Oracle gegen Usedsoft

Die Folgen des EuGH-Urteils für IT-Chefs

03.07.2012 von Nicolas Zeitler
Der Europäische Gerichtshof hat grünes Licht für den Handel mit Gebraucht-Software gegeben. Lizenzen aufzuteilen ist aber nicht erlaubt.
Henry Taubald, IT-Chef von s. Oliver, nutzt schon heute Gebraucht-Lizenzen und begrüßt die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
Foto: s. Oliver

Anwender von Gebraucht-Software haben auf diesen Tag gewartet: Firmen dürfen gebrauchte Software-Lizenzen weiterverkaufen. Das hat der Europäische EuGH in seiner Entscheidung deutlich gemacht. Ein Hersteller von Software kann demnach nicht untersagen, dass ein Kunde eine gebrauchte Lizenz weiter verkauft und damit einem anderen Anwender ermöglicht, das Programm selbst übers Internet herunterzuladen und zu nutzen.

Für Henry Taubald von s. Oliver, der als Managing Director Operations für die IT bei dem Modehersteller zuständig ist, eine gute Entscheidung. Taubald ist bekennender Nutzer von Gebraucht-Software. Das Urteil nehme Herstellern die Möglichkeit, Druck auf Kunden auszuüben. "Auch in Zukunft werde ich, wann immer es möglich ist, die Nutzung gebrauchter Software als ersten Schritt prüfen", sagt Taubald auf Anfrage von CIO.de. Er berichtet, dass für einige seiner Kollegen die bisherige rechtliche Unsicherheit "ganz sicher eine schwer überwindbare Hürde" gewesen sei. Dieses Hindernis sei mit der Entscheidung nun aus dem Weg geräumt.

Tatsächlich erhöht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Handel mit gebrauchten Software-Lizenzen für CIOs die Rechtssicherheit - IT-Entscheider, die nicht mehr benötigte Software-Lizenzen weiter verkaufen oder Second-Hand-Software nutzen wollen, haben allerdings eine Einschränkung zu beachten.

Oracle verliert Streit um Erschöpfungsgrundsatz

Streitpunkt des Verfahrens war der sogenannte Erschöpfungsgrundsatz. Der ist Teil der EU-Richtlinie zum Schutz von Computer-Programmen und besagt, dass ein Software-Hersteller mit dem erstmaligen Verkauf einer Software-Lizenz sein Monopol auf diese Lizenz verliert. Er kann also nicht verbieten, dass der Käufer sie weiter verkauft. Oracle hatte argumentiert, dieser Grundsatz gelte nicht für Lizenzen auf Software, die Anwender übers Internet herunterladen.

Dieser Ansicht widersprechen die Richter. Der Erschöpfungsgrundsatz gelte nicht nur für Software, die auf körperlichen Datenträgern wie CD-ROM oder DVD verbreitet werden, sondern auch für Download-Software. Sogar wenn Lizenzvereinbarungen eine weitere Übertragung einer Lizenz ausdrücklich ausschließen, kann der Rechteinhaber laut dem Urteil den Weiterverkauf nicht verbieten.

Matthias Orthwein von der Kanzlei SKW Schwarz sieht in dem Urteil des EuGH einen "Pyrrhus-Sieg" für Usedsoft.
Foto: SKW Schwarz

"Damit, dass die Brüsseler Richter beim Erschöpfungsgrundsatz keinen Unterschied machen zwischen Download-Software und Programmen auf einem Datenträger, werfen Sie eine Vielzahl von Urteilen deutscher Obergerichte aus den letzten Jahren über den Haufen, folgen ihnen und dem Bundesgerichtshof allerdings in der Frage, dass vollständige Lizenzpakete nicht beliebig durch den Nutzer aufgespalten werden dürfen", sagt Rechtsanwalt Matthias Orthwein, Experte für IT-Recht und Partner bei der Wirtschaftsrechtskanzlei SKW Schwarz.

Weiterverkauf von Software mit Updates gebilligt

Mit der Entscheidung gingen die Richter sogar weiter als der EuGH-Generalanwalt in seinem Schlussantrag, sagt Orthwein: "Nach der Entscheidung darf ich als Nutzer auch die Updates mitnehmen." Das Urteil besagt, dass ein Anwender eine einmal erworbene Kopie auch dann weiterverkaufen darf, wenn das Programm mittlerweile vom Hersteller geändert oder mit Updates versehen wurde.

Wie Orthwein sagt, machen die Richter allerdings eine Einschränkung für den Handel mit gebrauchten Lizenzen: Hat ein Unternehmen eine Lizenz gekauft für eine größere Zahl an Nutzern als benötigt, darf es die Lizenz nicht aufteilen und Teile davon an andere weiter verkaufen. Zudem muss der Erstkäufer im Moment des Weiterverkaufs die Kopie der Download-Software auf seinem eigenen Rechner unbrauchbar machen.

