Analysten-Kolumne

ECM-Systeme vernünftig einsetzen

25.06.2007 von Martin Böhn
Software für Dokumenten-Management (im moderneren ECM (Enterprise Content Management)) hat einen hohen Reifegrad. Daher sind auch die Anforderungen der Anwender an die Systeme gestiegen. Vor Auswahl- oder Erweiterungsprojekten stellt sich daher immer wieder die Frage, ob man ein System finden kann, welches alle funktionalen, technischen und prozessorientierten Aufgabenstellungen direkt erfüllen kann.

Die Fragen nach der Zufriedenheit darf nicht auf der Grundlage von neuen Technologien, einzelnen Anwendungsgebieten oder Schlagworten des Marketing diskutiert werden, entscheidend sind die beiden wesentlichen Aspekte für den Anwender: Wie kann er mit dem System arbeiten und auf die darin enthaltenen Inhalte zugreifen und wie wird er anschließend in seinen Aufgabenstellungen unterstützt?

Vorhandene Funktion heißt nicht gleich verwendete Funktion

Hinsichtlich des Zugriffs haben sich mittlerweile fünf Hauptkategorien gebildet: (1) klassische Fat Clients, welche als eigenständige Anwendungen auf den Arbeitsplatzrechner installiert werden müssen, (2) Web Clients, welche im Browser eingebettet sind, (3) Portallösungen sowie tiefe Integrationen in (4) Fachanwendungen oder allgemein in den (5) Windows Explorer. Fat Clients bieten zumeist den höchsten Funktionsumfang, sind aber mit großem Schulungs- und Wartungsaufwand verbunden.

Um dem entgegenzuwirken, wurden Alternativen entwickelt, welche dem Anwender eine intuitive Nutzung des ECM-Systems ermöglichen. Teilweise merkt der Nutzer keinen Unterschied zu seiner bisherigen Arbeit mit dem File-System, insbesondere bei den letzten drei Client-Formen.

Die Suche nach dem richtigen Client für die verschiedenen Anwendergruppen wird immer vor dem Hintergrund der Effizienz, Effektivität und insbesondere der Nutzerakzeptanz durchgeführt. Anwender mit durchschnittlichen Anforderungen möchten keine zusätzliche Applikation erlernen müssen und fordern deshalb eine Arbeit in der gewohnten Arbeitsumgebung. Zudem soll eine Überfrachtung mit nicht benötigten Informationen und Funktionen vermieden werden, da sonst die Nutzung des gesamten Systems gefährdet ist. Andererseits stellen die so genannten Power User mit vielen, oft komplexen dokumentenbezogenen Aufgaben hohe Ansprüche an das System und die Bündelung der Funktionen.

Dies verdeutlicht, dass es in einem Unternehmen zu Zielkonflikten kommen kann, da verschiedene Nutzergruppen unterschiedliche Präferenzen haben. In den Projekten wird mittlerweile dazu übergegangen, für verschiedene Anwenderkreise jeweils eigene Interaktionsmöglichkeiten anzubieten, was die Komplexität aufgrund mehrerer Schulungs- und Administrationsvarianten erhöht, aber dennoch gefordert wird. Dies haben nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch die Anbieter erkannt. Während in den vergangenen Jahren noch versucht wurde, den Kunden von der eigenen Philosophie des Dokumenten-Managements zu überzeugen und den damit verbundenen Zugriffsweg zu implementieren, werden nun die bisher fehlenden Interaktionsformen in das Produktportfolio aufgenommen.

Zweiter wesentlicher Faktor für den Projekterfolg ist die Prozessunterstützung. Ein Dokument gewinnt seinen Wert erst durch den Geschäftsprozess, in dem es erzeugt, verwendet, verteilt oder abgelegt wird. Zudem erlaubt die digitale Vorgangsbearbeitung und Weiterleitung erhebliche Kosten- und Zeiteinsparungen im Vergleich zur herkömmlichen Arbeit mit Papier. Das Bewusstsein, dass Einführung der Software mit einer organisatorischen Änderung (inklusive Verschiebung von Kompetenzen und Aufgabenfelder) verbunden sein muss, ist stark gewachsen und bei den meisten Kunden vorhanden.

Hier erwarten die Anwender eine Hilfestellung des Anbieters, wie man die Effizienz- und Effektivitätspotenziale mit ECM heben kann. Der Hersteller soll Referenzprozesse mitliefern, ECM wird nicht nur technisch und funktional, sondern auch prozessbezogen als Standardanwendungs-Software begriffen. Ein Ansatz ist die zunehmende Branchen- und Lösungsorientierung der Systeme. Die Hersteller nutzen gesetzliche Vorgaben oder Projekterfahrungen um Standardkomponenten (Module, Dokumententypen, Masken, vordefinierte Workflows etc.) zu definieren und als entsprechende Pakete an die Zielgruppe zu verkaufen.

Andererseits soll die Software aus Kundensicht eine Anpassung auf die gewohnten Arbeitsweisen im Unternehmen ermöglichen. Hieraus entstehen oft widersprüchliche Anforderungen in Lastenheft. Das Problem zeigt sich auch in der Frage, wann automatisch eine neue Version zu speichern ist, da zum einen eine Überfrachtung des Systems mit Zwischenständen vermieden werden soll, zum anderen aber der Verlust von relevanten Informationen zu verhindern ist.

Fazit: Leider nicht einer für alle

Aus Sicht der Anwender kann es keine allgemeine "rundum glücklich" Variante geben, da sich die Anforderungen einzelner Unternehmensbereiche, sogar einzelner User abhängig vom Fokus unterscheiden. Es gibt nicht den einen idealtypischen Anwender, der weiß, was er will. Daher müssen die Ziele der einzelnen Anspruchsgruppen genau erhoben und in Einklang gebracht werden. Entscheidend für den Projekterfolg bleibt damit eine gut strukturierte, detaillierte Software-Auswahl unter Berücksichtigung der notwendigen organisatorischen Maßnahmen.

Fehlgeschlagene Projekte gefährden die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, neben dem Verlust von Geld ist insbesondere die negative Besetzung des Themas in den Köpfen der Mitarbeiter und die damit deutlich erhöhte Hürde bei einem neuen Projektanlauf zu vermeiden. Aber kein Unternehmen kann es sich mittelfristig leisten, die Möglichkeiten des ECM nicht zu nutzen. Denn die Konkurrenz schläft nicht und kann mit einem funktionierenden und genutzten ECM-System durch die höhere Reaktionsfähigkeit und Qualität der Leistung Kunden gewinnen.

Martin Böhn ist Analyst am Business Application Research Center (BARC GmbH) im Bereich Enterprise Content Management.