IT-Organisation

Die passende Strategie für IT-Industrialisierung

29.06.2011 von Andreas Dietze
Büro- und Prozess-IT zu verbinden, bringt Effizienz. Bei Applikationen dagegen ist es meist nicht ideal, die Verantwortung zentral zu bündeln, meint Andreas Dietze von Roland Berger in seiner Kolumne.
Andreas Dietze ist Partner im Kompetenzzentrum InfoCom bei Roland Berger Strategy Consultants.
Foto: Roland Berger

Firmen verfügen oftmals über eine gewachsene und bewährte Form der Unternehmensführung, die insbesondere die Eigenverantwortung und das unternehmerische Handeln der einzelnen Geschäftsbereiche fördert. Im Einklang mit dieser Führungsphilosophie sollte die IT das unternehmerische Handeln unterstützen. Die große Herausforderung dabei: eine optimale Balance zwischen Flexibilität und Kosteneffizienz der IT-Leistungen zu finden.

In der Praxis haben Unternehmen diese Herausforderung unterschiedlich gelöst. Bis dato scheint es kein einheitliches IT-Organisations- und Governance-Modell zu geben, das alle Unternehmen gleichermaßen akzeptieren und implementieren. Allerdings sind in der Praxis bestimmte Muster erkennbar, die ermöglichen, eine Balance zwischen Flexibilität und Kosteneffizienz im IT-Bereich zu erreichen.

Prozess-Industrialisierung bei Infrastruktur ein Muss

Auf der Ebene der IT-Infrastruktur ist die Industrialisierung der Prozesse ein Muss. Dies gilt insbesondere für IT-Servicedomänen wie Service Desk, Desktop und verteilte Infrastruktur, Rechenzentrum sowie Kommunikation. Viele Unternehmen haben die Verantwortung für Servicedefinition und -erbringung bereits erfolgreich gebündelt. Die Industrialisierung der IT-Infrastruktur bezieht sich daher oft auf weitere Maßnahmen:

  1. Definition eines einheitlichen IT-Service-Katalogs - inklusive Servicebeschreibung sowie Service Level Agreements (SLA)

  2. Standardisierung und weitgehende Automatisierung der Lieferprozesse je IT-Service

  3. Einführung eines mehrstufigen IT-Liefermodells, das beispielsweise aus globalen und lokalen IT-Produktionszentren besteht

  4. Selektive Nutzung von Niedriglohnstandorten (near-shoring, far-shoring) für globale IT-Produktionszentren

Die Industrialisierung schafft die Basis, innovative IT-Lösungen im Unternehmen ganzheitlich zu implementieren. Industrialisierte IT-Service-Konzepte gehen daher oftmals einher mit einem Prozess zur systematischen Identifikation und Bewertung von IT-Service-Innovationen. Dazu gehören zum Beispiel Strategien zur Anrufvermeidung im Service Desk sowie IP-basierte Dienste am Arbeitsplatz. Im Rechenzentrum spielen die Virtualisierung in Verbindung mit Blade-Server-Konzepten und die Einführung von Deduplizierungslösungen in der Speicherverwaltung eine wichtige Rolle.

Verantwortung für Büro-IT und Prozess-IT bündeln

Zur Industrialisierung der Infrastruktur rät Roland Berger zu einem IT-Service-Katalog.
Foto: Roland Berger

Unternehmen nutzen außerdem ihren industrialisierten IT-Infrastrukturbetrieb, um die eigene Wertschöpfungstiefe auf den Prüfstand zu stellen. Anstatt für ein "volles Outsourcing" zu plädieren, entscheiden sich Unternehmen gerne für eine selektive Fremdvergabe: Lediglich einzelne Tätigkeiten aus den IT-Produktionszentren werden extern vergeben. Dabei geht es zum Beispiel um Vor-Ort-Tätigkeiten wie Break-fix und IMAC/D, die Image-Erzeugung für den Desktop sowie Innovationstechnologien.

Eher zurückhaltend zeigen sich Firmen, wenn es darum geht, die Verantwortung für Prozess-IT und Büro-IT zu bündeln. Der Begriff "Prozess-IT" bezieht sich auf den Einsatz von IT im Rahmen der Anlagen- und Prozesssteuerung wie zum Beispiel in der Produktion. Historisch sind Büro-IT und Prozess-IT getrennte Welten; die Konvergenz der Technologien wie zum Beispiel bei Hardware und Betriebssystemen ermöglicht aber stärkere Skaleneffekte. Außerdem nehmen die Anforderungen an integrierte Informationsflüsse - etwa im Zuge der Warenflussoptimierung und des Supply Chain Management - im Unternehmen stetig zu.

