Papierlose Produktion

Digitalisierte Produktion ist mehr als nur MES

18.11.2022 von Walter Huber  IDG ExpertenNetzwerk
Mit der Digitalisierung der Produktion wird vielfach die Einführung eines Manufacturing Execution Program (MES) assoziiert. Spätestens mit der Smart Factory greift dieser Ansatz aber zu kurz.
Ein Ingenieur über prüft am Laptop einen Roboter, der an einer CNC-Fräse arbeitet.
Foto: Suwin - shutterstock.com

Das Thema Papierlose Produktion ist vielschichtig und bietet somit erhebliches Optimierungspotential. Der Fokus sollte in Zukunft auf der Vermeidung papiergebundener Aktivitäten liegen. Der Grund dafür liegt nicht nur in der Vermeidung von Rohstoffen und damit verbundene Einsparungen: Bei papiergebundenen Aktivitäten und Prozessen stehen die hierüber gewonnenen Informationen im Allgemeinen für eine weitere Verarbeitung nicht zur Verfügung. Somit entstehen sowohl Prozesslücken als auch Lücken in der Optimierung der Produktionsabläufe.

Ausgangssituation

Startpunkt für die Digitalisierung der Produktion sollte eine entsprechende Vision sein. Über ein sogenanntes Big Picture lässt sich solch eine Vision in der eigenen Organisation vermitteln. Abbildung 1 zeigt das Beispiel von Webasto.

Abb. 1: Big Picture einer Smart Factory
Foto: Webasto

Im nächsten Schritt erfolgt eine Präzisierung durch eine Verfeinerung um eine weitere Stufe. Hierüber werden konkrete Use Cases beschrieben. Hierzu gehört auch eine Beschreibung der einzelnen Dimensionen unserer Smart Factory. Bei der Beschreibung einer Vision ging es uns - im wahrsten Sinne des Wortes - um das Erzeugen eines Bildes bei allen Beteiligten. Die Bedeutung dieses ersten Schrittes darf man nicht unterschätzen. Hieran wird und soll man auch gemessen werden. Zudem dient es als interne Orientierung.

Die Beschreibung im vorliegenden Artikel orientiert sich anhand der relevanten Dimensionen

Die beiden weiteren Dimensionen in unserem Big Picture haben auf die Digitalisierung der Produktion primär unterstützenden Charakter und sind in unserem Fall sehr IT-lastig. Somit bleiben sie in diesem Artikel aus Platzgründen unberücksichtigt, da der Fokus im folgenden Artikel auf fachlichen Fragestellungen liegt.

Generell ist uns bei der Digitalisierung und der Digitalen Transformation die Eliminierung von menschlichen und manuellen Schnittstellen ein zentrales Anliegen. Darüber hinaus gilt es die werksspezifischen Lösungen weitestgehend durch globale Lösungen zu ersetzen. Dies ist auch unter der immer stärker zunehmenden Bedrohung durch Cyberangriffe geboten. Nur durch standardisierte Lösungen kann auch ein entsprechender Schutz erfolgen.

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Bei allen Themen steht die Optimierung der Abläufe im Vordergrund und damit das Erzielen von wirtschaftlichen Effekten. Die hier beschriebenen Optimierungen suggerieren das Reduzieren von Arbeitskräften. Im betrieblichen Alltag hat sich dies nicht bestätigt. Im Zuge des Problems eines allgemeinen Fachkräftemangels und des vorherrschenden demografischen Wandels helfen Digitalisierungsansätze, diesem Mangel zu begegnen. Ferner gestalten sich die Arbeitsbilder und Aufgaben der hier betrachteten Bereiche zunehmend komplexer, etwa jener der Instandhaltung. Somit bedarf es unterstützender Maßnahmen zur Bewältigung dieser Komplexität.

Digitalisierung und Digitale Transformation der Produktion

Basierend auf dem Big Picture und dessen Verfeinerung sollte zunächst die genaue Beschreibung der konkreten Anforderungen erfolgen. Diese münden in entsprechenden Piloten. Den aufwändigsten Teil stellt dann der globale Rollout dar. Somit gilt es eine globale Strategie zu definieren. Durch die Digitale Transformation verändern sich die Prozesse inhaltlich, im Gegensatz zur Digitalisierung, bei der eine 1:1 Abbildung der vielfach analogen/papiergebundenen Prozesse in IT-Systeme stattfindet. Beide Ansätze (Digitalisierung und Digitale Transformation) sind valide Ansätze, somit stellt deren Differenzierung keine Wertung des Transformationsgrades dar.

