Burn-out erkennen und vermeiden

Die 120-Stunden-Arbeitswoche

16.06.2011 von Andrea König
Viele Patienten kommen nach andauernder Überlastung mit einer vier- bis siebenjährigen Vorgeschichte in die Heiligenfeld Kliniken. Viel hängt von Selbstwahrnehmung und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ab, sagt Gesundheitsreferent Robert Jacobsen im Interview.

CIO: Wie oft kommt es vor, dass IT-Führungskräfte von Burn-out betroffen sind?

Jacobsen: Führungs- und Fachkräfte aus dem IT-Bereich machen einen relevanten Teil der Patienten in den Heiligenfeld Kliniken aus. Laut einer aktuellen Studie leiden IT-Fachkräfte bis zu viermal häufiger als der Durchschnitt der deutschen Beschäftigten unter Beschwerden wie chronischer Müdigkeit, Schlafstörungen und Magen-Darm-Problemen. Diese Beschwerden können Frühindikatoren für Burn-out sein.

CIO: Gibt es klassische Probleme, mit denen IT-Experten zu Ihnen kommen?

Robert Jacobsen, Gesundheitsreferent der Heiligenfeld Kliniken, sprach mit CIO.de über Burn-out.
Foto: Heiligenfeld Kliniken

Jacobsen: Viele Fach- und Führungskräfte aus der IT haben im Beruf mit sehr komplexen Aufgabenstellungen zu tun. Wenn sie ein Projekt bearbeiten, verändern sich oft die Anforderungen und es kommen Zusatzaufträge hinzu. Häufig herrscht in diesem Bereich ein hoher Zeitdruck und die Arbeitszeiten sind sehr lang. Oft muss auch am Wochenende gearbeitet werden. Wir hatten in den Kliniken Heiligenfeld einmal einen Patienten aus dieser Branche, der berichtet hat, dass er bis dahin mehr als 120 Stunden pro Woche gearbeitet hat.

CIO: Welche weiteren Probleme sind IT-typisch?

Jacobsen: Viele Mitarbeiter können keine regelmäßigen Pausen machen, sie erleben keine zeitliche Trennung mehr zwischen Arbeit und Privatleben, auch wegen der permanenten Verfügbarkeitserwartung. Dazu kommt, dass zahlreiche ITler in Projekten arbeiten, bei denen sie häufig mit länger andauernden Belastungs- oder Stressphasen konfrontiert sind, verbunden mit hoher Leistungserwartung und starkem Konkurrenzdruck. Auch wenn man berufsbedingt viel reist, stellt das einen Belastungsfaktor dar. Nicht zuletzt ist der IT-Bereich durch einen sehr hohen Fortbildungsbedarf gekennzeichnet. Man muss immer auf dem neuesten Stand bleiben.

CIO: Woran merke ich überhaupt, dass ich Burn-out-gefährdet bin?

Kennzeichen, die auf Burn-out hindeuten können:

- hohe Gereiztheit

- Schlafstörungen

- Niedergeschlagenheit

- Erschöpfung

- Herz-Kreislauf-Probleme

- Desinteresse an Sozialkontakten

- Rückzug aus dem Privatleben

- diffuse Ängste

- Perfektionsstreben

Jacobsen: Das Burn-out-Syndrom kann zu vielen verschiedenen Beschwerden führen, aber nicht alle Symptome kommen bei allen Betroffenen vor. Bestimmte Kennzeichen können auf eine Burn-out-Gefährdung hindeuten: Dazu zählen hohe Gereiztheit, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung und Herz-Kreislauf-Probleme. Auch ein Desinteresse an Sozialkontakten, ein Rückzug aus dem Privatleben, diffuse Ängste und Perfektionsstreben zählen dazu, aber dies ist keine vollständige Liste. Für eine erste Selbsteinschätzung gibt es Tests, die man durchführen kann.

CIO: Wie aussagekräftig ist so ein Test?

Jacobsen: Ein solcher Test kann aber nur ein erster Indikator sein, für eine gesicherte Diagnose sollte immer ein Facharzt oder Psychologe hinzugezogen werden.

Worauf man während der Arbeit achten muss

CIO: Kann man selbst gegensteuern, wenn man betroffen ist?

In der Parkklinik der Heiligenfeld Kliniken gibt es eine Gruppe speziell für betroffene Führungskräfte.
Foto: Heiligenfeld Kliniken

Jacobsen: Es gibt da ganz unterschiedliche Erfahrungen. Viele Patienten kommen mit einer vier- bis siebenjährigen Vorgeschichte zu uns. Da bahnt sich ein schleichender, andauernder Überlastungsprozess über einen längeren Zeitraum an. Ob man dem gegensteuern kann, hängt sehr stark von der Selbstwahrnehmung und der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ab. Eine Überlastung an sich selber zu registrieren ist eine wesentliche Grundvoraussetzung dafür, mit entsprechenden Schritten gegensteuern zu können.