IT-Applikationen - Geschäftsmodell im Vordergrund

Auf der Ebene der IT-Applikationen spielt der geschäftliche Kontext des Unternehmens eine wichtigere Rolle als bei der IT-Infrastruktur. Denn je heterogener und internationaler das Geschäftsportfolio eines Unternehmens, umso differenzierter sollte das IT-Steuerungsmodell gestaltet werden. Die Verantwortung für die Applikationen vollständig zu bündeln, gilt insbesondere bei stark diversifizierten Unternehmen nicht unbedingt als ideale Lösung.

Stattdessen lohnt es sich für Unternehmen, ihre IT-Applikationsarchitektur in Domänen aufzuteilen. Eine Applikationsdomäne umfasst zusammenhängende Geschäftsfunktionen. Für jede Domäne wird festgelegt, inwieweit die Verantwortung zentralisiert werden kann. Applikationsdomänen, die unternehmensweit einheitlich und synergetisch behandelt werden sollen, können so zu zentralen Verantwortlichkeitsbereichen zusammengefasst werden. Dies gilt meist für Querschnittfunktionen wie Finanzen und Controlling, Personal und Einkauf.

Je nach Branche versuchen Firmen außerdem, ausgewählte Wertschöpfungsstufen zu harmonisieren, indem sie eine zentrale Applikationsdomäne einrichten. So bündeln zum Beispiel Energiekonzerne ihre Energieerzeugungs- sowie ihre Handelsfunktionen. Ebenfalls werden oft das Supply Chain Management in der Prozessindustrie sowie die Kreditabwicklung im Finanzdienstleistungssektor als zentrale Applikationsdomäne definiert. In dezentraler Verantwortung verbleiben dagegen meistens die Wertschöpfungsstufen, in denen Geschäftsspezifika und zusätzliche Flexibilität im Umgang mit Anforderungen aufrecht erhalten werden müssen.

Steuerungsmodell nach Applikationsdomänen differenzieren

Statt die Verantwortung für Applikationen zentral zu bündeln, rät Andreas Dietze hier zu einem Domänenmodell. Eine Applikationsdomäne umfasst jeweils Geschäftsfunktionen, die zusammengehören. Für jede wird einzeln geprüft, wie weit die Verantwortung zentralisiert werden kann.
Foto: Roland Berger

Müssen spezifische Verantwortungen für die Domänen festgelegt werden, so sollten Unternehmen immer zwischen Budget- und Ressourcenverantwortung unterscheiden. Wem gehören die Mittel und durch wen erfolgt die Verausgabung (Budget) bzw. die Disposition (Ressourcen)? Durch diesen Ansatz ergibt sich ein nach Applikationsdomänen differenziertes IT-Steuerungsmodell, das dem geschäftlichen Kontext Rechnung trägt.

Die Entwicklung eines neuen IT-Organisations- und Governance-Modells muss unternehmensspezifisch erfolgen. In einem ersten Schritt sollte der Status quo aufgenommen sowie Handlungsbedarf im bestehenden Modell identifiziert werden. Je Handlungsfeld sollte dann das Unternehmen Stoßrichtungen zur Verbesserung erarbeiten. Die einzelnen Stoßrichtungen werden anschließend in einem gesamthaften Modell konsolidiert. Nach Verabschiedung des gesamthaften Modells werden dann die die Details der einzelnen Stoßrichtungen bis zur Umsetzungsreife ausgearbeitet.

Die Umstellung auf ein neu definiertes IT-Organisations- und Governance-Modell ist kein leichter Schritt. Denn die Umsetzung erfordert in der Regel nicht nur aufbauorganisatorische, sondern auch prozessuale Anpassungen - zum Beispiel im IT-Betriebsmodell für die IT-Infrastruktur. Zwei Phasen sind bei der Umsetzung einer neuen IT-Struktur vorgesehen: die Transition und die Transformation. Zunächst migrieren Mitarbeiter und Inventar aus den bisherigen Strukturen in das neue Zielmodell (Transition). In dieser Phase erfolgt an einem festgelegten Stichtag auch die Verantwortungsübertragung. Dabei wird das bisherige IT-Betriebsmodell - soweit es möglich ist - beibehalten.

Der zweite Schritt, die Transformation, hat dann zum Ziel, das bisherige IT-Betriebsmodell in die zukünftige Logik zu überführen. Die besondere Herausforderung dabei: fachliche, technische, personelle und budgetäre Verbindungen zu identifizieren und in einen schlüssigen Transformationsplan zu übersetzen. Denn nur die genaue Einhaltung aller Umsetzungsphasen kann die erfolgreiche Implementierung einer neuen IT-Struktur im Unternehmen garantieren.

Andreas Dietze ist Partner im Kompetenzzentrum InfoCom bei Roland Berger Strategy Consultants.