Generell sollte nicht das technisch Machbare, sondern das wirtschaftlich Sinnvolle im Vordergrund stehen. Somit ist die wirtschaftliche Betrachtung mit einem belastbaren Business Case eine der ersten Aufgaben. Daneben gilt es auch die erforderlichen internen Kapazitäten kritisch zu betrachten. Diese sind im betrieblichen Alltag meist der Flaschenhals.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Nachhaltigkeit des Vorhabens über ein globales Rollout-Team mittels entsprechender Kennzahlen sicherzustellen. Erst wenn alle Punkte positiv bewertet werden, kann mit einem Piloten und anschließend mit dem globalen Rollout gestartet werden. Generell ist das Thema Rollout und damit das Gelingen der Umsetzung einer Smart Factory ein sehr komplexes Thema und wird daher in einem separaten Artikel betrachtet.

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Ein Startpunkt ist ein IT-Asset-Management. Hier erfolgt die Aufnahme der gesamten IT-Infrastruktur, also der Hardware, und in einem zweiten Schritt die Aufnahme der darauf laufenden IT-Systeme. Hierüber lassen sich nicht nur für das Thema Cybersecurity entsprechende Maßnahmen ableiten, sondern auch die werksspezifischen Lösungen für eine digitale Transformation oder Digitalisierung identifizieren. Es wird hier davon ausgegangen, dass standardisierte und dokumentierte fachlichen Prozesse vorhanden sind. Die Werksspezifika gilt es natürlich zu berücksichtigen. Die werksspezifischen Unterschiede ergeben sich unter anderem durch ein spezifisches Produktportfolio, das Alter des Werkes und dessen Linien.

Smart Supply Chain

Bei der Supply Chain gilt es den gesamten Planungsprozess durch entsprechende Software-Tools abzudecken und die Lieferkette digital zu überwachen. Mittels RFID erfolgt unter anderem die Digitalisierung des Wareneingangsprozesses und die Materialüberwachung innerhalb des Fertigungsprozesses. Somit werden bei diesem Szenario sowohl manuelle Schnittstellen als auch entsprechende Fehlerquellen beseitigt. In Summe steigt die Datenqualität. Für den Einsatz von RFID existieren vielfältige Szenarien, siehe beispielhaft Abbildung 2. In eine ähnliche Richtung geht der Einsatz von eLabels. Diese unterstützen das Tracken des Materialflusses respektive dessen Verbrauch.

Abb. 2: Beispiele für RFID und eLabels
Foto: Webasto

In der Gesamtheit werden papiergebundene Labels inkl. deren Druck vermieden und somit auch der damit verbundene Arbeitsaufwand. In der betrieblichen Praxis werden auf einzelne Verpackungen mehrere verschiedene Labels gedruckt. Diese Tatsache erschwert das operative Handling ungemein. Speziell im Bereich SCM erfolgt eine immer intensivere datengetriebene Integration in Richtung der Kunden aber auch der eigenen Lieferanten, was für eine höhere Transparenz und Prozessqualität sorgt.

Connected Worker

Das größte Potenzial in dieser Dimension weisen natürlich die operativ tätigen Mitarbeiter auf. Sie sind die Nutznießer (oder Betroffenen) der Veränderung. Der Erfolg einer Transformation hin zu einer Smart Factory entscheidet sich in der Produktion und damit bei diesen Personen. Im Folgenden werden konkrete Beispiele aus der betrieblichen Praxis erläutert. Hierbei besteht nicht der Anspruch auf Vollständigkeit. Die folgenden Beispiele sollen vielmehr zur Inspiration und als Ausgangsbasis für die Transformation im eigenen Unternehmen dienen.

Das Thema "Connected Worker" suggeriert den Einsatz smarter Devices, etwa von sensorgestützten Handschuhen oder Smart Glasses. Dies ist nur eine Seite der Medaille. Generell geht es hier darum, neuartige Systeme zu konzipieren, die zum Anwender kommen und nicht, wie heute üblich, der Anwender zum System kommen muss. Die Komplexität soll vor den Anwendern verborgen bleiben, vergleichbar mit Apps für das eigene Smartphone. Hier bedarf es auch nicht einer mehrstündigen oder mehrtätigen Schulung, sondern einer intuitiven Benutzung. Diese Ansätze aus dem privaten Bereich gilt es im industriellen Umfeld zu etablieren.

