Machtkampf um Arztpraxen

Erbitterter Streit um Software

25.08.2011 von Hartmut  Wiehr
Was nützt Patienten? Eine keinesfalls triviale Frage. Ein heftiger Streit zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und IT-Herstellern beweist dies auf Neue.
Carl-Heinz Müller, Vorstand der KBV: Anwender von Verwaltungs-Software für Ärzte verhindern den Datenaustausch.
Foto: KBV

Fast alle niedergelassenen Ärzte haben ein Arztinformationssystem (AIS) oder eine Praxisverwaltungs-Software (PVS), aber die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigt sich dennoch nicht mit ihrem Einsatz zufrieden. Dies hat den Interessenverband bvitg auf den Plan gerufen, der die bestehenden Programme seiner Mitgliedsfirmen vehement verteidigt und auf wichtige Funktionen wie Termin-Management und Recall-Funktionen hinweist, die fast überall auch benützt würden. Gerade der Rückruf per IT-System spare Zeit und Kosten und diene überdies der Gesundheit der Patienten.

Die KBV hatte aber gerade diese Aussage in Frage gestellt. Schon zu Anfang des Jahres hatte er eine "Präventionsinitiative" samt Fortbildungen für das Praxispersonal ins Leben gerufen mit dem Argument, die Einladungs- und Erinnerungssysteme würden nur wenig genutzt. Die KBV argumentiert: "Ist ein Patient für eine Vorsorgemaßnahme gewonnen, kommt es darauf an, dass er auch die Folgetermine wahrnimmt, sich etwa für Auffrischungsimpfungen oder turnusmäßige Krebsfrüherkennungsuntersuchungen erneut in der Praxis vorstellt."

Dazu könnten Software-Programme für die Praxisverwaltung (PVS) automatisch zum entsprechenden Zeitpunkt eine Meldung anzeigen oder sogar Erinnerungsschreiben bereitstellen. Ziel sei es, den Patienten, sofern dieser zuvor sein Einverständnis erklärt hat, auf den nahenden Termin aufmerksam zu machen. 60 bis 70 Prozent der auf dem Markt erhältlichen Programme seien bereits mit solchen oder ähnlichen, oft proprietären Funktionen ausgestattet. Aber laut KBV mangelt es gerade an einem Einsatz auf breiter Front. Deshalb hat der Verband die Software-Hersteller erneut über die Umsetzungsempfehlungen informiert.

Mitte Juli hat die KBV dann noch einmal nachgelegt. Carl-Heinz Müller, Vorstand der KBV, erklärte: "Der Markt der Praxisverwaltungssysteme (PVS) hat in bestimmten Bereichen versagt. Vielfach setzen die Hersteller Maßgaben einfach nicht um, seien es Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses, Verträge der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Insbesondere gegenüber strukturiertem Datenaustausch zu anderen EDV-Systemen müssen wir mittlerweile eine komplette Verweigerungshaltung konstatieren. PVS werden außerdem oft eingesetzt, um das ärztliche Verhalten vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Interessen Dritter zu manipulieren."

Gleichzeitig verband die KBV diese Analyse mit einer harten Attacke gegen die Software-Hersteller. Er fordert den Gesetzgeber auf, drei Neuregelungen in das geplante Versorgungsstrukturgesetz aufzunehmen: "Wir fordern eine Zertifizierungskompetenz für PVS, das Recht, verbindliche Vorgaben für die Kompatibilität von PVS zu anderen EDV-Systemen zu erlassen, sowie die Kompetenz, Software für Niedergelassene zu entwickeln und kostenlos abzugeben."

Die KBV will mehr Kompetenzen zur Kontrolle des Marktes

Damit will die KBV die Kompetenz übertragen bekommen, in Zukunft alle Praxis-Programme, die bei Vertragsärzten und -psychotherapeuten zum Einsatz kommen, umfassend zu prüfen und zu zertifizieren. Es gelte zu kontrollieren, wie die Systeme personenbezogene Daten der Patienten erheben, verarbeiten und nutzen.

