Apps gegen Krankenstand

Digitale Helfer gegen Stress

21.03.2024 von Andreas Schulte
Hat die Stimme einen nervösen Unterton? Ist der Puls unregelmäßig, der Schlaf unruhig? Digitale Helfer, wie Apps oder Software, analysieren Verhalten und Körperfunktionen von Mitarbeitern, um Stress früh zu erkennen.
Spezielle Apps können erkennen, ob ein Mitarbeiter gestresst ist.
Foto: Sjale - shutterstock.com

Mitarbeiter der Glasmanufaktur Saint-Gobain-Sekurit in Herzogenrath bei Aachen sind gehalten, so zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Ihr Arbeitgeber fordert sie auf, ein etwa zehnminütiges Gespräch mit einem Sprachcomputer zu führen. Die Mitarbeiter beantworten in automatisierten und anonymen Interviews alltägliche Fragen, um so eine möglichst authentische Sprachprobe zu liefern. Aufbau und Art der Antworten dienen der Software Precire als Grundlage für eine wissenschaftlich fundierte Aussage darüber, wie gestresst der Mitarbeiter gerade ist.

"Noch sprechen wir von einer Momentaufnahme", sagt Sabine Winterstein, bei der Krankenkasse DAK-Gesundheit verantwortlich für betriebliches Gesundheitsmanagement. Zusammen mit Saint-Gobain-Sekurit testet die Kasse den Einsatz der sprachpsychologischen Anwendung zur Stresserkennung. Knapp hundert Mitarbeiter haben bereits mitgemacht. Das Ziel: Stress früher erkennen, um Beschäftigte vor folgenschweren Langzeitbelastungen zu bewahren. Die Technik sei bereits ausgereift, sagt Winterstein.

Kleine Übungen gegen Stress
Immer mehr Stress
Die Arbeitswelt wandelt sich: Immer mehr wird von einem erwartet, die Aufgaben werden immer komplexer. Vielen Menschen wird der Stress zu viel. Das ist gefährlich, denn ...
Keine Zeit für nichts
... Burnout und Depressionen drohen. Doch mit kleinen Tricks und Übungen von der Gesundheitsexpertin Dr. Claudia Croos-Müller kann man Körper und Geist fit machen gegen Stress und Überlastung.
Es muss nicht immer Sport sein
Und keine Sorge: Ein ausuferndes Fitnessprogramm kommt nicht auf Sie zu. Obwohl mehr Sport im Alltag eine gute Idee ist, um Stress abzubauen.
Mehr Bewegung
"Jede Form der halbwegs lustvollen Bewegung sorgt dafür, dass antidepressive Hormone ausgeschüttet werden", erklärt Croos-Müller. Bewegung macht also tatsächlich glücklich.
Kleine Schritte
Es muss aber nicht gleich joggen sein. Es reicht schon, zum Beispiel häufiger aufzustehen, Meetings im Stehen abzuhalten oder ein paar Hundert Meter Spazieren zu gehen.
Entspannung für den Kopf
Wer sich bewegt, dessen Gehirn schaltet um. So rät Croos-Müller dazu, ein wenig auf der Stelle zu joggen, zum Beispiel wenn ...
Wut im Kopf
... Sie sich gerade über etwas ärgern. Ein bisschen Bewegung lässt den Ärger verfliegen - und das Stresslevel sinkt.
Kopfsache
Bei Bewegung werden im Gehirn Hormone mit antidepressiver Wirkung ausgeschüttet und solche, die Morphium ähneln.
Nicht immer so negativ
Mindestens so wichtig wie Bewegung: Aktivieren Sie die mentalen Ressourcen, trainieren Sie sich darauf, Angelegenheiten positiv zu sehen. Das ist leichter gesagt als getan. Doch schon kleine Schritte helfen. Zum Beispiel:
Freude empfinden
Seien Sie netter zu sich selbst, verzeihen Sie sich Fehler. Wer häufiger Freude, Liebe oder Stolz empfindet, dessen Stresslevel sinkt. So ist man resistenter gegen ...
Nicht unterkriegen lassen
... fiese Chefs und Kollegen. Auch das könne man trainieren, meint Croos-Müller. Wer übt, zuversichtlich zu sein, dessen Gehirn passt sich an.
Bitte lächeln
Probieren Sie auch einmal aus, mehr zu lächeln - vielleicht sogar sich selbst morgens im Spiegel. "Wer viel lacht, der ist gesünder", erklärt Croos-Müller.
Gut fürs Herz
Croos-Müller rät zudem dazu, sich kleine Morgenrituale zuzulegen. In unter drei Minuten den Kreislauf mit Dehnen und Stampfen in Schwung bringen, sich selbst im Spiegel anlächeln und tief atmen.
Entspannt im Büro
Wer nur ein paar dieser Übungen beherzt, der geht entspannter durch den Büroalltag - und durchs Leben.