Werkerführungssystem und Skillmatrix

Beginnen wir mit einem etwas überraschenden Beispiel, das sicherlich auf der Liste an Anwendungen im Bereich der papierlosen Produktion nicht ganz oben stehen dürfte. Auf Grund von gesetzlichen Vorgaben respektive Kundenvorgaben müssen die Qualifikationen der Operator (also der direkten Mitarbeiter in der Produktion) kontinuierlich ermittelt, überprüft und aktualisiert werden.

Der Aufbau einer entsprechenden Skill-Matrix ist somit hierfür unerlässlich. Hierbei handelt es sich um ein umfangreiches Unterfangen, speziell bei mehreren hundert oder tausend Mitarbeitern. Qualifikationen haben leider die Eigenschaft, dass sie nach einer gewissen Zeit ihre Gültigkeit verlieren. Auch die Befähigung, an einer Produktionslinie arbeiten zu dürfen, erlischt nach einer definierten Zeit, in der der Mitarbeiter nicht aktiv tätig war. Unterweisungen und Qualifikationen gilt es auch über einen langen Zeitraum hin aufzubewahren. Arbeitssicherheit ist hier das Stichwort. Der Arbeitgeber ist gut beraten, einen entsprechenden Nachweis hinsichtlich der Einarbeitung und Qualifizierung von Mitarbeitern vorweisen zu können.

Hierauf aufbauend kann dann in einem nächsten Schritt eine Tool-basierte Schichtplanung erfolgen. Schichten sollten individuell planbar und einfach zu ändern sein.

Eng mit dem Thema einer Skill-Matrix ist die Qualifizierung und Unterstützung der direkten Mitarbeiter verbunden. Werkerführungssysteme unterstützen bei der täglichen Arbeit, vor allem bei einer variantenreichen Fertigung. Gleichzeitig wird die Prozessqualität unterstützt (sh. Abbildung 3). Über derartige Ansätze erfolgt das Ersetzen von papiergebundenen Anleitungen durch digitale Medien.
Ein weiterer Vorteil von Werkerführungssystemen ist deren Integration in das unternehmenseigene MES. Somit erfolgt darüber hinaus auch eine prozessseitige Überprüfung manueller Fertigungsschritte. Eine derartige Integration ist absolut zu empfehlen. Isolierte Drittsysteme führen zwangsläufig zu manuellen Pflegeaufwänden.

Abb. 3: Beispiel eines Werkerführungssystems
Foto: Webasto

Digital Daily Action Board

Die Digitalisierung eines Daily Action Boards ist sicherlich ein sehr prominentes Beispiel für eine Digitalisierung. Bei diesem Thema scheiden sich die Geister. Auf der einen Seite stehen die Verfechter des Lean-Gedanken und auf der anderen Seite jene der digitalen Transformation. Aus Lean-Gesichtspunkten ist die manuelle Eingabe der einzelnen Daten während der Morgenrunde ein extrem wichtiger Punkt. Somit geht es um eine Digitalisierung. Wichtig ist der Lean-Reifegrad. Hat ein Werk mit dem Thema Lean noch erhebliches Potenzial, so macht eine weitere Digitalisierung oder gar eine Digitale Transformation wenig Sinn.

Die Verfechter der digitalen Transformation streben nach einer möglichst vollständigen Integration in diverse Systeme, um den Automatisierungsgrad zu steigern und somit die manuellen Aufwände zu reduzieren. Der "Königsweg", um dieses Dilemma zu überwinden, könnte ein Stufenkonzept, verbunden mit einem Lean-Reifegrad sein. Auf der obersten Stufe würde die vollständige Integration in alle relevanten Backend-Systeme, wie ein MES, und auf vorletzter Stufe ein digitales Board mit manueller Interaktion stehen (sh. Abbildung 4).

Abb. 4: Reifegradstufen für Einsatz eines Digitalen Daily Action Boards
Foto: Webasto

Bei diesem Thema liegt vielfach der Fokus auf der Softwarelösung. Kostentreiber ist allerdings die Hardware in Form der erforderlichen Bildschirme. Idealerweise erfolgt die Ersetzung der papiergebundenen Boards durch Bildschirme mit einer entsprechenden Größe und natürlich mit Touchfunktion. Somit können hier Kosten von 1.000 bis 2.000 Euro je Bildschirm entstehen, zuzüglich der Kosten für Rechner. Bei einem Werk mit 20 papiergebundenen Boards entstehen somit Aufwände im mittleren 5-stelligen Bereich. Diese Kosten gilt es durch Einsparungen zu amortisieren.

