Unternehmen suchen die Mischung aus Kontrolle und Freiräumen

Die Paradoxien des Talent-Managements

12.09.2007 von Werner Kurzlechner
Talente brauchen Freiräume, um ihr Potenzial entfalten zu können. Viele Firmen treiben die Bedürfnisse begabter Mitarbeiter aber in eine Zwickmühle: Selbst wenn sie es wollen, können sie eingeschliffene Hierarchien und Steuerungsmuster nicht einfach so aufgeben. Je komplexer und dynamischer aber ihr Umfeld ist, desto schneller sollten sie es den Beratern von Detecon zu Folge versuchen.
Nach diesem Schema unterscheidet Detecon Personal- von Talent-Management.

Detecon befasst sich zwar intensiv mit Talent-Management in allen Facetten. Den einen Königsweg können sie den Unternehmen indes auch nicht weisen. Schließlich agieren diese in vielerlei Hinsicht zwischen zwei Polen - und wohin sie sich bewegen sollten, hängt von ihrer individuellen Situation ab. Eine Faustregel stellen die Berater allerdings auf: Wer ein dynamisches und komplexes Gelände beackert, muss seinen talentierten Jung-Piloten auch einmal freie Fahrt gewähren.

Bereits in früheren Studien befasste sich Detecon mit diesem Problem und entwickelte ein Schema, in das die entscheidenden Faktoren integriert sind. Jetzt machten sie den Praxis-Test und verglichen den Status quo in den Firmen mit dem eigenen Modell. Gezielt wählten die Berater ein Dutzend Unternehmen aus den dynamischen Branchen Manufacturing, Verkehr, Handel und sonstiges verarbeitendes Gewerbe aus.

In manchen Fällen fällt das Urteil ernüchternd aus: "Das Top-Management priorisiert andere Themen und zeigt in Sachen Talent-Management wenig Commitment", schreiben die Verfasser beispielsweise über ein Unternehmen aus dem Bereich Verkehr. Ein tradiertes Hierarchie-Verständnis, Stress und Kostendruck sind nur einige Gründe, die die Anstrengungen um den begabten Mitarbeiternachwuchs untergraben. Um die Ergebnisse der Befragung einzuordnen, gilt es jedoch erst einmal das Analyse-Schema zu kennen.

Insbesondere eine Unterscheidung leitet die Studie: Klassische Mitarbeiter, die mit Hilfe ihres Wissens erlernbare Tätigkeiten ausüben, lassen sich üblicherweise von Seiten des Managements mit klaren Vorgaben und Kontrollen steuern. Die zentrale Personal-Abteilung kann die Fertigkeiten dieser Mitarbeiter mit Skill-Profilen, Check-Listen und ähnlichen Instrumenten verwalten. Es herrscht eine hierarchie-basierte Verhaltens-Kultur vor: Es ist klar geregelt, was die Angestellten zu tun haben.

In Talenten schlummert demgegenüber das Potenzial, durch Begabung, Kreativität und Können auch komplexe Aufgaben zu meistern. Sie benötigen dafür allerdings eine längere Leine, müssen erkannt, gefördert und geführt werden. Die übliche Steuerung versagt hier. Vorgesetzte überzeugen dadurch, dass sie selbst Talent vorleben. Gefragt ist eine Werte-Kultur, die den Talenten Platz für eigene Entscheidungen lässt.

Viel Luft nach oben

Vor diesem Hintergrund fragte Detecon die Praxis in den Firmen ab und stellte viel Luft nach oben fest. Lediglich acht Prozent setzen überwiegend komplexe Instrumente ein, ein Drittel vertraut vor allem auf triviale Instrumente. Die große Mehrheit bevorzugt eine Mischform - was durchaus gute Gründe haben kann. Zum einen lässt sich avanciertes Talent-Management den eingefahrenen Strukturen nicht einfach überstülpen, zum anderen bestehen in vielen Unternehmen dafür ungeeignete Bereiche.

Immerhin erweisen sich die Befragten in ihrer Selbsteinschätzung durchaus als die Vorreiter, die sie ihrer Branchen-Zugehörigkeit nach sein sollten. Drei Viertel sehen sich als "Führende", nur ein Viertel als "Steuernde". Knapp 60 Prozent haben ihr Talent-Management dezentral organisiert, in zwei Drittel der Firmen dominiert tendenziell eine förderliche Werte-Kultur.

Detecon beschreibt die vorherrschenden Strategien in einem dreistufigen Modell: In weniger agilen und komplexen Umgebungen reicht die klassische Personalentwicklung aus, ein Talent-Management-System krönt die Bemühungen am anderen Ende. Strategisches Management von Human-Ressourcen liegt als Hybrid-Form dazwischen.

Eine neue Stufe lässt sich nur mit Geduld erklimmen. Ein tragfähiges Talent-Management sei nicht mechanisch einführbar, weil sich weiche Bausteine wie Kultur und Führung eben nicht einfach anordnen lassen, heißt es in der Studie.

Für den Weg von Stufe Eins zu Stufe Zwei rät Detecon, an ausgewählten Stellen wie etwa Entwicklungsprojekten zu beginnen und ausgewählte Führungskräfte als Treiber einzusetzen. Dezentralisierung von der Personalabteilung hin zu den Führungskräften ist ebenfalls unabdingbar. Die höchste Stufe erfordert systematische Organisation und Kommunikation auch in Talent-Netzwerken. Hilfreich sind flächendeckendes Empowerment der Mitarbeiter und auf die Zielgruppe zugeschnittene Anreize.

Detecon analysierte für "Talent-Management. Wie Unternehmen in dynamischen Umfeldern Talente fördern und nutzen“ die Situation in zwölf Firmen.