IT-Manager wetten

Ein CIO 20 Jahre nach Mr. Carr

29.10.2012 von Jürgen Renfer
CIO Jürgen Renfer von der kommunalen Unfallversicherung Bayern, Bayerische Landesunfallkasse, wettet, dass CIOs im Jahr 2023 auf gleicher Hierarchiestufe wie CEOs und CFOs stehen.
Jürgen Renfer ist CIO der kommunalen Unfallversicherung Bayern, Bayerische Landesunfallkasse.
Foto: Christoph Vohler, München

"Ich wette, dass sich in zehn Jahren die CIOs auf gleicher Hierarchiestufe wie die CEOs und CFOs befinden."'

Wir schreiben das Jahr 2023. Heute vor rund 20 Jahren war ich gerade in die heimliche IT-Hauptstadt München gezogen, um dort als IT-Leiter den nächsten Schritt auf der mitunter wackeligen IT-Karriereleiter zu wagen. Mit Laptop, ohne Lederhose - während die New-Economy-Blase lautstark geplatzt und Ausläufer der Dotcom-Krise noch spürbar waren.

Haben die das Technologie-T vergessen?

Chief Information Officer also. Haben die das Technologie-T vergessen? Was unterscheidet mich als einfachen IT-Leiter von einem der neuen CIOs? Zwischenzeitlich hatte ein gewisser Herr Carr mit nettem Wortspiel und gewagten Thesen für Furore gesorgt: IT doesn’t matter! Does IT matter? Ob IT-Leiter oder CIO, war kurzfristig völlig egal. Da kratzte einer heftig am Selbstverständnis der Branche, von deren Akteuren und damit auch von mir, die wir uns alle gerade freuten, den Sturz aus dem blauen IT-Wolkenhimmel in die harte Business-Realität halbwegs unbeschadet überlebt zu haben. Das geht gar nicht. Wir sind die IT. Und ohne die steht das Unternehmen still. Basta, Mr. Carr!

Wir schreiben immer noch das Jahr 2023. Vor rund 16 Jahren, also 2007, war die IT-Welt auch wieder einigermaßen geordnet. Man konnte sich mit allerlei Standards beschäftigen, ITIL gehörte zum guten Ton, und weiter Engagierte konnten mit CoBit, Togaf & Co. tief in die Methodologie einsteigen. Es gab Kurse über und Abschlüsse im IT-Management, was wiederum Lehraufträge generierte, in deren Genuss Interessierte der Zunft kamen - mich eingeschlossen. Es gab Debatten, ob man CIO studieren könne oder eher dafür geboren sein müsse.

Die Sache mit dem vergessenen Technologie-T

Weitere Wetten finden Sie im CIO-Jahrbuch 2013. Die CIO-Redaktion stellt das Buch am 22. November anlässlich der Gala zum CIO des Jahres 2012 vor.
Foto: cio.de

So langsam reifte die Erkenntnis, was dem Technologie-T zugestoßen war: Die hatten es gar nicht vergessen. Die hatten es schlichtweg nicht mehr erwähnt, weil es in seiner Allgegenwart zur selbstverständlichen Pflichtübung geworden war. Heureka, es geht um die Ware, nicht ums Werkzeug. Wer das verstand, hatte das Zeug zum CIO, ließ die Technik mittels Sourcing-Strategien und Vendor-Management richten, kümmerte sich fortan um die Informationen und die entsprechenden Prozesse im Unternehmen und hatte damit entscheidenden Einfluss im Unternehmen gewonnen.

Nein, besser zurückgewonnen. In der Lage waren die frühen EDV-Leiter in den 80er- und 90er-Jahren schon einmal gewesen, als sie mit der elektronischen Datenverarbeitung die Technik in die Unternehmen brachten und damit den Chefetagen die ersten Automatisierungswellen ermöglichten.

Damals ging es noch um Technologie. Damals eben. Die Anwender hatten vor ziemlich genau elf Jahren, nämlich 2012, scheinbar ein ähnliches Empfinden entwickelt. Sie interessierten sich ebenfalls nicht mehr für Technologie, sondern für die Informationen. Cusumerisation und BYOD waren die Folgen: Wir sind die Anwender. Es geht um unsere Informationen. Und wir nutzen dafür die Werkzeuge, die uns gefallen.

Spätestens damit waren alle Beteiligten im Informations- und Wissenszeitalter angekommen. Galt es jetzt, den vormals mühsam geordneten Soft- und Hardware-Zoo zu schützen? Ich erinnere mich gerne an einige etablierte Kollegen, denen das noch eine ganze Zeit lang gut gelang, bis sie kurz vor Anwenderaufständen aufgaben, um freiwillig einzuschwenken oder gezwungenermaßen leise "Servus" zu sagen - auf der mitunter wackeligen CIO-Karriereleiter.

Sogar der Chief iPad Officer wurde diskutiert

Die nächsten Jahre waren von zwei Fragen überschattet. Wie definiert sich der CIO? Chief Information Officer, Chief Innovation Officer, Chief Integration Officer, Corporate Intelligence Officer, Cloud Improvement Officer, … Irgendwo tauchte damals sogar Chief iPad Officer auf. Wie wir heute wissen, endete diese Debatte letztlich sinn- und ergebnisoffen.