Der größte Aufwand entsteht bei der Generierung der Daten (also der Kennzahlen), meist aus dem MES oder SAP. Aus dem Reifegradmodell ist ersichtlich, dass die Generierung der Kennzahlen etwa durch regelmäßige und automatisierte Berichte möglich ist. Ein weiteres Potenzial ist die Historisierung der Daten über längere Zeitintervalle. Inwieweit die Nutzung dieser Daten im betrieblichen Alltag wirklich erfolgt, gilt es kritisch zu hinterfragen. Hier könnten smarte Anwendungen unterstützen.

7 Fehler im Kennzahlen-Management
7 Fehler im Kennzahlen-Management
Kennzahlensysteme sind ein probates Mittel zur Kosten-Nutzen-Analyse in der IT. Leider machen Unternehmen bei der Anwendung gravierende Fehler.
1. Out of the Box ist trügerisch
Kennzahlen "Out of the Box" sind zweifellos verlockend, und sie kommen überraschend häufig vor. Das starre Korsett mit standardisierten Messpunkten kann jedoch zu einer unreflektierten Sichtweise und Einschätzung führen. Kosten und Leistungen müssen auf Grundlage der bestehenden Struktur gemessen werden.
2. Irreführende Schätzungen
Der Top-down-Ansatz wird scheitern, wenn das Unternehmen die hierfür vorgesehenen Kennzahlen nicht vernünftig bilden kann. Sind die Basisdaten in der geforderten Form nicht vorhanden, müssen sie entweder geschätzt oder über eine mühsame Implementierung beschafft werden. Das Ergebnis ist entweder ungenau oder aufwendig zu bilden, so dass der Nutzen auf der Strecke bleibt.
3. Unscharfe Kennzahlen
Häufig kalkulieren Unternehmen mit fragwürdigen Werten, weil sie die benötigten Werte nicht messen können. So lässt sich die Zahl der Hardwaretypen im Windows-Umfeld nur schwer bestimmen, wenn die Geräte in unterschiedlichen Abteilungen eingesetzt werden und kein umfassendes Asset-Management existiert. Der Einfachheit halber wird dann die Kennzahl der unterschiedlichen Windows-Versionen herangezogen, weil diese durch die Softwarelizenzierung bekannt ist. Jedoch ist diese Zahl ein schwächerer Komplexitätstreiber als die Hardwaretypen, weshalb das Abbild der Organisation unscharf wird.
4. Top-Level-Informationen ohne Basis
Wenn das Projekt vom Vorstand angestoßen wurde, müssen die angeforderten Zahlen geliefert werden. Durch die Verwendung grober Schätzwerte sind Drilldowns zu den tatsächlichen operativen Kennzahlen kaum möglich: Die Ursache-Wirkungs-Kette ist nicht belastbar. Schaltet eine Top-Level-Kennzahl auf Rot, erwartet das Management, dass der Grund hierfür bekannt ist oder zumindest schnell gefunden wird. Deshalb sind die richtigen Basisinformationen viel wichtiger für die Steuerung der Organisation als die Top-Level-Informationen. Ohne die passende Grundlage hängen die Top-Level-Kennzahlen in der Luft.
5. Verwirrende Komplexität
Kennzahlen berechnen sich nicht automatisch aus komplizierten Formeln. So ist beispielsweise die Zahl der Windows-Server eine reguläre Leistungskennzahl, die zudem für das Asset-Management benötigt wird. Auch bei umfassenden Kennzahlensystemen ist Komplexität kein Grundpfeiler des Erfolgs. Unternehmen müssen die richtige Balance finden zwischen einer realistisch machbaren Vorgehensweise und dem, was einen Leistungs-, Kosten-, Komplexitäts- oder Risikotreiber genau repräsentiert.
6. Fehlerhafte Umsetzung
Vor der Entwicklung eines Kennzahlensystems steht die Definition, welche Aspekte der IT konkret gesteuert werden sollen. Jeder IT-Verantwortliche hat seine eigene Philosophie und setzt andere Prioritäten: Einer bevorzugt Prozesse und ITIL, ein anderer plädiert für Services und Servicekataloge, der Dritte schließlich bleibt bei klassischen Funktionen wie der Anwendungsentwicklung und der Infrastruktur. Entsprechend müssen die Kennzahlen angeordnet werden.
7. Falsche Schlüsse
"Normale" Kennzahlen haben einen kleinen Haken: Sie zeigen zumeist nur an, ob die Arbeit richtig gemacht wird - und nicht, ob die richtige Arbeit gemacht wird. So weist etwa Organisation A ein sehr gutes Kostenniveau bei ihren Unix-Servern auf, während Organisation B nur eine unterdurchschnittliche Performance bei ihren Mainframes zeigt. Vergleicht man hingegen die Kosten für den einzelnen Bausparvertrag oder für das einzelne Depot bei beiden Organisationen, kann das Preis-Leistungs-Verhältnis schon ganz anders aussehen. Aus der Perspektive des Topmanagements stellt sich vielleicht die Leistung des relativ schlechten Mainframe-Bereichs besser dar als die Leistung der relativ guten Unix-Abteilung. An den geschäftlichen Stückkosten zeigt sich der Unterschied von Effektivität und Effizienz.