Andreas Kassner vom Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg): Die Vorwürfe der KBV sind nur polemisch.
Foto: bvitg

Diesen Schuh wollte sich wiederum der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg), eine Interessensorganisation der Hersteller von IT-Produkten für die Gesundheitsbranche, nicht anziehen. Man wirft umgekehrt – eher etwas hilflos - der KBV eine eigene Interessenspolitik vor: "Zur Begründung dieses Vorstoßes der KBV, die eigenen Rechte und wirtschaftlichen Betätigungsfelder auf Kosten eines funktionierenden Marktes wesentlich zu erweitern, wird versucht, die am Markt befindliche AIS-Industrie durch unzutreffende und herabwürdigende Bewertungen zu diskreditieren."

Die KBV würde unterstellen, der Markt für Verwaltungssoftware in den Arztpraxen "habe in bestimmten Bereichen versagt, die Hersteller der Systeme setzten die Anforderungen der KVen nicht um, verhinderten aktiv einen Datenaustausch und manipulierten gar das ärztliche Verhalten ihrer Nutzer vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Interessen Dritter".

Dann heißt es bei den Vertretern partikularer Unternehmensinteressen ebenfalls sehr scharf: "Alle im bvitg organisierten Anbieter von Gesundheits-IT weisen diese polemischen Unterstellungen auf das Schärfste zurück. Hierbei handelt es sich um den durchsichtigen Versuch der KBV, traditionsreiche, erfahrene Unternehmen mit langjährigen Kundenbeziehungen als unfähig und systemschädigend zu diffamieren, um deren Geschäft im Interesse der eigenen Zukunftssicherung übernehmen zu können."

Harte Interessenskämpfe

Schöner als in diesem Austausch giftiger Erklärungen könnte man kaum das Chaos in der deutschen Gesundheitswirtschaft erklären. Interesse steht gegen Interesse, und alle bemänteln den eigenen Vorteil mit dem "Allgemeinwohl".

Die KVB ist auch nicht auf den Mund gefallen. Man bekomme laufend Anfragen über Arbeitsweise und Qualität der auf dem Markt befindlichen Verwaltungssysteme für niedergelassene Ärzte, heißt es bei ihr. Vorstandschef Müller: "Es gibt da ein großes Bedürfnis nach Informationen." Erfülle ein System die Prüfkriterien nicht, soll seiner Meinung nach die KBV den Einsatz für die Anwendung in der vertragsärztlichen Versorgung untersagen dürfen.

Außerdem will die KBV in den Richtlinien über die Interoperabilität von IT-Systemen künftig festschreiben, dass solche isolierten Verwaltungssysteme zwingend mit Software von Drittherstellern kommunizieren müssen. Man fordert also ganz schlicht einen standardisierten Datenaustausch zwischen den verschiedenen proprietären Systemen, den die Hersteller einfach verweigern würden.

Müller: "Dies bezieht sich nicht nur auf Abrechnungsinhalte, sondern auch und vor allem auf medizinische Inhalte, die zwischen PVS und anderen Software-Systemen ausgetauscht werden sollen." Bisher würden die PVS-Hersteller aus ökonomischen Gründen und um ihre Kunden zu binden, einen normierten Datenaustausch ablehnen. "Interoperabilität hätte auch eine Öffnung des Marktes zur Folge und würde die Investitionen der Praxisinhaber schützen, weil sie leichter von einem auf ein anderes System wechseln können", sagt man bei der KBV. Wer wollte da widersprechen?

Und dann kommt eine Forderung, die die Mitglieder des bvitg in ihrem Mark erschüttert hat: "KBV und KVen sollten darüber hinaus auch selbst Software für Vertragsärzte und -psychotherapeuten entwickeln dürfen. Diese würden sie kostenlos für Zwecke der Dokumentation, Qualitätssicherung und Abrechnung zur Verfügung stellen."

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