Viel entscheidendere Bedeutung erlangte die Antwort auf die zweite Frage: Kann sich der CIO im Unternehmensumfeld dauerhaft und über das verlorene Technologie-T hinaus etablieren? Der Nimbus des Beherrschens moderner Technologien wurde damals einigen Branchenkollegen zum Verhängnis. Nicht nur sie selbst mussten sich vom Technologie-T lossagen. Manche hatten übersehen, dass das Technologie-T noch immer durch die Unternehmen vagabundierte und dort mit ihnen in Verbindung gebracht wurde. Sie wurden auf Technologie reduziert, während andere Unternehmensbereiche den Claim des Informations-Managements besetzten.

Die Cloud der selbst ernannten CIOs

Natürlich musste das zum Chaos der vormals mühsam geordneten Abläufe führen. Und für das Chaos waren die Schuldigen auch bald ausgemacht: Natürlich hätten sich die IT-Verantwortlichen rechtzeitig kümmern müssen. Wie, sie wurden vorher herausgedrängt? Hätten sie sich eben nicht herausdrängen lassen ... So wiederholte sich die Geschichte.

Mit der Verteilung der Rechen- und Speicherkapazitäten auf die Arbeitsplätze entwickelte sich in der 90er-Jahren ein ähnliches Szenario, wie fortan mit der sogenannten Cloud. Eine Wolke eben. Rosarot in der Theorie, konnte sie sich, durch selbst ernannte Informations-Manager unbedacht in den Unternehmensalltag implementiert, ganz schnell rabenschwarz färben.

Viele Unternehmen erkannten dies dann bei der Frage, wer denn bitteschön ihrer rosarot verteilten Datenwelt wieder zu integrierten Abläufen verhelfen könne - von manchen schmerzlichen Vendor-Lock-Ins bis hin zu einigen Data-Highjacking-Erfahrungen ganz abgesehen. Viele clevere CIOs warteten damals den passenden Zeitpunkt ab, bis die unternehmensinternen Schmerzen groß genug wurden und die selbst ernannten Cloud-Jünger sich leise in ihre angestammten Gebiete zurückzogen.

An althergebrachte Management-Basics erinnert

Da saßen nun die Unternehmensleitungen vor dem Informationsverhau, den weißen Ritter herbeisehnend, um das angerichtete Chaos zu beseitigen. Die Wartezeit hatten diese CIOs nicht damit vergeudet, den Niedergang der Zunft zu beklagen. Sie hatten sich vielmehr an althergebrachte Management-Basics erinnert und in der düsteren Zeit ihre Werkzeugkiste variabel ausgestattet, als Information Fabric sozusagen, in der die nützlichen Aspekte des Cloud-Hypes professionellen Nutzen entfalteten.

Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler

Gleichzeitig hatten sie die Forderungen der Anwender analysiert und ihre Fabrics nach dem schlichten Motto optimiert: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Das Ergebnis muss anwenderfreundlich sein, darf nicht bevormunden, und ein neuer Anwenderbedarf wird zügig bedient - soweit er dem Unternehmen Nutzen bringt.

Time to market zählt in der schnelllebigen globalisierten Welt. Dafür konnten viele Cloud-Errungenschaften selektiv in die Fabrics adaptiert werden. Allerdings nicht unter Anbieterhoheit, sondern unter Hoheit der Unternehmen, deren Kapital zunehmend aus Informationen und Wissen bestand. Für die reifende Erkenntnis, dass man seine Informationshoheit nicht aus der Hand gibt, hatten viele solcher cleveren CIOs gesorgt. Und sich damit endgültig einen dauerhaften Platz im ersehnten C-Level neben all den anderen CxOs geschaffen. Wir schreiben immer noch das Jahr 2023. An einem schönen Sommertag auf dem Weg zum Büro lasse ich die Ergebnisse der Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre Revue passieren.

Technology doesn’t matter

Der CIO 2.0 hat das Jahr 2023 nach einigen Höhen und Tiefen gesund erreicht und ist als Informations-Manager in der obersten Unternehmenshierarchie ebenso zweifelsfrei etabliert, wie es seine CEO- und CFO-Kollegen schon viele Jahre zuvor waren. Sein Berufsbild und die Unternehmensfunktionen des Informations-Managements sind heute widerspruchsfrei gefestigt. Totgesagte leben länger. Und Herr Carr? Hätte er damals das mit dem Technologie-T verstanden, könnte er heute als großer Vordenker gelten. So hat er seine Chance zugunsten eines netten, aber kurzweiligen Wortspiels vertan: Technology doesn’t matter. Nicht mehr und nicht weniger.

Zurück in der Jetztzeit. Schon zu Carrs Zeiten hieß es völlig richtig Chief INFORMATION Officer. Die Erklärung für das große "I" und das fehlende "T" ist ja schließlich ganz einfach: Was allein zählt, ist die Information, die Technologie muss letztlich nur irgendwo im Hinter- oder Untergrund problemlos funktionieren. Und weil Information heutzutage und in Zukunft so immens wichtig ist, steht für mich fest: 2023 werden die CIOs in ihrer Bedeutung zu den CEOs und CFOs aufgeschlossen haben und sich auf gleicher Hierarchiestufe mit ihnen befinden.

Ich freue mich auf Ihre Gegenwette!

Das CIO-Jahrbuch 2013, neue Prognosen zur Zukunft der IT ist im CIO-Shop erhältlich