Debeka führt Open-Source-System ein

Die Linux-Versicherung

06.05.2002 von Patrick Goltzsch
Mehr als 3000 Terminals in den Zweigstellen der Debeka mussten im letzten Jahr ausgetauscht werden. Die Versicherungs- und Bauspargruppe setzt auf ein schlankes Linux-System und gehört damit zu den Vorreitern in der Branche.

Was die IT-Abteilung der Debeka ihren Kollegen im letzten Jahr ankündigte, klang nach einem Artikel aus dem Ikea-Regal: KNUT. Den Mitarbeitern wurde mit dem simplen Namen unkomplizierte Technik signalisiert, während die IT-Fachleute an die gewöhnungsbedürftige Tradition der Open-Source-Szene anknüpften: rekursive, also sich selbst enthaltende Abkürzungen. Statt von Linux sprechen die Open-Source-Jünger von GNU ("GNU's not Unix"). Und bei der Debeka steht jetzt auf jedem Schreibtisch ein "KNUT Neues universelles Terminal".

Die Debeka gehört zu den zehn größten Versicherungsgesellschaften in Deutschland. 230 Geschäftsstellen und etwa 900 Servicebüros verteilen sich über die Republik. Doch vor zwei Jahren zeichnete sich ab, dass Hardware und Netzwerk, mit dem die Außenstellen angebunden waren, rund-erneuert werden mussten. Denn bis dahin kommunizierten Terminals des französischen Herstellers Bull in einem vollständig zentralisierten Netz über das alte Postnetz Datex-P mit dem Großrechner in Koblenz.

Doch nach teilweise zehnjährigem Einsatz waren die Maschinen veraltet, neue nicht mehr lieferbar. Auch die ersatzweise beschafften DOS-Rechner entsprachen nicht dem Stand der Technik. Damit stellte sich die Aufgabe, etwa 3100 Arbeitsplätze neu auszustatten. Gleichzeitig sollte das konzernweite Netz auf ISDN umgestellt werden, da Datex-P zu langsam und unflexibel geworden war.

Die Anforderungen an die neue Lösung standen bald fest: Den Benutzern sollte eine zeitgemäße grafische Oberfläche geboten werden, auf der alle nötigen Anwendungen laufen. Dabei galt es, den Mitarbeitern in den Filialen Programme und Daten gewissermaßen aus der Steckdose zu liefern. Die zentrale Speicherung von Daten und Anwendungen in Koblenz wollte die IT-Abteilung beibehalten. Außerdem strebte sie nach Plattformunabhängigkeit für Anwendungen und offenen Standards, um sich die Freiheit bei der Auswahl von Software zu erhalten.

In puncto Hardware fiel die Entscheidung auf einen gängigen PC: Im Small Form Factor von Dell stecken keine Verschleißteile wie CD-ROM- oder Diskettenlaufwerk. Das Vorhaben, zugunsten von Flashcards auch auf die Festplatte zu verzichten, ließ die IT-Abteilung aus Kostengründen wieder fallen. Als Bonbon für die Mitarbeiter kommt ein Flachbildschirm von LG zum Einsatz, der reparaturfreundlicher ist als gängige Röhrenmonitore.

Für das Betriebssystem zogen die Projektleiter Axel Meyer und Michael Kulisch verschiedene Lösungen in Erwägung. Sie diskutierten abgespeckte Versionen von Windows 2000 oder NT, aber auch Linux-spezifische Angebote von IBM und Siemens. Im Februar letzten Jahres machte schließlich der Nürnberger Linux-Distributor Suse das Rennen. Innerhalb von fünf Tagen stellte die St. Augustiner Dependance einen Prototypen vor, der ohne die IBM- und Siemens-eigenen Erweiterungen auskam. Suse passte die eigene umfangreiche Linux-Variante den Anforderungen der Debeka an und beschränkte den Platzbedarf so auf ein 20stel des kompletten Systems.

Aufgeweckte Rechner

Noch während des Evaluationsprozesses stellte sich heraus, dass sich die zentrale Frage der Administration mit Bordmitteln lösen lassen würde. Die Software Rsync aus dem Fundus der Linux-Distribution sorgt dafür, dass alle Anwendungen und Dateien auf dem in Koblenz betreuten Zentralrechner automatisch auf alle anderen Clients in den Außenstellen übertragen werden. Dieser dient also als Referenzrechner für alle Client-Computer der Debeka. Kommt es hier zu Änderungen, gleicht das Programm den Stand ab.