Mobile Instandhaltung

Ein großes wirtschaftliches Potenzial stellt die Instandhaltung dar. Leider wird das Thema in vielen Unternehmen nicht gebührend betrachtet. Durch den vermehrten Einzug von Smart-Factory-Elementen, wie Automatisierung, sensitive Roboter, automatisierte Lager und AGVs (Autonomous Guided Vehicles) gewinnt das Thema sowohl an Komplexität als auch an Relevanz. Somit wird die Instandhaltung deutlich vielschichtiger.

Ausgangspunkt sollte die standardisierte Nutzung eines IT-Systems sein. Im Allgemeinen handelt es sich hier um SAP Plant Maintenance (kurz SAP PM). Hierüber lassen sich alle Instandhaltungsmaßnahmen sowie deren Ersatzteile und Asset-Management abbilden. Leider ist die Usability für Instandhalter in der praktischen Nutzung etwas "verbesserungsfähig". Als Backend-System sollte es dennoch genutzt werden. Hierüber lassen sich Bestellprozesse und die gesamte fiskalische Abwicklung abbilden.

Instandhalter verwenden zur Verwaltung ihrer Ersatzteile auf Grund der eben angesprochenen verbesserungsfähigen Benutzerfreundlichkeit alternative Tools - meistens Excel. Hierüber erfolgt die gesamte Verwaltung von Ersatzteilen, etwa der Bestandsführung oder der Nachbestellung. Im betrieblichen Alltag werden vielfach Instandhalter durch Linienverantwortliche bei Störungen gerufen. Anschließend erfolgt eine Analyse der Störung, der Gang ins Lager, die Entnahme des erforderlichen Ersatzteiles (falls vorhanden), das handschriftliche Notieren der Materialnummer, gefolgt vom Einbau des Ersatzteiles.

Es bedarf wenig Fantasie, dass dieses Vorgehen einer korrekten Bestandsführung nicht gerade in die Karten spielt, unabhängig davon, ob am Ende des Tages die Daten ihren Weg ins SAP PM finden (was eben oftmals auf Grund der Medienbrüche nicht der Fall ist). Eine Rückbuchung wird vielfach vergessen, als nicht relevant angesehen oder aus anderen Gründen nicht getätigt. Demzufolge besteht auch kein hohes Vertrauen in die Datenqualität. Als Konsequenz wachsen die Bestände.

Abhilfe schaffen hier intelligente und papierlose automatisierte Prozesse: Der Instandhalter wird automatisch über eine Störung auf seinem Smartphone informiert und die standardisierte Fehlermeldung wird ebenfalls automatisch einer Instandhaltungsmaßnahme zugeordnet. Bestandteile der Instandhaltungsmaßnahme ist eine entsprechende Stückliste. Darüber hinaus können weitere Informationen wie Schaltpläne oder voraussichtliche Dauer der Maßnahme nötig sein. Erforderliche Qualifizierungen können automatisch im Hintergrund verifiziert und vorgenommen werden. Ebenso wird automatisiert die Ersatzteilverfügbarkeit geprüft.

Der Instandhalter muss somit ausschließlich den Instandhaltungsauftrag quittieren, gegebenenfalls erfolgt noch eine Selektion der tatsächlich benötigten Ersatzteile. Nach Abschluss der Tätigkeit erfolgt das automatisierte Ausbuchen der verbrauchten Ersatzteile, die Zeitbuchung und die Validierung des verbliebenden Ersatzteilbestandes.

