maxime "Die digitale Transformation der Wirtschaft macht vor der betrieblichen Personalarbeit nicht Halt" - doch manche HR'ler sowie viele Trainer und Berater zogen hieraus nicht die nötigen Schlüsse.

Im Zuge der Pandemie wird sich jedoch auch eine Bewusstseinsänderung bei ihnen und ein Paradigmenwechsel in ihren Unternehmen vollziehen. Die Epidemie wird wie ein Brandbeschleuniger wirken in dem Prozess, der sich eigentlich seit Jahren vollzieht, nämlich dass die Unternehmen bei ihrer Personalarbeit und -entwicklung immer stärker auf Online-Lösungen bzw. Blended-Learning-Konzepte setzen.

Insofern macht die COVID-19-Krise auch die Versäumnisse mancher Beratungs- und Trainingsanbieter beim (Weiter-)Entwickeln ihrer Produkte in der Vergangenheit sichtbar. Und klar ist schon heute: Sie wird zu Strukturveränderungen im Beratungs- und Weiterbildungsmarkt führen. So werden zum Beispiel in naher Zukunft viele etablierte Beratungs- und Traineranbieter mit ganz neuen, innovativen Mitbewerbern zu kämpfen haben, die sie heute noch gar nicht kennen - ähnlich wie dies im Handel und in der Finanzwirtschaft bereits der Fall war. Denn wie lautet ein alter Beraterspruch? In der Krise formiert sich der Markt neu.