Digitalisierung

Der CEO muss führen

18.02.2016 von Christoph Lixenfeld
Was herauskommt, wenn man 40 CEOs und CIOs über Digitalisierung befragt? Die Erkenntnis, dass es kein Selbstläufer ist. Und dass es schnell passieren muss.
Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt, auf den Hamburger IT-Strategietagen.
Foto: Foto Vogt

Vermutlich gibt es aktuell kein Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern, das nicht die digitale Transformation träumt. Fragt sich nur, wie man es angeht und managt. Um das herauszufinden, hat Peter Buxmann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt, 40 Expertengespräche mit CEOs und CIOs geführt.

Die - durchaus bemerkenswerten - Erkenntnisse daraus präsentierte Buxmann auf den Hamburger IT-Strategietagen, gefolgt von einem Praxisbeispiel, nämlich der Einführung einer Cloud-Computing-Lösung beim Life-Science-Unternehmen Merck KGaA.

Aus den Expertengesprächen folgen drei zentrale Learnings. Erstens: Der Treibende bei der Digitalisierung sollte der CEO und nicht der CIO sein, weil Digitalisierung nur dann zu verwertbaren Zielen führt, wenn sie sich an einem vorhandenen oder einem zukünftigen Geschäftsmodell orientiert.

Zweitens: Die Kooperation zwischen CIO und Fachabteilungen bei Digitalisierungsprojekten läuft fast nie konfliktfrei. Und die Leiter der Abteilungen haben oft den schwarzen Peter, gelten als Bremser.

SWOT-Analyse ergibt recht klares Bild

Drittens: Wer digitalisieren will, braucht dazu nicht zwingend einen CDO; es kann auch mit vorhandenen Strukturen funktionieren, und Peter Buxmann warnt davor, einen CDO nur deshalb zu ernennen, weil es gerade Mode ist.

Will man diese drei Punkte zu einer Erkenntnis verdichten, dann lautet sie: The digital agenda ist led from the top.

Nach der Wer-Frage muss natürlich auch die Wie-Frage beantwortet werden. Wie organisiere ich das Mega-Projekt Digitalisierung, das ja im Unternehmensalltag in aller Regel aus Hunderten von Unterprojekten besteht?

Antwort: Indem ich mir zunächst einen Überblick verschaffe und priorisiere. Wo ist Digitalisierung am sinnvollsten? Um das herauszufinden, gilt es, die Stärken und Schwächen in Form einer klassischen SWOT-Analyse zu betrachten. Auch das geschah im Rahmen der beschriebenen Experteninterviews.

Eigene Leute haben Nachholbedarf

Als zentrale Stärke der befragten Organisationen erwiesen sich die vorhandenen, gut funktionierenden analogen Strukturen, die solide IT-Ausstattung und eine offene Kultur, die den Wandel ermöglicht. Zur Schwäche können diese Stärken dann werden, wenn Unternehmen sich für zu gut halten, nicht sehen, dass andere längst weiter sind und sie überholen.

Zentrale Schwäche vulgo Weakness: Die Fachkräfte im eigenen Haus sind nicht so gut vorbereitet auf das Thema Digitalisierung, wie es sich ihre Chefs wünschen würden. Außerdem gibt es immer eine Gruppe von Angestellten, die durch ihr Alter quasi permanent offline sind. Darüber hinaus besteht generell die Gefahr, dass sich Organisationen auf ihren Lorbeeren ausruhen.

Nächste Frage: Wo liegen die größten Chancen durch Digitalisierung? Antwort: In der Menge bereits vorhandener Daten, die - zumindest theoretisch - neue datenbasierte Geschäftsmodelle ermöglichen. Außerdem setzen CEOs und CIOs große Hoffnungen in die Kooperation mit Startups.

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Am häufigsten genannte Bedrohung der Digitalisierung - letzter Punkt der SWOT-Analyse - ist die Gefahr, dass der Wandel aufgrund diverser Hindernisse nicht schnell genug geht beziehungsweise dass Wettbewerber schneller sind.

Kostensenkung schwer zu erreichen

Wenn Entscheider über Geschäftsmodelle mithilfe von Digitalisierung nachdenken, so Prof. Peter Buxmann, dann denken sie am häufigsten über Cloud-Lösungen nach.

Wie solches Nachdenken konkret aussehen kann, das hat Buxmann am Ende seines Vortrags an einem Beispiel verdeutlicht: Dabei geht es um Cloud-Lösungen als Basis der Digitalen Transformation beim Life-Science-Unternehmen Merck KGaA. Ziel dabei ist, eine Reihe von Standards für die Arbeit der etwa 40.000 Mitarbeiter zu etablieren.

Welche Erfahrungen hat Merck dabei gemacht? Peter Buxmann darf beim Beantworten dieser Frage glücklicherweise auch auf Negatives eingehen. Erster Punkt dabei ist die Kostensenkung. Hier wurden die Erwartungen an das Projekt nicht vollständig erfüllt. Hauptursache war, dass die Nutzung von Cloud-Technologien zur Etablierung von Standards komplizierter und vielschichtiger war als gedacht.

Zweites Problem: An vielen Stellen bedeuteten neue Cloud-Lösungen praktisch vor allem, dass eine Schnittstelle mehr verwaltet werden musste; schließlich waren die bereits vorhandenen durch die neu hinzugekommene ja nicht verschwunden.

Auch fühlbare Wettbewerbsvorteile konnte Merck durch die Cloud-Lösungen nicht feststellen. Der Grund ist schlicht: Wettbewerber gehen denselben Weg, eine Abgrenzung ist deshalb sehr schwierig.

Erfüllt haben sich dagegen die Erwartungen an eine schnelle Implementierung und an strategische Flexibilität durch Cloud-Lösungen, vor allem die Integration von neuen Tochterfirmen gelingt mit Hilfe der Cloud besser als ohne.

Auch automatische Updates, die aus der Leitung kommen, klappen wie erwartet einfach und schnell. Die Krux dabei allerdings: An vielen Stellen möchten die Verantwortlichen von Merck gar keinen Automatismus bei den Updates, weil sie lieber selbst "den Daumen drauf" haben wollen auf dem Wie und Wann von Aktualisierungen.

Beim Thema IT-Sicherheit gab es keine einfachen Antworten, das Thema wurde und wird bei Merck intensiv und kontrovers diskutiert. So viel zu Merck.

Startups setzen zum Überholen an

Resümierend beschrieb Peter Buxmann vor allem eine Überzeugung, die CEOs und CIOs im Rahmen der Experteninterviews geäußert haben: Daten sind das neue Öl, allerding nur, wenn man sie zu erfolgreichen Geschäftsmodellen verdichtet. Und diese Geschäftsmodelle gelte es so schnell wie möglich zu entwickeln, so Peter Buxmann, und zwar auch und gerade durch etablierte Unternehmen.

Schaffen sie es nicht, dann werden sie von Startups überholt, während sie selbst sich im Dickicht ihrer jahrzehntealten Systeme verheddern.