Bei Unterschreitung des kritischen Bestandes erfolgt entweder eine automatisierte Nachbestellung oder der Instandhaltungsleiter bestätigt die Nachbestellung ebenfalls auf seinem Smartphone über einen OK-Button. Somit lassen sich unnötige Wege (manuelle Verifizierung der Ersatzteilverfügbarkeit) der Instandhalter vermeiden. Darüber hinaus steigen die Datenqualität und somit der tatsächliche Bestand im Ersatzteillager. Erfolgt als weitere Ausbaustufe noch die Integration eines Eskalationsprozesses, so hat dies erheblich positive Effekte für die Verfügbarkeit des gesamten Maschinenparks.

Eine weitere Optimierung besteht in der Einführung eines Asset Managements. Hierüber lassen sich eine Lebenslaufakte für jedes Equipment, wie Roboter, erstellen. Gestartet wird das Asset Management idealerweise bei der Inbetriebnahme in Form von Basisdaten wie Hersteller, Typ, Lokation, Datum der Installation, Schaltpläne, Sicherheitshinweise usw.

Im Laufe des Betriebs werden diese Daten mit regelmäßig durchgeführten, geplanten, aber auch ungeplanten Instandhaltungsmaßnahmen inkl. Störgründen sukzessive angereichert. Diese Informationen unterstützen den Instandhalter erheblich beim Auftreten einer Störung und reduzieren somit deutlich die Stillstandzeiten.

Über diesen Ansatz lassen sich auch kurzzeitige Störungen (etwa im Sekunden- oder Minutenbereich) dokumentieren. In Verbindung mit einer entsprechenden Logik lassen sich hier vorbeugende Maßnahmen in der Instandhaltung ableiten.

Die papierlose Übergabe von Schichtinformationen erfolgt mittels eines digitalen Schichtbuchs. Hierin sind Auffälligkeiten, wie TOP10-Störgründe oder Maschinen und durchgeführte Instandhaltungsmaßnahmen aufgeführt. Die nachfolgende Schicht kann somit leicht erkennen, welche Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten - das Ganze natürlich voll automatisiert.

Software-Tools für mobile Qualitätssicherung

Aber nicht nur für die Produktionsmitarbeiter, auch für die Qualitätssicherung ergeben sich Potenziale. Die Dokumentation von Fehlern in der Produktion erfolgt vielfach manuell und damit papiergebunden. Zur Beschreibung des Schadensfalls werden umfangreiche Texte erstellt.

Mittels mobiler Lösungen lässt sich die Dokumentation von Qualitätsmängeln in Form von Nacharbeitsbedarf respektive Verschrottung einfach dokumentieren. Basis hierfür ist ein 3D CAD-Modell. Unterstützt wird diese Tablet-basierte Lösung durch die zusätzliche Dokumentation von Fotos des Schadensfalls. Diese können enorm bei der Analyse der Fehlerursachen unterstützen. Essenziell hierbei ist das Scannen des Barcodes oder des RFID-Tags, um das Teil eindeutig zu identifizieren. Es entfällt ggf. auch die Notwendigkeit der teilweise sehr umfangreichen textuellen Fehlerbeschreibung.

Digitale Produktion

Nicht nur der Connected Worker liefert Potenziale zur Optimierung und somit zur papierlosen Produktion, sondern auch die digitale Produktion. Unter diesem Begriff werden IT-Systeme in der Produktion subsumiert. Somit ist die digitale Produktion eine Untermenge der "Digitalisierung der Produktion", analog zu Digitalisierung und digitaler Transformation.

Das erscheint als eine Spitzfindigkeit, ist aber in der betrieblichen Praxis wichtig. Bei den einzelnen Begrifflichkeiten sollte ein allgemein gültiges Verständnis vorherrschen, unabhängig wie dies konkret aussieht. Somit können Sie als Leser die Begriffe in Ihrem Unternehmen anders als in diesem Artikel definieren. Grenzwertig wird es bei etablierten Standards, wie einer digitalen Fabrik, siehe etwa VDA4499 oder VDI 3633.

