"Global CIO Executive Program" bei Siemens

Die CIO-Schule

06.10.2003 von Holger Eriksdotter
Mit dem internen Ausbildungsgang "Global CIO Executive Program" will Siemens einen Pool von Managern mit strategischer IT-Kompetenz bilden. Dahinter steht eine Neudefinition der Position von Regional- und Bereichs-CIOs, die in Zukunft auch Prozessmanager und Business Enabler sein sollen.

Jacqueline Volz ist aus Malvern, Pennsylvania, angereist; ihre Mitschüler im "CIO Executive Program" trifft sie in der Siemens-Führungsakademie in Feldafing bei München zum ersten Mal, obwohl sie schon seit drei Monaten mit ihnen zusammenarbeitet. Die bisherigen Meetings fanden ausschließlich in virtuellen Klassenzimmern statt. Volz ist IT-Managerin bei Siemens Medical Solutions, Health-Services, einem Unternehmen für Medizintechnik, das erst seit wenigen Monaten zum Konzern gehört. Ihr Kollege Olgierd Dudko, Projektleiter und Mitarbeiter des CIOs bei der polnischen Siemens Regionalgesellschaft, hat sich von Warschau aufgemacht, um an der einwöchigen Präsenzphase der insgesamt sechsmonatigen Ausbildung teilzunehmen.

Die beiden CIO-Eleven sind offenkundig begeistert. Das liegt nicht nur am Ambiente der Tagungsstätte: "Ich glaube an die neue Rolle des CIOs, wie sie hier vermittelt wird", erklärt die Amerikanerin; Dudko spricht gar von "dramatischen" Erkenntnissen, die er während der vergangenen Tage gewonnen habe. Für ihn steht außer Zweifel, "dass der CIO entscheidend zum Geschäftserfolg beitragen kann - wenn er seine Rolle richtig versteht und ausfüllt". Und darum geht es in dem Programm: Welchen Aufgaben stehen die 14 CIOs der Siemens-Bereiche und die noch größere Zahl der Regional-CIOs gegenüber? Welche Fähigkeiten und welches Verständnis ihrer Funktion brauchen sie, um IT- und BusinessManagement unter einen Hut zu bringen?

Ausbildung für Siemens maßgeschneidert

"In dem Programm geht es weniger um Wissenstransfer, sondern eher darum, ein Verständnis der künftigen Rolle des CIOs im Unternehmen zu vermitteln", sagt Martina Girkens, als Leiterin der Personalentwicklung für das CIO-Programm verantwortlich. Zusammen mit der IMD Business School (International Institute of Management Development) aus Lausanne ist der Ausbildungsgang für die Siemens-Belange maßgeschneidert worden. Er besteht aus Online-Meetings, Online-Gruppenarbeit, einer einwöchigen Präsenzphase und einer zweitägigen Abschlussveranstaltung. "Wir haben uns vorher bei verschiedenen Business Schools nach Konzepten erkundigt. Aber da gab es nichts, was unseren Anforderungen entsprochen hätte", so Girkens. Nach Anfragen beim MIT, der London Business School und der Columbia University fiel die Wahl auf die Schweizer. Entweder zu technik-lastig oder zu sehr auf reines Management ausgerichtet präsentierte sich das Angebot der anderen Anbieter.

Die Hürden für die Teilnehmer sind hoch, die Zusammensetzung der Gruppe ist keineswegs homogen: Neben gestandenen CIOs sind es Anwärter auf diese Position, die hier eine Vorstellung von ihren künftigen Aufgaben entwickeln sollen. "Befruchtend" nennt Girkens die Atmosphäre, in der alte Hasen und begeisterungsfähige Jungmanager zusammenarbeiten und dabei - so das Kalkül - nebenbei die Basis für ein Networking schaffen. Garantien gibt es jedoch nicht. "Nicht jeder Teilnehmer wird CIO", erklärt Girkens. "Gerade für die jungen Leute hat die Veranstaltung auch Assessment-Charakter." Kandidaten werden von den Bereichs-CIOs oder der zentralen Personalentwicklung identifiziert. Zum Zug kommen ausschließlich High Potentials, die bereits über Führungserfahrung und Methodenwissen verfügen.