Dank dieser Konstruktion muss in Koblenz nur ein einziger Rechner gewartet werden, und die Außenstellen verfügen automatisch über ein Abbild. Eine solche Lösung wäre mit Windows nicht möglich gewesen. Da sich die entfernten Rechner über das Firmennetzwerk "wecken" lassen, können die Änderungen nachts auf einen Rechner in jeder Zweigstelle übertragen werden; das spart Bandbreite. Die Clients vor Ort bedienen sich dann der lokalen Referenz für ihren Abgleich.

Über den Verzeichnisdienst LDAP in der Novell-Variante realisierte die Debeka weitere elegante Lösungen. Das Verzeichnis enthält nicht nur Informationen über die einzelnen Außenstellen; die Clients entnehmen ihm auch etwa regional abweichende Konfigurationsanweisungen und tragen beim Hochfahren Auskünfte über ihre eigene Hardware-Ausstattung in das LDAP-Verzeichnis ein, was eine stets aktuelle Inventarliste garantiert.

Suse hat die Erfahrungen aus dem Projekt genutzt und das Debeka-System als eigenes Produkt positioniert. Unter der Bezeichnung Smart Client Framework bietet es der Distributor nun auch anderen Kunden an.

Vorstand schnell überzeugt

Mit der Entscheidung für Linux einen in Deutschland bislang ungewöhnlichen Weg einzuschlagen hat den Projektleitern "einige schlaflose Nächte bereitet", so Meyer. Doch die IT-Abteilung überzeugte den Vorstand: Plattformunabhängigkeit, offene Standards und leichte Administration galten auch hier als gute Argumente.

Die Umsetzung des Projekts begann im April 2001, als der Netzwerkspezialist ADA das Rollout übernahm. Nach und nach wurde die neue Technik in den einzelnen Außenstellen eingerichtet und Datex-P vorwiegend durch ISDN ersetzt. Nach einem Jahr Laufzeit wurde die Umstellung jetzt im April abgeschlossen, und das Projekt hat sich finanziell bewährt. Mehr als zehn Prozent der ursprünglich veranschlagten Kosten konnten gespart werden. Hier machten sich die im letzten Jahr stark sinkenden Hardware-Preise und der Kampf unter den großen Anbietern bemerkbar.

Auf der Software-Seite entfielen zwar die Lizenzgebühren, doch die mussten für selbst entwickelte Java-Programme aufgewendet werden. Karl Heinz Toussaint, Leiter der Hauptabteilung IT-Systeme, sieht sich dennoch in der Entscheidung für die plattformunabhängigen Java-Programme bestätigt und verweist auf die umstrittene Lizenzpolitik von Microsoft. Dort müssen Kunden künftig alle Versionssprünge mitmachen.

Nach einem halben Tag eingearbeitet

In den Außenstellen kommt KNUT gut an. "Die meisten haben sich gefreut, dass die Anwendungen schneller liefen", sagt Toussaint. "Dabei war unser Ziel nur, die Geschwindigkeit beibehalten zu können." Im Hamburger Kundenzentrum bestätigen die Mitarbeiter den Eindruck der Zentrale. Bereitwillig wird das Terminal vorgeführt, und beim Starten füllt sich der Bildschirm mit der Linux-typischen Auskunftsfreudigkeit. "Ach, das ist jetzt Linux!", lautet der Kommentar der Mitarbeiter in den Zweigstellen.

Ohne Eingriff des Anwenders baut sich die grafische Benutzeroberfläche auf, der Browser startet und eröffnet den Zugriff auf die Programme. Ein halber Tag Schulung nur sei nötig gewesen, nachdem die Terminals im Januar installiert worden waren. Der Umgang mit der Maus musste nach Jahren auf der kargen Textoberfläche geübt werden.

In den nächsten Monaten stehen noch Erweiterungen für KNUT an. Sobald die Entscheidung für eine Nutzerverwaltung gefallen ist, sollen die Funktionalitäten der Terminals mit E-Mail- und Office-Anwendungen ausgebaut werden. Im Gespräch ist derzeit das Produkt One Webtop von Sun Microsystems.

Es mag ungewöhnlich sein für eine Firma, so freimütig über ihre IT-Infrastruktur und die eingesetzten Lösungen Auskunft zu geben. "Aber", so Toussaint, "es handelt sich um Open Source, und deshalb informieren wir gern." Die Projektleiter Meyer und Kulisch gingen noch ein Stück weiter: Zusammen mit dem Kollegen von Suse skizzierten sie in der März-Ausgabe der Zeitschrift iX in einen technischen Überblick auch die im Laufe des Projekts aufgetretenen Probleme. Andere können sich nun daran orientieren, es den eigenen Bedürfnissen anpassen und damit wiederum das Spektrum der möglichen Einsatzszenarien erweitern. So entsteht der für Open Source typische, sich selbst verstärkende Regelkreis.