Wegen des Verbots, Lizenzen aufzuteilen, spricht Orthwein von einem "Pyrrhus-Sieg für Usedsoft". Denn attraktiv sei es für Unternehmen ja gerade, einen Teil der Lizenzen einer einmal gekauften Software wieder zu verkaufen, wenn statt beispielsweise anfänglich 500 nunmehr nur noch 200 Mitarbeiter mit dem Programm arbeiten. Da dies nicht möglich sein, bleibe das Geschäftsmodell für den Handel mit Gebrauchtlizenzen beschränkt.

Das Unternehmen Usedsoft, das sich als klarer Sieger in dem Rechtsstreit sieht, beurteilt diesen Teil der Entscheidung im Hinblick auf sein eigenes Geschäft weniger pessimistisch: Eine Aufspaltung von Client-Server-Lizenzen, bei dem Programme auf einem Server liegen und von einer bestimmten Anzahl von Anwendern genutzt werden, wäre "in der Tat widersinnig". Allerdings beziehe sich das Aufspaltungsverbot nicht auf Volumenlizenzen, "wo mehrere einzelne Programme lediglich in einem Paket zusammen verkauft und auch einzeln auf den jeweiligen Arbeitsplatz-Computern abgespeichert werden".

Usedsoft-Chef Peter Schneider spricht von einem "Meilenstein für den freien Handel".
Foto: Usedsoft

Grundsätzlich sehe man in dem Urteil einen "Meilenstein für den freien Handel in Europa", lässt sich Peter Schneider, Geschäftsführer und Inhaber von Usedsoft, zitieren. Die Entscheidung ermögliche freien Wettbewerb im Software-Geschäft. "Das ist vor allem eine gute Nachricht für die Kunden, die nun endlich ohne Einschränkungen von niedrigeren Software-Preisen profitieren können."

Oracle hofft auf herstellerfreundliche Gesetzgebung

Oracle sieht das wenig überraschend anders. In einer ersten Reaktion des Unternehmens ist die Rede von einem "überraschenden Urteil", das den Wert von "Innovation und geistigem Eigentum" missachte. Anwältin Truiken Heydn, die den Software-Hersteller vor dem Europäischen Gerichtshof in der Sache vertritt, erwartet nach eigener Aussage, dass EU-Mitgliedstaaten und Kommission durch künftige Gesetzgebung stärker den Interessen der Hersteller entgegen kommen.

Ob diese Erwartung eintritt, ist offen. Bis jetzt sieht es so aus, als ob Verkäufer wie Nutzer gebrauchter Lizenzen tatsächlich rechtlich auf weniger wackeligem Boden stehen als bisher. Laut Anwalt Orthwein habe unter Software-Kunden bisher Verunsicherung geherrscht über die Zulässigkeit von Geschäftsmodellen rund um Gebraucht-Software. Der Bundesgerichtshof, der die Frage an den EuGH mit Sitz in Luxemburg verwiesen hatte und an den sie nun zurückgeht, werde höchstwahrscheinlich dieselbe Richtung einschlagen wie die EuGH-Richter, sagt Orthwein - womit Anwender künftig wüssten, woran sie bei Gebraucht-Software rechtlich sind.

Aus Sicht von Oracle dagegen agieren Anwender weiterhin auf vermintem Terrain, wenn sie Gebraucht-Software nutzen. Das Unternehmen schreibt, es müsse verhindert werden, "dass Anwendern unnötige Risiken durch Software entstehen, die sie über einen Zweitvertriebsweg erwerben, ohne sicher zu wissen, ob die Lizenzen durch den Erstanwender rechtlich einwandfrei erworben wurden."

Beim IT-Branchenverband Bitkom begrüßt man einerseits das Ende der Rechtsunsicherheit, befürchtet aber gleichzeitig ähnlich wie Oracle, dass das Urteil digitale Geschäftsmodelle in Frage stelle. "Bei einem unkontrollierten Weiterverkauf kann aus einer legalen Kopie schnell eine Vielzahl illegaler Kopien werden", sagt Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Dietmar Neugebauer von der Deutschen Oracle-Anwendergruppe ist zufrieden mit der Entscheidung des EuGH.
Foto: BMW Group

Bei der Deutschen Oracle-Anwendergruppe (DOAG) begrüßt man die EuGH-Entscheidung. Das Urteil stärke die Rechte der Kunden. "Der aus unserer Sicht komische Zustand der Ungleichbehandlung von Software auf einem Datenträger und heruntergeladenen Programmen wurde behoben", sagt der stellvertretende DOAG-Vorsitzende Michael Paege.

Fraglich: Wartungsverträge für Gebraucht-Käufer

Was die praktischen Konsequenzen für die Anwender angeht, zeigt sich die Anwendervertretung allerdings noch leicht skeptisch. Neue Rechtsunsicherheit könne sich ergeben, weil noch unklar sei, ob Käufer gebrauchter Lizenzen künftig mit Oracle Wartungsverträge abschließen könnten, gibt DOAG-Chef Dietmar Neugebauer zu bedenken. Wie Oracle auf die Entscheidung reagieren werde, dazu habe man noch keine Informationen bekommen, sagt Neugebauer.