Ob wegen Stress, drohendem Burnout oder Depression: Zunehmend versuchen Unternehmen, stressbedingten Arbeitsausfall der eigenen Mitarbeiter zu vermeiden. Der Markt reagiert mit ersten digitalen Helfern, die Stresssymptome erkennen und Verhaltenstipps geben. Ob sie sich in Unternehmen bewähren werden, ist noch offen: "Die wenigen Anwendungen sind noch nicht lange genug im Einsatz, um sie zu bewerten", sagt Stephan Weiler, Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin.

App registriert Matratzenbewegungen

Das Start-up Soma Analytics adressiert mit einer speziellen App Personalabteilungen von Unternehmen in der Größenordnung von 1.000 Mitarbeitern. Beschäftigte können sie auf ihrem eigenen Smartphone installieren. Über das Mikrofon misst die Anwendung Emotionen in der Stimme beim Telefonieren. Erfasst wird auch, ob eine SMS hektisch oder in Ruhe getippt wird.

Selbst im Bett registriert Soma Analytics noch Matratzenbewegungen, um Rückschlüsse auf den Schlafrhythmus zu ziehen. Sammelt man diese Daten länger, kann ein Algorithmus den Stresslevel bestimmen und Vermeidungsstrategien vorschlagen. Anwender erhalten wöchentliche Reports. All das natürlich nur, wenn der Mitarbeiter einverstanden ist.

Die Personalabteilung kann mit den anonymisierten Daten ausmachen, in welcher Abteilung oder zu welcher Tageszeit das Stresspotenzial am größten ist. Der Einfluss von Stress auf Mitarbeiterfluktuation soll sich so vermindern lassen.

Datenschutz-Bedenken hätten die Beschäftigten selten, sagt Soma-Analytics-Chef Johann Huber. "Viele wollen wissen, wie hoch das eigene Stresslevel ist." Bei einigen mittelständischen Kunden sei die App im Einsatz.

Was bei der Arbeit stresst
Arbeitsbelastung
Am problematischsten ist die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Unterbesetzung
Ein weiterer Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Büroklatsch
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Chefqualitäten
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Management-Fähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Druck von oben
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Stressfrei
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Verantwortung
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.

Gleich zwei Anti-Stress-Apps bietet der kalifornische Anbieter Azumio für jedermann zum Download. Eine schnelle Diagnose verspricht der "Stress Check": Mit dem Finger deckt man die Kamera des Smartphones ab. Das Gerät misst so den Herzschlag und verspricht Rückschlüsse auf die Belastung des Organismus. Mit dem "Stress Doctor" zeichnet das Smartphone zudem die Atemfrequenz auf. Verlaufen beide unrhythmisch, deute dies häufig auf stressbedingtes Unwohlsein hin, so die Anbieter.

Ob solche Anwendungen verlässlich sind oder nicht: "Für Unternehmen können sie immer nur eine Ergänzung zum betrieblichen Gesundheitsmanagement sein", sagt Weiler. "Eine App kann möglicherweise Symptome wie zum Beispiel eine veränderte Herzrhythmusfrequenz feststellen, aber sie kann die Ursache dafür nicht erkennen. (Handelsblatt)