Digitale Dashboards

Ein weiteres Szenario stellen Dashboards dar. Diese existieren in vielfältigen Ausprägungen, etwa in Form klassischer kennzahlenbasierter Dashboards und können auf Werksebene aber auch werksübergreifend Informationen liefern. Bei Webasto befinden sich verschiedene Ausprägungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Qualität, Supply Chain Management, Produktion und Fertigungsentwicklung und Instandhaltung) im Einsatz. Unabhängig von der konkreten Ausprägung sollten die Daten maschinell generiert werden. Manuelle Eingaben gilt es hier zu vermeiden, da die Genauigkeit und Akzeptanz hierüber deutlich steigen.

Vor allem beim Thema Echtzeitdarstellung (etwa in Form von Andon Boards) sollte auf manuelle Eingaben endgültig verzichtet werden. Hierüber erfolgt nicht nur die erhebliche Reduzierung der administrativen Tätigkeiten, auch steigt der Aktualitätsgrad der visualisierten Daten. Ein operatives Arbeiten mit diesen Daten ist mit entsprechenden wirtschaftlichen Effekten somit möglich.

Taktzeitoptimierung

Nicht nur beim Anlauf einer neuen Produktionslinie, sondern vielfach auch im Regelbetrieb, entstehen Herausforderungen hinsichtlich der Taktzeit und damit der Performance. Entweder erfüllt die sich gerade im Hochlauf befindliche Produktionslinie nicht den Anforderungen oder im Regelbetrieb erfolgt etwa eine schleichende Performance-Verschlechterung. Unabhängig vom konkreten Szenario entsteht für die Fertigungsentwicklung und das Werks-Leanteam Handlungsbedarf. Vielfach erfolgt die Zeitaufnahme an der Linie manuell mittels einer Stoppuhr.

Die Dokumentation wird papiergebunden vorgenommen und anschließend in ein Excel-Sheet übertragen. Die Nachteile eines derartigen Ansatzes sind offensichtlich: Es ist sehr zeitintensiv und erfordert darüber hinaus ein nicht unerhebliches fachliches Wissen.
Ein Tool-basierter Ansatz, bei dem die erforderlichen Daten aus der Steuerung der Equipments automatisiert entnommen und anschließend visualisiert werden, erleichtert die Performance-Analyse erheblich, bei gleichzeitiger Reduzierung des Personenbedarfs. Ferner werden erfahrungsgemäß deutlich mehr Performance-Themen identifiziert. In Summe reduziert sich der zeitliche Aufwand zur Performance-Verbesserung. Als "Beifang" werden auch Informationen für die Instandhaltung ermittelt.

Digitale Fabrik

Bei der Digitalen Fabrik handelt es sich um ein Thema, dessen Ursprünge sicherlich schon 30 Jahre zurückliegt - dessen betriebliche Umsetzung aber noch immer erhebliche Potenziale aufweist. Nichtsdestotrotz nimmt es, nicht nur dank Corona, endlich an Fahrt auf. Layouts werden noch vielfach papiergebunden oder mittels physischer 3D-Modelle erstellt. Dies ist sehr zeitaufwändig und insbesondere der assoziierte manuell gepflegte Materialfluss ist daraufhin selten aktuell, was entsprechende Folgen nach sich zieht.

Mittels einer Liniensimulation lassen sich deutlich schneller und gleichzeitig genauere Modelle erstellen, die darüber hinaus auch die Ablauflogik inkl. Maschinenverfügbarkeiten, Schichtmodellen, Nacharbeitsquote, Ausschussrate usw. berücksichtigen, um hierüber ein sehr realistisches Bild der Ausbringung zu liefern. Eine Materialfluss-Simulation ist hierin vielfach integriert, mit der Simulation der Routenzüge rsp. fahrerlosen Transportsysteme. Derartige Modelle und Simulationen helfen darüber hinaus bei der Diskussion mit Linienbauern und stellen die Ausgangsbasis für eine virtuelle Inbetriebnahme und eine virtuelle Taktzeitanalyse dar.

Fazit zur papierlosen Produktion

Digitalisierung und papierlose Produktion werden vielfach mit der Einführung eines MES assoziiert. Leider stellt die Einführung eines MES ausschließlich den Startpunkt für eine Digitalisierung der Produktion dar. Das Thema ist deutlich komplexer und vielschichtiger. Damit verbunden sind aber gleichzeitig weitere Potenziale, die es gilt zu heben.

Die aufgeführten Beispiele erheben hierbei in keinster Weise Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen vielmehr als Anregung für das eigene betriebliche Umfeld dienen. Schlussendlich sollte als Ziel eine digitalisierte und damit papierlose Produktion stehen. (mb)