CIO: Was für Schritte sind das?

Jacobsen: Da gibt es kein Patentrezept, aber es gibt eine Reihe von Punkten, die man benennen kann. Wesentlich ist es zum Beispiel, im Alltag mehrmals täglich kleine Pausen zu machen. Es ist erwiesen, dass nach acht, neun oder zehn Stunden Arbeit die Aufmerksamkeit und Konzentration und damit auch die Leistungsfähigkeit sinken.

CIO: Worauf muss man noch während der Arbeit achten?

Jacobsen: Man sollte die Arbeit so organisieren, dass man möglichst längere Zeit unterbrechungsfrei an einer Aufgabe arbeiten kann und nicht immer wieder von einer Aufgabe zur nächsten zu springt. Dies erfordert auch eine Fähigkeit, Grenzen zu setzen und einen klaren Umgang mit "Ad Hoc-Anfragen" zu entwickeln. Hier ist also eine gute Selbstführungskompetenz erforderlich, die im Therapiekonzept der Heiligenfeld Kliniken eine zentrale Rolle einnimmt. Überlastungen lassen sich im IT-Bereich in der Regel aber nur schwer vermeiden. Deshalb sind IT-Experten wirklich gefordert, für arbeitsfreie Zeitfenster zu sorgen und darin Regenerationsquellen außerhalb der Arbeit zu finden.

CIO: Was kann das sein?

Jacobsen: Das kann zum Beispiel das Aktivieren oder Reaktivieren von sozialen Kontakten sein oder auch ein regelmäßiges Hobby. Hilfreich kann es zum Beispiel sein, ein bis zwei feste private Abendtermine in der Woche zu haben, etwa das Volleyballtraining am Mittwoch sollte dann genauso wichtig sein wie berufliche Termine. Alles was einem Spaß macht oder früher einmal Spaß gemacht hat, ist dazu geeignet. Solche aktiven positiven außerberuflichen Tätigkeiten helfen dabei, wieder ein Stück weit zu regenerieren. Auch Entspannungsübungen wie zum Beispiel autogenes Training, Yoga und Qi Gong können Regeneration wirksam unterstützen.

CIO: Welche Rolle spielen Unternehmen?

Jacobsen: Im Rahmen einer aktuellen Studie wurde eine Umfrage unter IT-Spezialisten durchgeführt, bei denen nur 37 Prozent der Antwortgeber sagten, dass sie glauben, ihre Tätigkeit auf Dauer durchhalten zu können. Unternehmen sollten aber ein Interesse an nachhaltiger Mitarbeitergesundheit haben, damit ihnen wertvolle Mitarbeiter längerfristig zur Verfügung stehen. Dazu kommen die Auswirkungen des demographischen Wandels: Laut der gleichen Studie ist der Anteil der über 50-Jährigen in den Unternehmen in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Wenn Unternehmen den entsprechenden Handlungsbedarf erkennen, können Sie Mitarbeitergesundheit mit bestimmten Maßnahmen fördern.

Maßnahmen in Unternehmen gegen Burn-out

CIO: Welche Maßnahmen sind das?

Jacobsen: Dazu gehören zum Beispiel verbindliche Arbeitszeitregelungen, feste Pausenzeiten und eine funktionierende innerbetriebliche Kommunikation. ITler die viel in Projekten arbeiten, fühlen sich häufig nicht ins Team eingebunden. Hier können Firmen für Austauschmöglichkeiten über berufliche Herausforderungen sorgen. Unternehmen können außerdem Schulungen in Stressmanagement anbieten. Letztendlich ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement gefragt.

CIO: Gibt es spezielle Maßnahmen für Führungskräfte?

Jacobsen: Ja, es gibt zum Beispiel Weiterbildungen in denen man lernt, Symptome zu erkennen und wie man mit psychisch belasteten Mitarbeitern adäquat umgehen kann. Auch hier spielt die Selbstführungskompetenz eine wesentliche Rolle, denn sie ist eine sehr wichtige Voraussetzung für die Führung von Mitarbeitern.

Robert Jacobsen ist Gesundheitsreferent bei den Heiligenfeld Kliniken. Die Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen sind eine Klinikgruppe mit dem Schwerpunkt psychosomatischer Behandlung. Die Kliniken beschäftigen über 600 Mitarbeiter und zeichnen sich durch eine werteorientierte Unternehmensphilosophie aus, die neben wirtschaftlichen Werten auch humanistische, soziale, ökologische und spirituelle Werte einbezieht. Die Heiligenfeld Kliniken sind unter anderem auf die Therapie von Burn-out und Depressionen spezialisiert. www.heiligenfeld.de