Kundenwünsche unbekannt

Die Strategie: Warten auf ein Wunder

21.10.2010 von Hartmut  Wiehr
Neue Produkte zu lancieren, ist riskant. Wer weiß schon genau, ob sie gekauft werden? Laut IDC sollen Tools für Merchandise Lifecycle Management exaktere Prognosen liefern.

In Anlehnung an Cloud Computing sprechen amerikanische Marketing-Spezialisten auch von Crowd Computing. Gemeint ist damit die genauere Erfassung und Analyse der Ansichten von gegenwärtigen oder zukünftigen Kunden bei der Einführung neuer Produkte im Handel. Neue Tools sollen präziser sein als traditionelle Mittel der Marktforschung wie Umfragen oder Fokusgruppen.

Noch immer ist es so, dass es bei der Markteinführung neuer Produkte zu hohen Fehlerraten kommt, berichtet der Newsdienst IDC Retail Insights. Marketingkampagnen und Promotionaktivitäten, die schlecht geplant sind, können sehr teuer kommen. Mindestens 50 Prozent der neuen Produkt-Launches erweisen sich als Fehlschlag. Dies liegt laut einer Veröffentlichung im "MIT Sloan Management Review" an einer falschen Einschätzung der Kundenbedürfnisse.

Ist der Kunde König? Neue Forschungsansätze setzen auf "the wisdom of the crowd". Dies soll genauere Prognosen über die Verkaufschancen neuer Produkte ermöglichen.
Foto: Travelletter

Während die meisten Prozesse von der Produktplanung bis zur Herstellung, Lagerhaltung und Platzierung in den Läden inzwischen von Software-Tools unterstützt werden, passiert dies bisher kaum bei dem wichtigen Mittelstück, den Einschätzungen und Erwartungen der Kunden, schreibt Greg Girad in IDC Retail Insights. Hier werde oft auf ein "Wunder“ gewartet, da der Retailer zu wenig über die tatsächlichen Kundenwünsche weiß.

Noch härter kann es Retailer treffen, die mit eigenen Marken auftreten. Sie tragen in diesem Fall die Verantwortung für die komplette Herstellungs- und Vermarktungsschiene. Alles aus einer Hand kann eben auch bedeuten: Das Risiko und einen eventuellen Verlust muss man ganz alleine tragen.

MLM-Software (Merchandise Lifecycle Management) erweist sich laut IDC Retail Insights besonders vorteilhaft für Retailer mit Eigenprodukten. MLM erfüllt drei Anforderungen:

Die Vorteile von Merchandise Lifecycle Management

  1. Geschwindigkeit: Es unterstützt aktuelle Produkte mit dem Ziel, sie innerhalb von etwa drei Monaten abzusetzen. Es kann vier bis sechs mal jährlich für solche Aktionen eingesetzt werden.

  2. Anpassungsfähigkeit: MLM kann sehr schnell auf neue Marktentwicklungen reagieren.

  3. Umfang: Große Retailer können hunderte von Produktlinien und Neuerungen, zum Beispiel bei Mode, individuell betreuen. Individuelle Anpassungen sind möglich.

MLM-Software kann laut IDC Retail Insights das Risiko der Retailer bei Produkteinführungen minimieren. Gleichzeitig können mehr neue Produkte und Marken lanciert werden.
Foto: IDC-Oracle

Einer der bekanntesten MLM-Anbieter ist TradeStone Software. Statt MLM findet sich auch die Bezeichnung PLM (Product Lifecycle Management). Siehe hierzu auch die nebenstehende Marktübersicht:

Retailer müssen sich überlegen, ob sie solche Software-Lizenzen erwerben wollen, vielleicht sogar mit individueller Anpassung. Billiger könnte es werden, wenn man sich auf die Nutzung so genannter kollektiver Intelligenz einlässt.

Die Weisheit der Massen

Schon vor einiger Zeit hat James Surowiecki das Buch "The Wisdom of Crowds" veröffentlicht. Im Zeitalter von Web 2.0 und Social Media liegt es nahe, die Meinungen, Erfahrungen oder Erwartungen von Käufern unmittelbar in die eigenen Planungen und Marketing-Maßnahmen einzubeziehen. Surowiecki liefert in seinem Buch zahlreiche Beispiele dafür, wie sich Retailer oder Hersteller das Wissen der Enduser zu nutze machen können.

Surowiecki beschreibt drei Kategorien, die Käufer interessant machen: Sie müssen sich über alle Bevölkerungs- und Käuferschichten erstrecken, sie müssen unabhängig und sehr unterschiedlich sein. Wer sich auf die Meinungen der Masse ("wisdom of the crowd") verlassen will, muss darüber hinaus selbst unabhängig sein, sonst tappt er selbst in eine Falle vermeintlicher Kundenwünsche hinein. Man muss sich um den Kern der Käufermeinungen bemühen und das Extrakt vieler Einzelmeinungen erstellen.

Zu den vielen positiven Beispielen bei der Anwendung von "Crowd Computing" zählt auch HP. Der Konzern hat "kollektive Intelligenz" eingesetzt, um den Druckerverkauf präziser vorherzusagen. Die Abweichungen zu den traditionellen Markterhebungen waren zum Teil mit mehr als 50 Prozent sehr groß. Auch Wal-Mart oder Best Buy in den USA setzen diese Methodik ein.