Es sei nicht leicht, Führungskräfte für IT-Strategie zu begeistern, räumt Personalentwicklerin Girkens ein. Nicht selten fürchteten die Kandidaten, mit der Spezialisierung auf IT-Fragen in eine Karrieresackgasse zu geraten. Die CIO-Schule diene deshalb auch dazu, Business-Manager von der Attraktivität einer CIO-Position zu überzeugen. Kein Wunder also, dass die meisten der 27 Teilnehmer des ersten Ausbildungsgangs aus dem IT-Kernbereich kommen. Aber schon beim nächsten Lehrgang, der voraussichtlich im Januar mit etwa 30 Teilnehmern startet, rechnet Girkens mit deutlich mehr Business-Managern.

Verantwortungszuwachs für CIOs

"Wir haben die Rolle der CIOs neu definiert", sagt Girkens. Sein Aufgabenfeld besteht danach aus drei Funktionen: Als "Strategic Business Partner" ist der CIO im Managementteam Ansprechpartner für strategische Fragen. Als "Business Change Enabler" ist er für Prozesse, Informationsinfrastruktur und Change Management zuständig. In der Rolle des "Manager of IT-Resources and Operations" schließlich liegen IT-Governance, Portfolio Management, IT-Architektur und die Personalverantwortung für die IT-Mitarbeiter in seiner Hand.

Auch die Prozessverantwortung, die vorher breit verteilt war, fällt jetzt allein dem CIO zu. Damit, so ist sich Girkens sicher, seien CIO-Vakanzen künftig auch für Business-Manager reizvoll. Es gibt deshalb die Möglichkeit, sich für einen begrenzten Zeitraum, etwa als Regional-CIO im Ausland, mit der entsprechenden Tätigkeit vertraut zu machen; der Weg für eine Rückkehr ins Business-Management bleibt dabei garantiert offen.

Aber welchen Einfluss und welche strategische Entscheidungsgewalt besitzt ein Regional- oder Bereichs-CIO tatsächlich, wenn er lediglich die Vorgaben der Zentrale umsetzt? "Unsere IT ist dezentral organisiert - manche unserer Bereiche sind größer als andere Großunternehmen mit eigenem CIO", sagt Girkens. Zudem sei eine durchgehende Standardisierung schon deshalb nicht möglich, weil die Bereiche zu unterschiedlich seien: Vom Großanlagenbau bis zur Telekommunikation reiche das Spektrum; und auch die Anforderungen der internationalen Töchter in einem weltweit operierenden Unternehmen ließen sich nicht per Dekret organisieren, sondern bedürften regionaler strategischer IT-Kompetenz.

Das Programm der einwöchigen Präsenzphase des ersten Kurses war anspruchsvoll und dicht gedrängt. Täglich von halb neun bis viertel vor sieben drückten die CIOs in spe die Schulbank. Neben den Dozenten der IMD, die theoretischen Background und Fallstudien vorstellten, fand sich auch Fröschl zu einer Diskussion ein. Ex-ABB-CIO Jim Barrington, jetzt Chief Information Operations Officer beim schweizerischen Pharmakonzern Novartis, sprach über seine Erfahrungen und diskutierte mit den Teilnehmern über Rollenverständnis und Erfolgsfaktoren.

Bis zur Abschlussveranstaltung im November werden die Teilnehmer sich wieder online treffen. Basis dafür ist die Online-Plattform Centra. Sie bietet die Möglichkeit zur Gruppenarbeit an Dokumenten, Diagrammen, Präsentationen und Spreadsheets sowie zum verbalen Austausch via IP-Konferenz. Dennoch sind die internationalen Treffen nicht einfach: "Die Online-Meetings finden meist statt, wenn in Europa Nachmittag ist. Für mich ist das eine Zeit, wo ich eigentlich andere dringende Aufgaben an meinem Arbeitsplatz erledigen müsste", kritisiert die Amerikanerin Volz. Trotzdem nimmt sie regelmäßig an den virtuellen Veranstaltungen teil.

Dieses Problem hat Guido von der Heidt nicht. Er ist Mitarbeiter der zentralen CIO-Abteilung von Siemens am Münchener Flughafen. Der promovierte Mathematiker und Informationssicherheits-Spezialist ist mit dem CIO-Programm zufrieden und kann sich nach anfänglicher Skepsis eine Position als CIO im Konzern vorstellen: "Eine Funktion als reiner IT-Manager ist nicht mein erster Wunsch; aber als CIO mit strategischen Aufgaben und Einfluss auf das Business wäre das eine Herausforderung."